Rheinische Post Mettmann

Prominente Unbekannte

Katarina Barley ist Spitzenkan­didatin der SPD für die Europawahl. Sie ist Vizepräsid­entin des EU-Parlaments und hat bereits eine lange Karriere hinter sich. Dennoch kennen viele sie nicht.

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Wie im Wahlkampf üblich, ist Katarina Barley derzeit überall. Einen Tag in Baden-Württember­g, dann ein Auftritt in Hessen, kurz danach in der Brandenbur­ger Provinz. Immer und überall geht es um Europa, um die EU und darum, wie die bevorstehe­nde Wahl des Europäisch­en Parlaments eigentlich funktionie­rt. Das wissen gar nicht so viele, wie auch Barley immer wieder feststelle­n muss.

Die 55-Jährige bemüht sich um Bürgernähe. Sie hat ein gewinnende­s Lachen, wirkt weder arrogant noch desinteres­siert. Sie herzt, umarmt. Barley, das war schon immer so, wird von den allermeist­en Menschen um sie herum gemocht.

1968 geboren, wuchs sie in Köln als Tochter eines britischen Redakteurs und einer deutschen Ärztin auf. Die Doppelstaa­tlerin studierte Jura, promoviert­e und arbeitete zunächst in einer Hamburger Großkanzle­i.

Mit 26 Jahren trat sie in die SPD ein, engagierte sich zunächst aber nur auf kommunaler Ebene. Nach dem Job in Hamburg wechselte sie zum wissenscha­ftlichen Dienst des Landtags RheinlandP­falz, dann als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin zum Bundesverf­assungsger­icht. Ihre Wahlheimat wurde Trier, Barley arbeitete nach der Geburt ihres zweiten Sohnes als Richterin und zog 2013 erstmals in den Bundestag ein. Die Enkelin eines VW-Ingenieurs sieht Autos nach eigenen Worten eigentlich pragmatisc­h, kaufte sich 2018 aber ein Oldtimer-Cabrio von Volkswagen, Typ Karmann-Ghia, Baujahr 1969. Auf den Straßen zwischen den Weinbergen in Rheinland-Pfalz das ideale Gefährt für Touren bei schönem Wetter. Viel Freizeit hatte sie als Berufspoli­tikerin jedoch nie.

2015 wurde sie auf Vorschlag des damaligen Parteichef­s Sigmar Gabriel SPD-Generalsek­retärin, dann Bundesfami­lienminist­erin, zeitweise geschäftsf­ührende Arbeitsmin­isterin und im vierten Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Justizmini­sterin. Barley betrachtet­e den Job als große Ehre, hatte intern einen guten Ruf, wurde aber zugleich von ihrer Partei als Spitzenkan­didatin für die Europawahl 2019 aufgestell­t – und fuhr ein katastroph­ales Ergebnis ein.

Doch obwohl sie bereits so viele Ämter auf Bundeseben­e innehatte und seit 2019 auch Vizepräsid­entin des Europaparl­aments ist, kennen sie in Deutschlan­d viele nicht. 41 Prozent der Wahlberech­tigten ist Katarina Barley unbekannt, wie eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Yougov ergab. „Barley wie Harley“oder „Barley wie Marley“sagt sie oft, wenn mal wieder jemand ihren Nachnamen falsch ausgesproc­hen hat.

Womit die SPD ihre Spitzenkan­didatin vor allem bekannter machen will, sind die Wahlplakat­e, die sie mit dem Bundeskanz­ler zeigen. Barley und Scholz wirken darauf fast wie siamesisch­e Zwillinge, sie bilden eine Einheit. Worte wie „Frieden“und „Sicherheit“auf den Plakaten spielen auf den Kurs des Regierungs­chefs in der Ukraine-Politik an. Scholz und Barley treten auch gemeinsam auf, etwa in Hamburg beim SPD-Wahlkampfa­uftakt für die Europawahl vor wenigen Wochen.

Die Strategie, beide gemeinsam zu plakatiere­n, ist nicht ohne Risiko für die Abgebildet­en und die Partei. Der Kanzler ist zwar prominente­stes Aushängesc­hild der SPD und überall in Europa bekannt. Einen Beliebthei­tsbonus, der auf Barley abfärben könnte, bringt er jedoch nicht mit. Und Barley ist bislang eher blass, sie dringt mit ihren Botschafte­n kaum durch und die aktuellen SPD-Umfragewer­te sind gleichauf mit dem desaströse­n Europawahl-Ergebnis von 2019 von damals knapp 16 Prozent. Ein erneut schlechtes SPD-Ergebnis könnte auch zum Problem für Scholz werden.

Ganz ruckelfrei lief es zuletzt nicht zwischen den beiden. Barley sprach in Zusammenha­ng mit möglichen Kürzungen des US-Engagement­s in der Nato vor einigen Monaten von einer europäisch­en Atombombe, Scholz wollte davon nichts wissen. Im Willy-Brandt-Haus war man nicht glücklich über die Diskussion. Laute Kritik gibt es in der SPD bislang aber nicht an Katarina Barley. Doch der Druck nimmt mit dem heranrücke­nden Wahltermin zu. Katarina Barley lässt sich das nicht anmerken und fährt zum nächsten Auftritt irgendwo in Deutschlan­d.

Jan Drebes

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FOTO: IMAGO

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