Im Visier der Anklage
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs sieht im Gaza-Krieg Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er fordert Haftbefehle gegen Israels Regierungschef und die Hamas-Führung. Beide Seiten reagieren entsetzt.
AMSTERDAM/JERUSALEM (rtr/ap) Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) hat einen internationalen Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen beantragt. Es gebe genug Gründe für die Annahme, dass beide die Verantwortung für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit trügen, teilte Chefankläger Karim Khan am Montag mit. In Israel löste dies Empörung aus. Der Antrag auf einen Haftbefehl gegen Netanjahu und Galant sei selbst „ein Verbrechen von historischem Ausmaß“, sagte Benny Gantz, Minister im israelischen Kriegskabinett. Netanjahu bezeichnete die Anträge des Chefanklägers Karim Khan als absurd und warf der Anklage Antisemitismus vor. „Als Ministerpräsident Israels weise ich den Vergleich des Haager Staatsanwalts zwischen dem demokratischen Israel und den Massenmorden der Hamas mit Abscheu zurück“, erklärte er. „Kein Druck und keine Entscheidung in irgendeinem internationalen Forum wird uns davon abhalten, diejenigen zu treffen, die uns zerstören wollen.“
In seinem Antrag listet der Ankläger folgende Gründe für den Schritt gegen Netanjahu und Galant auf: Das Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung – dies sei ein Kriegsverbrechen. Zudem habe die israelische Regierung vorsätzlich die Verursachung großer Leiden oder schwerer Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit in Kauf genommen. Es habe zudem vorsätzliche Tötungen und ebenfalls vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung gegeben. Außerdem nennt Khan „Ausrottung und/ oder Mord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
„Parallelen zwischen den Führern eines demokratischen Landes, das entschlossen ist, sich gegen den verabscheuungswürdigen Terror zu verteidigen, und den Führern einer blutrünstigen Terrororganisation (Hamas) zu ziehen, ist eine tiefe Verzerrung der Gerechtigkeit und ein eklatanter moralischer Bankrott“, sagte Gantz. Der Schritt des IStGH schweißt die zuvor immer stärker zerrissene israelische Regierung wieder zusammen. Denn der ExVerteidigungsminister Gantz hatte Netanjahu eine Frist für eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen bis
Haftbefehle aus
Den Haag und ihre Folgen
Kompetenzen Das Gericht hat zwar keinerlei Möglichkeiten, Haftbefehle selbst zu vollstrecken. Jedoch ist die Bewegungsfreiheit der Gesuchten dadurch erheblich eingeschränkt.
Tragweite Im Falle von Haftbefehlen sind alle Vertragsstaaten des Gerichts verpflichtet, die Beschuldigten festzunehmen und zu überstellen, sobald sie sich in ihrem Land befinden. 139 Staaten weltweit haben das Römische Statut – die vertragliche Grundlage des Strafgerichtshofs – unterzeichnet, 124 davon haben es ratifiziert, auch Deutschland. zum 8. Juni gesetzt. Sollten seine Erwartungen nicht erfüllt werden, werde er seine zentristische Partei aus der Notstandsregierung zurückziehen, hatte er am Samstag angekündigt. Es müsse festgelegt werden, wer im Gazastreifen nach dem Krieg gegen die radikal-islamische Hamas regieren könne.
US-Präsident Joe Biden bezeichnete den Antrag auf Haftbefehle als empörend. In einer scharf formulierten Mitteilung wies Biden die Anträge des Chefanklägers zurück, Haftbefehle zu erlassen. „Wir werden Israel gegen Bedrohungen seiner Sicherheit immer zur Seite stehen“, sagte er.
Der Ankläger hatte zuvor auch einen Haftbefehl gegen Hamas-Führer Jahja Sinwar und zwei andere Funktionäre der radikal-islamischen Organisation im Zusammenhang mit den Angriffen auf Israel am 7. Oktober
2023 beantragt. Sinwar wird unter anderem die Verantwortung für Mord, Geiselnahme, Vergewaltigung und Folter vorgeworfen. Bei dem Überfall der Hamas auf Israel waren nach israelischen Angaben mehr als 1200 Menschen gestorben. Die Organisation hält immer noch Dutzende Geiseln gefangen.
Ein Hamas-Sprecher und ein Sprecher der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) kritisierten die Entscheidung des Anklägers ebenfalls. Sie wehren sich aber dagegen, dass die Hamas-Führer nun mit der israelischen Regierung gleichgesetzt würden. Damit würden „Opfer und Henker“gleichgesetzt, kritisierten beide Organisationen.
Die Ermittlungsrichter des IStGH müssen entscheiden, ob genügend Beweise vorliegen, um Haftbefehle zu erlassen. Die Bundesregierung reagierte zunächst nicht.