Medizin: Warum Frauen oft benachteiligt sind
Beim Frauennetzwerk-Stammtisch ging es um die Bedeutung geschlechterspezifischer Medizin. Symptome sind unterschiedlich.
WÜLFRATH Frauen sterben tendenziell eher an einem Herzinfarkt als Männer. Das ist die nüchterne, wissenschaftliche Erkenntnis. Dabei erleiden nicht wesentlich mehr Frauen als Männer einen Herzinfarkt, doch die Symptome, werden wesentlich später erst erkannt.
Denn die klassischen Anzeichen eines Myokardinfarkts, wie starke Schmerzen in der Brust mit Ausstrahlung in den linken Arm, gehören zu den häufigsten Symptomen bei Männern. Frauen, die einen Herzinfarkt erleiden, klagen eher über Schmerzen im Oberbauch oder Rücken, leiden an Übelkeit und Erbrechen sowie kaltem Schweiß. Wer das nicht weiß, handelt nicht, spielt die Symptome eher herunter und verliert somit kostbare Zeit.
Dass Mensch in der Medizin eben nicht gleich Mensch ist und es in der Diagnose und Therapie durchaus einen Unterschied macht, welchem Geschlecht man angehört, darüber klärte jetzt Dr. Christiane Groß, niedergelassene Ärztin und Psychotherapeutin sowie Präsidentin des Deutschen Ärtzinnenbundes, beim jüngsten Stammtisch des Frauennetzwerks Wülfrath auf. Im Awo-Haus waren rund 50 Frauen erschienen, die mehr über das Thema erfahren wollten.
Die Resonanz überraschte und erfreute Gleichstellungsbeauftragte Franca Calvano gleichermaßen. Auch Christiane Groß zeigte sich erfreut: „Ich bin total begeistert, wie viele Frauen hier sind, da könnte sich so manches Gremium eine Scheibe von abschneiden.“
Geschlechtsspezifische Medizin, machte Groß aber gleich darauf deutlich, sei kein reines Frauenthema. Es gelte gleichermaßen für Männer und Frauen.
In ihrem Vortrag erklärte Groß zunächst, was Männer und Frauen unterscheidet. Neben den offensichtlich biologischen Merkmalen, Geschlechtsorgane, Hormone und Körperbau, unterscheidet die beiden Geschlechter auch das je nach Lebensumfeld geprägte Rollenbild. In manchen Breitengraden gebe es noch deutlich klassischere Rollenbilder, in denen Frauen zum sensibleren Geschlecht zählen, die Kümmerinnen der Familie sind, während die Männer die Starken verkörpern. Für die Medizin erkannte bereits in den 1960er Jahren ein amerikanischer Psychiater die Bedeutung der Geschlechter.
Seit den 1980er Jahren erkannte auch die medizinische Forschung in der Wirkungen von Medikamenten Unterschiede zwischen Männer und Frauen. Allerdings wurden bis in die 1990er hinein die allermeisten Studien überwiegend mit Männern durchgeführt, auch aufgrund des Contergan-Skandals der 1950er und 1960er Jahre in Deutschland, ein Medikament, dass bei Schwangerschaftsübelkeit eingesetzt wurde, jedoch die Entwicklung der Föten schädigte. Es kam zu zahlreichen Fehlbildungen bei Neugeborenen.
Seitdem wurden junge Frauen im gebärfähigen Alter aus medizinischen Studien ausgeschlossen, wobei die Ergebnisse dadurch allerdings einen Gender Bias, also einen geschlechtsbezogenen Verzerrungseffekt, beinhalteten. Seit dem 21. Jahrhundert beschäftigt sich die Medizin intensiver mit der
Genderforschung und fordert auch bei Studien die Teilnahme von Frauen ein, um keine verzerrten Ergebnisse zu produzieren.
Denn auch in der Pharmakologie, der Lehre von den Wechselwirkungen zwischen körperfremden Stoffen und Organismen, ist es wichtig zu wissen, wie Frauen und Männer auf Medikamente reagieren. Es sei wichtig zu wissen, dass nicht nur Patienten, je nach Geschlecht, tendenziell anders leiden, sondern auf der anderen Seite auch Ärzte, je nach Geschlecht, anders handeln. Geschlechtsunterschiede seien auch in den medizinischen Fachrichtungen erkennbar.
So würden deutlich mehr Frauen personenbezogene Richtungen einschlagen, Männer dagegen die technischeren Richtungen vorziehen. So zeigt sich bis heute, dass etwa 70 Prozent der Ärzte in der Gynäkologie weiblich sind. Die technischeren Fachbereiche wie Chirurgie und Radiologie seien mehrheitlich in männlicher Hand. Sich dessen bewusst zu werden, sei wichtig. Das Ziel der geschlechterspezifischen Medizin sei auf lange Sicht eine personalisierte und dadurch bessere Medizin für jeden.