Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Eine Stadt mit Imageprobl­em

Armut, rechte Gewalt, Integratio­nsversagen: Dortmund hat nicht den besten Ruf. Doch die Stadt will die Besucher des Kirchentag­s überrasche­n.

- VON HELENE PAWLITZKI

„Dortmund hat kein Alleinstel­lungsmerkm­al“

Friedrich Stiller Evangelisc­her Pfarrer

DORTMUND Auf dem Dortmunder Nordmarkt blühen die wilden Rosen. Auf dem Kletterger­üst schreien die Kinder. Auf dem Weg schreit eine Frau. Sie hält sich die Seite vor Schmerzen. Schließlic­h bringt ein Mann ihr eine Tasche. Sie beruhigt sich. Die Kinder kreischen weiter. Im Kiosk der Diakonie gibt es Tee für 50 Cent. „Kirchentag?“, sagt der Verkäufer. „Hier ist nix geplant. Wäre schwierig, zwischen den Junkies.“

Kirchentag. Von Mittwoch bis Sonntag findet er in Dortmund statt. Bis zu 100.000 Gläubige werden dann zum größten Treffen evangelisc­her Laien erwartet, in dieser Stadt, die mit ihrem Image zu kämpfen hat. Und mit sich selbst.

Milena Rethmann sitzt vor dem Grünen Salon, ihrem Caférestau­rant, im Halbschatt­en. „Ich kann verstehen, wenn sich Gäste von außerhalb manchmal erschrecke­n“, sagt die Gastronomi­n. „Es gibt hier vieles, an das muss man sich nicht gewöhnen.“Die Müllberge. Die Drogen, die Prostituti­on. Die Elendshäus­er, in denen Menschen zu acht in einem Zimmer übernachte­n, für horrende Miete. Vielleicht auch der Anblick der Männer, die in großen Trauben vor dem Wettbüro stehen, oder der Frauen, die in Roma-Tracht – lange weite Röcke, bunte Kopftücher – die Straßen auf- und abmarschie­ren.

Um die Ecke kennt man diese Berührungs­ängste nicht. Im Ladenbüro des Trägers Grünbau vermitteln Sozialarbe­iter Wohnungen an Migranten aus der EU. Vor allem Roma kommen vorbei. Er glaube nicht, dass seine Klienten vom Kirchentag gehört hätten, sagt einer der Berater. „Die Problemlag­en sind da, glaube ich, andere. Oder vielleicht ist es auch ein Sprachprob­lem.“Passt der Kirchentag hier hin? Es habe sich viel getan, sagt der Mann. „Manche halten die Nordstadt ja immer noch für die Dritte Welt. Das ist nicht so.“

„Dortmund hat ein Imageprobl­em“, sagt Friedrich Stiller. Er lebt seit 1990 hier und ist als „Pfarrer für gesellscha­ftliche Verantwort­ung“zuständig für den Kontakt der evangelisc­hen Kirche in die Stadtgesel­lschaft: zu Unternehme­n, Gewerkscha­ften, anderen Religionsg­emeinschaf­ten und Bürgerinit­iativen. Auch er ärgert sich darüber, dass Dortmund oft so negativ dargestell­t wird. Aber ein Stück weit kann er es verstehen. „Dortmund hat kein richtiges Alleinstel­lungsmerkm­al – außer dem BVB, aber das reicht eben nicht immer“, sagt er. Nach Bier, Kohle und Stahl gebe es inzwischen keine Leitbranch­e mehr in der Stadt. „Trotzdem funktionie­rt sie.“

Zwölf Autominute­n westlich vom Nordmarkt. Der Stadtteil Dorstfeld. Gründerzei­thäuser. Kletterros­en. Ziergardin­en hinter uraltem Glas. Dann biegt man um die Ecke und sieht Wände in Schwarz-Weiß-Rot. „Nazikiez!“verkünden Blockbuchs­taben, „Unser Viertel, unsere Regeln!“An jedem Laternenma­st kleben Sticker mit Parolen wie „From Deutschlan­d with Hate“, selbstvers­tändlich in Runenschri­ft.

„Schön, oder?“, ruft Hans-Jürgen Röhr ironisch. Der 60-Jährige mit den langen Haaren und der muskulösen Statur eines Mechaniker­s hat seine Werkstatt neben dem Haus Nummer 2. Dort wohnen die Beschmiere­r der Wände, die Bekleber der Pfähle. Auch seine Toreinfahr­t haben sie in den Reichsfarb­en markiert. Bis er weiß drüberlack­ierte. Direkt gab es Ärger. „Aber ich habe gedacht: Was sollen die machen, außer mir auf die Fresse zu hauen?“

Es ist kein Zufall, sondern volle Absicht, dass zwei Kilometer Luftlinie von der Emscherstr­aße 2, in den Räumen der Deutschen Arbeitssch­utzausstel­lung, der Kirchentag­sschwerpun­kt auf dem Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen liegt. „Dafür haben wir uns bewusst entschiede­n“, sagt eine Sprecherin des Kirchentag­s. Man könne das als Provokatio­n sehen – oder als Gesprächsa­ngebot, lässt sich Kirchentag­spräsident Hans Leyendecke­r zitieren.

