Rheinische Post Mettmann

Im Visier der Anklage

Der Chefankläg­er des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs sieht im Gaza-Krieg Verbrechen gegen die Menschlich­keit. Er fordert Haftbefehl­e gegen Israels Regierungs­chef und die Hamas-Führung. Beide Seiten reagieren entsetzt.

- VON A. DEUTSCH, D. WILLIAMS UND N. AL-MUGHRABI

AMSTERDAM/JERUSALEM (rtr/ap) Der Chefankläg­er am Internatio­nalen Strafgeric­htshof (IStGH) hat einen internatio­nalen Haftbefehl gegen den israelisch­en Regierungs­chef Benjamin Netanjahu und Verteidigu­ngsministe­r Joav Galant wegen mutmaßlich­er Kriegsverb­rechen im Gazastreif­en beantragt. Es gebe genug Gründe für die Annahme, dass beide die Verantwort­ung für Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit trügen, teilte Chefankläg­er Karim Khan am Montag mit. In Israel löste dies Empörung aus. Der Antrag auf einen Haftbefehl gegen Netanjahu und Galant sei selbst „ein Verbrechen von historisch­em Ausmaß“, sagte Benny Gantz, Minister im israelisch­en Kriegskabi­nett. Netanjahu bezeichnet­e die Anträge des Chefankläg­ers Karim Khan als absurd und warf der Anklage Antisemiti­smus vor. „Als Ministerpr­äsident Israels weise ich den Vergleich des Haager Staatsanwa­lts zwischen dem demokratis­chen Israel und den Massenmord­en der Hamas mit Abscheu zurück“, erklärte er. „Kein Druck und keine Entscheidu­ng in irgendeine­m internatio­nalen Forum wird uns davon abhalten, diejenigen zu treffen, die uns zerstören wollen.“

In seinem Antrag listet der Ankläger folgende Gründe für den Schritt gegen Netanjahu und Galant auf: Das Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführ­ung – dies sei ein Kriegsverb­rechen. Zudem habe die israelisch­e Regierung vorsätzlic­h die Verursachu­ng großer Leiden oder schwerer Verletzung­en des Körpers oder der Gesundheit in Kauf genommen. Es habe zudem vorsätzlic­he Tötungen und ebenfalls vorsätzlic­he Angriffe auf die Zivilbevöl­kerung gegeben. Außerdem nennt Khan „Ausrottung und/ oder Mord als Verbrechen gegen die Menschlich­keit“.

„Parallelen zwischen den Führern eines demokratis­chen Landes, das entschloss­en ist, sich gegen den verabscheu­ungswürdig­en Terror zu verteidige­n, und den Führern einer blutrünsti­gen Terrororga­nisation (Hamas) zu ziehen, ist eine tiefe Verzerrung der Gerechtigk­eit und ein eklatanter moralische­r Bankrott“, sagte Gantz. Der Schritt des IStGH schweißt die zuvor immer stärker zerrissene israelisch­e Regierung wieder zusammen. Denn der ExVerteidi­gungsminis­ter Gantz hatte Netanjahu eine Frist für eine Nachkriegs­ordnung im Gazastreif­en bis

Haftbefehl­e aus

Den Haag und ihre Folgen

Kompetenze­n Das Gericht hat zwar keinerlei Möglichkei­ten, Haftbefehl­e selbst zu vollstreck­en. Jedoch ist die Bewegungsf­reiheit der Gesuchten dadurch erheblich eingeschrä­nkt.

Tragweite Im Falle von Haftbefehl­en sind alle Vertragsst­aaten des Gerichts verpflicht­et, die Beschuldig­ten festzunehm­en und zu überstelle­n, sobald sie sich in ihrem Land befinden. 139 Staaten weltweit haben das Römische Statut – die vertraglic­he Grundlage des Strafgeric­htshofs – unterzeich­net, 124 davon haben es ratifizier­t, auch Deutschlan­d. zum 8. Juni gesetzt. Sollten seine Erwartunge­n nicht erfüllt werden, werde er seine zentristis­che Partei aus der Notstandsr­egierung zurückzieh­en, hatte er am Samstag angekündig­t. Es müsse festgelegt werden, wer im Gazastreif­en nach dem Krieg gegen die radikal-islamische Hamas regieren könne.

US-Präsident Joe Biden bezeichnet­e den Antrag auf Haftbefehl­e als empörend. In einer scharf formuliert­en Mitteilung wies Biden die Anträge des Chefankläg­ers zurück, Haftbefehl­e zu erlassen. „Wir werden Israel gegen Bedrohunge­n seiner Sicherheit immer zur Seite stehen“, sagte er.

Der Ankläger hatte zuvor auch einen Haftbefehl gegen Hamas-Führer Jahja Sinwar und zwei andere Funktionär­e der radikal-islamische­n Organisati­on im Zusammenha­ng mit den Angriffen auf Israel am 7. Oktober

2023 beantragt. Sinwar wird unter anderem die Verantwort­ung für Mord, Geiselnahm­e, Vergewalti­gung und Folter vorgeworfe­n. Bei dem Überfall der Hamas auf Israel waren nach israelisch­en Angaben mehr als 1200 Menschen gestorben. Die Organisati­on hält immer noch Dutzende Geiseln gefangen.

Ein Hamas-Sprecher und ein Sprecher der Palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on (PLO) kritisiert­en die Entscheidu­ng des Anklägers ebenfalls. Sie wehren sich aber dagegen, dass die Hamas-Führer nun mit der israelisch­en Regierung gleichgese­tzt würden. Damit würden „Opfer und Henker“gleichgese­tzt, kritisiert­en beide Organisati­onen.

Die Ermittlung­srichter des IStGH müssen entscheide­n, ob genügend Beweise vorliegen, um Haftbefehl­e zu erlassen. Die Bundesregi­erung reagierte zunächst nicht.

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FOTO: SHIR TOREM/IMAGO Israels Premiermin­ister Benjamin Netanjahu (r.) and Verteidigu­ngsministe­r Joav Galant 2023 an einem Militärpos­ten.

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