„Können nicht ohne einander auskommen“
Die US-Generalkonsulin wechselt bald nach China. Ein Blick auf die Zeit in NRW und die deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Frau Kao, Sie haben die Stadt in den vergangenen Jahren gut kennengelernt - was charakterisiert für Sie Düsseldorf?
PAULINE KAO So unglaublich viele Dinge. Die Menschen hier sind offen und freundlich, vor allem aber ist Düsseldorf eine Stadt, die es verdient, dass man sich etwas länger mit ihr befasst. Es ist keine Stadt, die ihre Schönheit sofort zeigt und die nach Aufmerksamkeit schreit – aber sie ist auf eine ruhige Weise selbstbewusst. Es ist aus amerikanischer Sicht keine Stadt, von der jeder ein klares Bild hat – in den USA kennt man beispielsweise München wegen des Oktoberfests oder Frankfurt wegen der US-Bases, aber zu Düsseldorf gibt es so etwas nicht. Deshalb wird man sehr belohnt, wenn man sich die Zeit nimmt, Düsseldorf richtig zu erkunden.
Gibt es Dinge, bei denen sich Düsseldorf verbessern kann?
KAO Was ich sehr gerne erreicht hätte, wäre eine amerikanische Partnerstadt für Düsseldorf zu etablieren. Die Gespräche mit Portland sind schon weit gekommen, aber so etwas braucht Zeit. Schade ist auch, dass der wieder eingerichtete Direktflug Düsseldorf – Atlanta schon wieder ausgesetzt ist; ich hoffe sehr, dass er wiederkommt. Es gibt jedenfalls für meine Nachfolgerin noch spannende Aufgaben.
Haben Sie denn in Düsseldorf auch persönlich etwas vermisst?
KAO Ich hoffe, dass ich damit niemanden verärgere, aber mir ganz persönlich fehlte ein richtig gutes chinesisches Restaurant, das „soup dumplings“anbietet. Es gibt hier einige sehr spezifische Arten chinesischer Küche, aber ich kam aus Shanghai, und meine Kinder und ich waren dort fast jedes Wochenende Dumplings essen – diese Art spezieller Gerichte gibt es hier nicht. In Europa habe ich sie leider nur in London gefunden.
Hat die angesprochene Städtepartnerschaft von Düsseldorf und Portland derzeit echte Chancen?
KAO Hier treffen vor allem unterschiedliche Herangehensweisen aufeinander: Düsseldorf hat eine eigene Abteilung für internationale Angelegenheiten, in Portland befasst sich die Wirtschaftsförderung damit. Man braucht für eine Städtepartnerschaft immer einen engagierten Vorreiter und auf beiden Seiten den politischen Willen. Es ist aber auf jeden Fall noch möglich und ich würde das toll finden. Düsseldorf hat ja selbst viele asiatische Einflüsse – und mit einer Partnerstadt an der Westküste der USA mit einer großen asiatischen Community ließe sich ein tolles Dreieck entwickeln, zum Beispiel mit Chiba Präfektur, der japanischen Partnerstadt.
Das konsularische Korps in Düsseldorf arbeitet außergewöhnlich eng zusammen, besonders die Frauen. Wie hat das Ihre Arbeit hier beeinflusst?
KAO Die „Frauenpower“-Gruppe, in der sich hier alle Generalkonsulinnen zusammengeschlossen haben, existierte schon vor meiner Ankunft und ich hatte sofort ein Netzwerk. Es ist eine unverbindliche Gruppierung, aber auch ein Bündnis, mit dem wir viel stärker agieren können. Manches Unternehmen hätte sich vielleicht nicht nur mit mir oder nur mit Marokko oder Portugal treffen wollen. Aber wir konnten ihnen anbieten, dass sie mit acht Ländern in einem einzigen Meeting sprechen können. Und ganz persönlich hatte ich sofort ein soziales Umfeld mit Menschen, die wissen, wie schwierig und auch einsam das diplomatische Leben manchmal sein kann und welche Herausforderung diese Karriere für eine Mutter darstellt. Ich habe keine Ahnung, ob ich in meiner Karriere noch einmal ein solches Glück haben werde.
Als Sie nach Deutschland kamen, war die Stimmung hier sehr gegen die USA gerichtet. Hat sich das aus Ihrer Sicht geändert?
KAO Die Freundschaft zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten ist eine lange, tiefe und inzwischen reife Beziehung. Da gibt es wie in einer langen Ehe auch mal Streit und Unstimmigkeit. Aber selbst so etwas hilft in der Regel, die Beziehung zu festigen. Vor allem, wenn wir die Tiefen gemeinsam überwinden. Mal ehrlich: Wir können nicht ohne einander auskommen, Deutsche wie Amerikaner.
Das klingt optimistisch. Aber die gegenwärtigen Schocks könnten auch die guten Beziehungen zwischen den Bewohnern beider Länder verändern.
KAO Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, das Massaker in Israel am 7. Oktober – all das sind schreckliche Ereignisse, die vieles verändert haben und verändern. Das zeigt uns, dass wir nichts für selbstverständlich erachten dürfen, inklusive die im Kern engen und tiefen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.
Als Sie kamen, gab es eine Umfrage unter den Deutschen, wer am meisten den Weltfrieden gefährdet. Da wurden die USA am häufigsten genannt – vor Russland und China. Kränkt Sie so etwas?
KAO Das sind Momentaufnahmen und Stimmungen. Jetzt ist klar, dass Russland der größte Aggressor ist. Aber es geht nicht um Rechthaberei. Die Menschen haben schon ein gutes Gespür dafür, was auf dem Spiel steht. Die Ereignisse in jüngster Zeit haben vielen die Spinnwebe von den
Augen gezogen, wie wir Amerikaner sagen. Dank unserer gemeinsamen Werte rückt der Westen wieder enger zusammen.