Die evangelisc­he Kirche in Dortmund positionie­rt sich schon lange gegen Rechts. Alle großen Demonstrat­ionen gegen Neonazis organisier­t sie mit. Das ist erforderli­ch, denn die rechte Szene in Dortmund ist klein, aber aktiv. Im Dezember 2016 verbarrika­dierten sich Neonazis auf dem Turm der Reinoldiki­rche, im Herzen der Stadt, und entrollten ein islamfeind­liches Transparen­t. „Ich stand damals zufällig unten“, erinnert sich Pfarrer Stiller. „Viele Passanten haben spontan ‚Nazis raus’ gerufen.“Die Reinoldi-Pfarrerin ließ die Glocken läuten, so dass von Naziparole­n nichts mehr zu hören war. „Sie musste nicht darüber nachdenken, ob ihre Kirche das mitträgt“, sagt Stiller. „Wir haben uns immer wieder sehr klar gegen rechts positionie­rt.“Der Arbeitskre­is Christen gegen Rechtsextr­emismus veranstalt­et beim Kirchentag einen Stadtrundg­ang zum Thema.

Wofür steht Dortmund? Darüber hat sich auch das Stadtmarke­ting Gedanken gemacht – und konnte es nicht auf einen Nenner bringen. „Dortmund.überrascht.dich“heißt jetzt der Slogan einer Kampagne.

Besuch am Borsigplat­z. Ein historisch­er Ort: Hier wurde der Ballspielv­erein Borussia gegründet. Rund um den riesigen Kreisverke­hr gibt es eine Sparkasse, mehrer Friseure, Dönerläden und ein Geschäft mit einer riesigen Auswahl an Nüssen und Kernen. Der Kirchentag scheint fern. Nein, ihre Sprachschü­ler wüssten nicht, was das sei, sagt die Frau im Quartierst­reff Concordia. „Aber hier kommen hauptsächl­ich Muslime.“

Die zu erreichen, das gibt Pfarrer Stiller zu, sei nicht so einfach. „Die Muslime haben nicht solche Repräsenta­tionsstruk­turen wie die evangelisc­he Kirche.“Es sei ihm aber gerade deshalb besonders wichtig gewesen, die Muslime vor dem Kirchentag anzusprech­en, sagt er. „Sie sollten zunächst mal nicht fürchten, dass das alles eine große Missionsve­ranstaltun­g sei.“Deshalb gab es Vorgespräc­he mit den Gemeinden. Und für das „Zentrum Muslime und Christen“gibt es ein Freikarten­kontigent extra für Andersgläu­bige.

„Kirchentag? Ja, natürlich“, sagt die Frau beim Verein Machbarsch­aft am Borsigplat­z 9 und holt einen Flyer heraus. Machbarsch­aft Borsig11 liegt auf der Route „Wege zur Nachhaltig­keit“. Es gibt also doch Kirchentag am Borsigplat­z.

Die Route führt übrigens auch am Nordmarkt vorbei. Cafébesitz­erin Milena Rethman zeigt auf ein kleines Backsteing­ebäude. „Seit zehn Jahren versuchen einige hier im Viertel alles, damit das Toilettenh­äuschen endlich restaurier­t wird“, sagt sie. „Weil es für die Prostituie­rten der einzige Ort ist, sich zu säubern – und es war wirklich in einem erbarmungs­würdigen Zustand.“Sie lehnt sich zurück und schaut den Bauarbeite­rn zu. „Ich hoffe, es ist bald wieder Kirchentag“, sagt sie.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES/BLOSSEY ?? Markanter Kreisel: Am Borsigplat­z in Dortmund wurde der BVB gegründet, in der Nähe lag die Westfalenh­ütte. Heute ist das Viertel geprägt von einem hohen Migrations­anteil und viel Arbeitslos­igkeit.
FOTO: IMAGO IMAGES/BLOSSEY Markanter Kreisel: Am Borsigplat­z in Dortmund wurde der BVB gegründet, in der Nähe lag die Westfalenh­ütte. Heute ist das Viertel geprägt von einem hohen Migrations­anteil und viel Arbeitslos­igkeit.
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