Rheinische Post Mettmann

Die Angst vor dem Abschied nehmen

Inspiriert durch ihre eigene Trauung, baute sich Sabine Emmerich ein zweites Standbein als Sprecherin bei Hochzeiten auf. Durch Zufall entdeckte sie dann ihr Talent als Trauerredn­erin.

- VON CRISTINA SEGOVIA-BUENDÍA

WÜLFRATH Wer Sabine Emmerich kennenlern­t, erlebt eine lebenslust­ige und heitere Persönlich­keit. Mit Hummeln im Hintern, würde man vielleicht sagen. Ein Mensch, der mit seinem Charisma wild und positiv ansteckend wirkt. Doch wie bei vielen anderen Zeitgenoss­en auch, hat Emmerich ebenso eine tiefgründi­ge Seite. Eine, die sie bereit ist, zu teilen, wenn das Leben einen sprichwört­lich aus den Socken haut. Die 55-jährige Wülfrather­in ist Trauerredn­erin aus Leidenscha­ft. Nicht, weil sie andere Menschen gerne leiden sieht, sondern weil sie weiß, dass sie Angehörige­n im Abschied helfen kann. Erkannt hat sie diese Gabe allerdings eher zufällig, wie sie erzählt.

Inspiriert durch die freie Trauredner­in auf ihrer eigenen Hochzeit, fasst sie den Entschluss, sich mit ihrer Wortgewand­theit und ihrem Organisati­onstalent ein zweites Standbein als frei Trauredner­in bei Hochzeiten aufzubauen. „Ich organisier­e sehr gerne, schreibe auch seit frühster Jugend gerne und weiß sehr genau, wie Hochzeiten ablaufen“, erklärt sie. Als kurz vor einer geplanten Trauung plötzlich jedoch die Mutter der Braut verstarb, wurde Emmerich gefragt, ob sie denn nicht auch die

Trauerrede für die Verstorben­e halten könne. Emmerich schluckte zunächst, sagte aber zu und erlebte eine persönlich­e Überraschu­ng. Sie empfand eine tiefe Befriedigu­ng in dem, was sie tat, noch viel mehr als bei den Hochzeiten.

Als Ehrenamtle­rin im Hospiz und ausgebilde­te Sterbe- und Trauerbegl­eiterin seit 2013 ist ihr dieser Teil des Lebens nicht fremd – und dennoch erlebte sie sich selbst als Trauerredn­erin auf einer anderen Ebene. Sie fühlte, dass sie trauernden Angehörige­n ein Anker sein konnte. „Ich spüre eine große Selbstsich­erheit, wenn ich vor einer Trauergeme­inde stehe. Ich weiß ganz genau, was ich tue. Sie ein Stück weit auf dem Weg zu begleiten, ihnen die Angst vor diesem Abschied zu nehmen, ist für mich eine große Befriedigu­ng.“

Ihre Arbeit als Trauerredn­erin hat sie selbst ebenfalls anders auf das Ende des Lebens blicken lassen. Sie weiß, dass viele Menschen vor diesem Moment Angst haben, weil wir als Gesellscha­ft den Tod aus dem Leben verbannt hätten.

Doch: „Die Trauerkult­ur in Deutschlan­d verändert sich.“Viele seien aus der Kirche ausgetrete­n, suchen andere Wege der Beisetzung. Sie selbst teilt, mit Einverstän­dnis der Angehörige­n, viele Impression­en aus Trauerfeie­rn über ihre sozialen Netzwerke. Viele Kunden seien darüber auf sie aufmerksam geworden. Emmerich ist es wichtig, deutlich zu machen, dass auch der Tod zum Leben gehört und dass er nicht versteckt werden darf.

Die Angst vor dem Tod sei bei allen ähnlich, weil wir als Gesellscha­ft jedwede Berührung mit ihm vermeiden, sagt Emmerich.

„Früher wurden Verstorben­e im Haus aufgebahrt. Familienan­gehörige kümmerten sich um die Leichenwäs­che, nahmen sich Zeit, um

Würdevoll auf dem letzten Weg begleiten

Angebot Sabine Emmerich wird kommenden Samstag, 25. Mai, beim Tag des offenen Friedhofs auf dem Wülfrather Kommunalfr­iedhof anwesend sein und einen Vortrag über das Thema „Freie Beerdigung­en – Abschied neu gedacht“halten. Hier wird sie über die Entwicklun­gen der Trauerkult­ur berichten und neue Möglichkei­ten aufzeigen, wie heute Trauerfeie­rn stattfinde­n können.

sich zu verabschie­den. Heute muss ja alles schnell, schnell gehen“, hat Emmerich beobachtet. Kaum ist das Leben aus dem menschlich­en Körper entflohen, wird auch schon das Bestattung­sunternehm­en kontaktier­t, das den Leichnam schnellstm­öglich aus dem Haus bringt. Die Leichenwäs­che und die Aufbahrung wird ausgelager­t. „Wir nehmen uns kaum Zeit, um Abschied zu nehmen.“

Bei ihren freien Trauerrede­n hält sie deswegen inne. Im Vorfeld nimmt sie sich Zeit, um mit den Angehörige­n über ihre Verstorben­en zu reden, zu erfahren, was diese Menschen ausgemacht hat, um eine persönlich­e Abschiedsr­ede zu schreiben. „Jede Rede ist individuel­l. Sie muss gut sein.“An einer Abschiedsr­ede feilt Emmerich gut und gerne fünf bis sechs Stunden. Das ist keine Fließbanda­rbeit. Das unterschei­de eine freie Trauerrede auch von der klassische­n Abschiedsl­iturgie innerhalb der Kirche, sagt sie. „Das Zeitfenste­r ist für alle gleich, 30 Minuten für die Trauerfeie­r in Wülfrath.“Doch die freie Trauerrede sei persönlich­er.

Emmerich ist es wichtig, dass bei einer Trauerfeie­r nicht nur geweint, sondern auch gelacht werden darf. Das Lieblingsl­ied des Verstorben­en nehme eine besondere Stellung in ihren Trauerfeie­rn, ebenso wie Rituale. Das helfe bei der Trauerbewä­ltigung. Auch nach der Trauerfeie­r begleitet Emmerich die Trauergeme­inde zum Grab und spricht dort noch einige Worte, ehe sich die Familienan­gehörige und Freunde bei der Beisetzung einen kurzen Moment zum Abschied nehmen.

Als freie Trauerredn­erin ist Sabine Emmerich bislang die einzige, mit einer Genehmigun­g auch in Velbert bestatten zu können. Darauf ist sie stolz, denn bislang haben sich die Gemeinden dagegen gewehrt, freie Trauerredn­er zuzulassen. Sie hat sich allerdings eine Lücke geschaffen, um Menschen mit ihrer Gabe den Abschied einfacher zu machen.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Die Trauerkult­ur in Deutschlan­d verändert sich immer mehr. Sabine Emmerich will trauernden Angehörige­n helfen.
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FOTO: EMMERICH Sabine Emmerich ist freie Trauredner­in in Wülfrath.

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