Ein verstörendes Ereignis war der Überfall der Terrorgruppe Hamas auf Israel. Hätten Sie gedacht, dass dies weltweit und leider auch in Deutschland zu einer Welle des Antisemitismus führen würde?
KAO Das ist eine schwierige Situation. Zunächst: Der beschämende Antisemitismus ist durch nichts zu rechtfertigen. Israel steht unter Druck und hat ein Recht auf Verteidigung. Ich habe einmal vom israelischen Botschafter in Berlin den Satz gehört: Können Sie sich vorstellen, dass Deutschland sein Existenzrecht einfordert? Israel muss das jeden Tag. Aber wir dürfen auch nicht die humanitäre Krise im Gaza-Streifen vergessen. Es muss dort einen Waffenstillstand geben, um Menschenleben zu retten.
Gibt es Ihnen zu denken, dass gerade Intellektuelle in den USA und Deutschland Israel und den Juden einseitig die Schuld geben?
KAO Ich möchte mich auf die Fälle an amerikanischen Universitäten beschränken. Der Hass auf Israel und generell die Juden ist eine Schande. Aber das gilt nicht für alle Proteste. Was ich dabei immer im Kopf behalte, ist, gut, dass die Proteste in der Öffentlichkeit stattfinden. Ich war schon in Ländern, wo Proteste überhaupt nicht erlaubt sind. Die Debatten sind ein Zeichen von Demokratie und müssen geführt werden, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken.
Machen Sie es sich da nicht zu einfach?
KAO Sehen Sie, Amerika ist wie ein Hummer, der sich ständig häutet. Dauernd geschieht etwas Neues, aber alle Amerikaner sind ein Teil davon. Mir kommt es darauf an, dass sich das Land – bei allen Schräglagen und verstörenden Ereignissen – in die richtige Richtung entwickelt.
Sie verlassen Deutschland. Was gefällt Ihnen an diesem Land sehr und was überhaupt nicht?
KAO Oh, ich will mich nicht zwischen Extremen bewegen. Aber ich liebe die Offenheit, die Kontaktfreudigkeit und den zivilen Umgang der Menschen miteinander, „civility“. Es ist sehr angenehm und interessant, hier zu leben und meistens freundlichen Menschen zu begegnen. Dazu kommt die hohe Wertschätzung der Familie, die frische Luft und dass die Menschen die Natur schätzen. Das gefällt mir alles sehr.
Und was nicht so sehr?
KAO Manchmal stehen sich die Deutschen selbst etwas im Wege. Sie sind ja bekanntermaßen sehr gründlich und vorsichtig, zwei wichtige Tugenden. Aber – wenn ich das generalisieren darf – viele Menschen hier müssen erst alle Eventualitäten und Folgen durchdenken, bevor sie handeln. Aber oft muss man zunächst den ersten Schritt gehen, um zu sehen, wohin der Weg führt. Also, die Antwort liegt auf der anderen Seite vom ersten Schritt. Daher wünsche ich mir ab und an, dass die Menschen nicht nur viel und lange überlegen, ob sie etwas machen sollen, sondern dann den ersten Schritt wagen.
Können Deutsche und Amerikaner voneinander lernen?
KAO Unbedingt. Die Amerikaner sollten sich ein Beispiel an der deutschen Vorsicht nehmen, die Deutschen ein bisschen vom amerikanischen Pioniergeist übernehmen. Heraus käme eine perfekte Mischung.
Sie gehen jetzt nach China. Sie selbst sind in Taiwan geboren und haben sieben Jahre in der Volksrepublik gelebt. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in dieses Land, dessen Mentalität Sie so gut kennen?
KAO Zunächst einmal wartet auf mich eine Managementaufgabe. Mein Team umfasst mehr als 400 Menschen. Für diese Menschen bin ich verantwortlich und muss sie für unsere Mission begeistern. Ich kenne China relativ gut, es ist ein faszinierendes Land mit vielen Facetten, die teils auch hierzulande unbekannt sind.
China ist die zweite Weltmacht nach den USA. Aber das Land teilt nicht unsere Werte. Ist es schwierig, als Diplomatin in einem Land zu sein, das eine Diktatur hat?
KAO Diktatur ist nicht das richtige Wort. Aber es ist auch keine volle Demokratie. Es ist eben vielschichtig. Gerade für eine Diplomatin ist es nicht ratsam, sich auf ein Etikett festzulegen.
Wie empfinden Sie die Spannungen zwischen China und Taiwan? KAO Die Vereinigten Staaten haben eine „One-China“-Politik. Unsere Position ist, dass diese Frage unabhängig vom Ergebnis friedlich gelöst werden sollte. Konflikt ist für keine Seite gut. Zurückhaltung in schwierigen Zeiten ist ratsam.
Wie bereiten sich Ihre Kinder auf den Umzug vor?
KAO Ihre Leben sind meinetwegen turbulent per Definition. Sie haben aber einige Konstanten – zuvorderst, dass ich immer für sie da bin. Außerdem sind sie sich ihrer amerikanischen Identität sicher, ganz egal, wo wir sind. Ihr Vater ist Deutscher. Ich sage immer, sie sind halb deutsch, halb chinesisch und zu 100 Prozent amerikanisch. Und das, obwohl sie dort bisher den kürzesten Teil ihres Lebens verbracht haben. Wir freuen uns auf China. Nichtsdestotrotz wird es uns wahnsinnig schwerfallen, Düsseldorf und NRW zu verlassen. Aber ich bin mir sicher, wir werden nach Deutschland zurückkommen.