Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Kommt die Maut durch die Hintertür?
Der Europäische Gerichtshof hat die deutschen Pläne für eine Pkw-Maut kassiert, weil sie nur ausländische Fahrer belastet hätte. Aus Sicht von Experten birgt das Urteil die Chance für eine vernünftigere Abgabe.
Andreas Scheuer blieb am Dienstag nichts anderes übrig, als die Niederlage seiner Partei einzugestehen. „Die Pkw-Maut ist in dieser Form leider vom Tisch“, sagte der Bundesverkehrsminister (CSU) nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur deutschen Maut, dem Prestigeprojekt der Christsozialen schlechthin. Das Urteil bedeute aber „keine Absage an die Nutzerfinanzierung, die in über 20 EU-Staaten gemacht wird“, sagte Scheuer. Auch die EU-Kommission halte die Finanzierung des Straßenbaus durch Nutzerabgaben für das richtige Mittel.
Warum hat der EuGH so geurteilt? Das Urteil kam überraschend, weil die Luxemburger Richter üblicherweise der vorhergehenden Empfehlung des Generalanwalts folgen. Dieser hatte die Maut eigentlich schon durchgewunken. Er sah keine Diskriminierung von Ausländern, weil diese in Deutschland keine Kfz-Steuer zahlen müssten. Dem wollten die Richter aber nicht folgen. Die Abgabe in Verbindung mit der Entlastung bei der Kfz-Steuer für Inländer stelle eine „mittelbare Diskriminierung“aufgrund der Staatsangehörigkeit dar und verstoße gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs, erklärte der EuGH. Denn für deutsche Fahrzeughalter würde die Maut „vollständig kompensiert“. Dadurch liege die „wirtschaftliche Last dieser Abgabe tatsächlich allein auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen“.
Wie sollte die Maut genau aussehen? Die Pkw-Maut sollte im Oktober 2020 eingeführt werden. Die Pläne sahen vor, dass alle Besitzer von in Deutschland zugelassenen Autos eine Jahresmaut für die Nutzung von Autobahnen und Bundesfernstraßen zahlen müssen. Die Preise sollten von der Größe des Motors und der Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs abhängen. Maximal waren 130 Euro vorgesehen. Deutsche Autofahrer sollten zugleich bei der Kfz-Steuer entlastet werden. Ausländische Fahrer sollten dagegen zahlen, wenn sie auf deutschen Autobahnen unterwegs sind. Die Pläne sahen vor, dass sie zwischen Vignetten für zehn Tage, zwei Monate oder einem Jahr wählen können. Die geplanten Preise reichten von 2,50 Euro bis 130 Euro. Die CSU verkaufte das Modell stets als gleichwertig zu Mautsystemen anderer EU-Länder, konnte damit aber nicht überzeugen.
Wer ist Gewinner, wer Verlierer des Urteils? Gewinner ist zunächst Österreich, das vor Gericht erfolgreich war – und vor allem ausländische Pkw-Fahrer, die auf deutschen Autobahnen und Bundesstraßen weiter kostenlos unterwegs sein können. Politischer Verlierer ist die CSU, die ihr Vorzeigeprojekt begraben muss, aber auch die große Koalition insgesamt. Sie muss sich vorwerfen lassen, jahrelang Zeit, Nerven und Steuergeld für ein Projekt vergeudet zu haben, das von Anfang an die Quadratur des Kreises bedeutete. Verlierer sind auch die Steuerzahler, die bei der Finanzierung der Straßen jetzt nicht entlastet werden und auch noch Folgekosten schultern müssen. Mittelbar gehört auch die Umwelt zu den Verlierern, wenn der Verkehr auf schlecht ausgebauten Autobahnen still steht.
Wie geht es jetzt weiter? Im September will die Bundesregierung Entscheidungen über ein Gesamtpaket für den Klimaschutz auch im Straßenverkehr fällen. Viele Experten sprechen sich für eine Maut nach gefahrenen Kilometern aus. Streckenabhängige Mautsysteme gibt es in vielen anderen EU-Ländern. Gut möglich ist, dass sich jetzt auch Deutschland dieser Variante anschließt. Eine Arbeitsgruppe konzentriere sich zunächst auf die Haushaltswirkungen, sagte Scheuer. Für die CSU wäre es eine Schmach, auf ein typisch europäisches Mautsystem umschwenken zu müssen. Ökonomisch und ökologisch wäre es aber sinnvoll.
Welche Folgekosten drohen? Die Maut sollte jährlich 500 Millionen Euro einbringen, die in die Verkehrsinfrastruktur des Bundes fließen sollten. Dieses Loch muss die Koalition jetzt stopfen. Die Grünen hatten allerdings ein Gutachten veröffentlicht, wonach die Maut wegen der hohen technischen und personellen Kosten ohnehin ein Minusgeschäft geworden wäre. Die Vorbereitungen der Pkw-Maut haben laut Grünen-Verkehrssprecher Stephan Kühn zudem bereits 128 Millionen Euro gekostet. Hinzu kommt, dass Scheuer vor dem Urteil vorschnell einen milliardenschweren Vertrag zur Erhebung und Kontrolle der Maut mit zwei Unternehmen geschlossen hatte. Diese könnten jetzt hohe Schadenersatzforderungen an den Bund stellen – kein schöner Ausblick für Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der ohnehin unter Druck steht, die schwarze Null zu halten.
Was empfehlen Experten? Der Duisburger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer forderte ein einheitliches europaweites Pkw-Mautsystem. „Grundsätzlich brauchen wir aber ein modernes Fahrzeugbesteuerungssystem, das auch den CO2-Ausstoß und die gefahrenen Kilometer, sprich die Straßennutzung, berücksichtigt“, sagte er. „In diesem System wäre eine europaweite Pkw-Maut ein Element.“Ähnlich äußerte sich Thilo Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. „Eine Umgestaltung in Richtung Klimaschutz könnte bedeuten, die bisherige Energiesteuer zu ersetzen“, sagte Schäfer. Ein Teil solle durch eine CO -Steuer auf den Spritpreis ersetzt werden, der andere durch eine neue, streckenabhängige Pkw-Maut. „Wer viel Auto fährt, beansprucht die Infrastruktur auch mehr als andere. Es ist deshalb folgerichtig, wenn man durch die Maut mehr bezahlt“, sagte Schäfer. Autos und Lastwagen verursachten enorme Umweltund Klimaschäden, sagte auch Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamtes. Sie empfehle eine fahrleistungsabhängige Pkw-Maut. „Wer viel fährt, zahlt viel. Wer wenig fährt, zahlt weniger.“Käme es so, würde das Maut-Drama für die Umwelt doch noch ein zukunftsweisendes Ende finden.