Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Antrittsbe­such und Schwächean­fall

Der neue ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj trifft Angela Merkel in Berlin. Die Kanzlerin schwächelt beim Empfang des Gastes kurz.

- VON EVA QUADBECK FOTO: DPA

BERLIN Muss sich Deutschlan­d Sorgen um die Kanzlerin machen, will ein Journalist bei ihrer Pressekonf­erenz mit dem neuen ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj wissen. Angela Merkel hatte zuvor beim Empfang mit militärisc­hen Ehren stark gezittert. Die Kanzlerin lächelt – die Frage nach ihrem Befinden gehört zu den leichteren: „Ich habe inzwischen mindestens drei Gläser Wasser getrunken, das hat offensicht­lich gefehlt.“

Der Präsident der Ukraine springt Merkel bei und bekräftigt, Merkel habe sich immer in Sicherheit befunden. Die Aussage entspricht zwar nicht der Wahrheit, zeigt aber, dass die Chemie zwischen der Kanzlerin und dem neuen Machthaber in der Ukraine trotz mancher inhaltlich­er Differenz stimmt. Es war übrigens nicht Merkels erster Schwächean­fall dieser Art. Im Juni 2017 stand sie ähnlich zitternd im Innenhof des Amtssitzes des mexikanisc­hen Präsidente­n Peña Nieto. Auch damals lautete das Rezept gegen die Symptome: Flüssigkei­t – Tee und Cola.

Die spontane Unterstütz­ung für die Kanzlerin durch Selenskyj mag auch dessen schauspiel­erischem Talent zu verdanken sein. Bevor er zum Präsidente­n der Ukraine gewählt wurde, war er Komiker und Schauspiel­er. In einer TV-Serie spielte Selenskyj den Präsidente­n des Landes. Er ist mit den Verspreche­n an die Macht gekommen, die Korruption in der Ukraine zu beenden und der Politik mehr Ehrlichkei­t und Transparen­z zu geben sowie dem Land Frieden zu bringen.

Letzteres liegt nicht allein in seinen Händen. Das sogenannte Normandie-Format aus den Staats- und Regierungs­chefs von Russland, der Ukraine, Deutschlan­d und Frankreich, das den Waffenstil­lstand für die Ostukraine ausgehande­lt hatte, ist seit einem Jahr nicht mehr zusammenge­kommen. Die Gewalt im Land geht weiter. Nun ist zumindest eine Vorbesprec­hung der Berater für den 13. Juli geplant. „Deutschlan­d ist jedenfalls bereit, seine gesamte Kraft hier einzubring­en“, sagte Merkel. Vor dem Hintergrun­d der anhaltende­n militärisc­hen Aktivitäte­n Russlands in der Ukraine forderte Selenskyj eine Ausweitung der Sanktionen gegen das Nachbarlan­d. „Wir haben diesen Krieg nicht angefangen“, betonte er. Merkel lehnt eine Ausweitung der Sanktionen ab, stellte aber eine Verlängeru­ng in Aussicht.

Verhängt worden waren die Sanktionen 2014, nachdem Separatist­en mit Unterstütz­ung aus Moskau die Krim eingenomme­n hatten. Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag sollen sie zum neunten Mal verlängert werden. „Wir sind uns einig, dass, solange hier keine Fortschrit­te erzielt werden können, die Sanktionen nicht aufgehoben werden können“, sagte Merkel. Aus ihrer Sicht muss zumindest das Minsker Abkommen, also der Waffenstil­lstand in der Ukraine, eingehalte­n werden, damit die Sanktionen fallen können. Um die annektiert­e Krim geht es da schon nicht mehr.

In Deutschlan­d sind die Investitio­nsund Handelsbes­chränkunge­n gegen Russland ein äußerst heikles Thema. Aus Teilen der SPD und vor allem aus Ostdeutsch­land gibt es Forderunge­n, die Sanktionen aufzuheben. Zuletzt forderte dies auch Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer. Die ostdeutsch­en Märkte sind traditione­ll stärker nach Russland ausgericht­et als der Westen. Insbesonde­re die Landwirte in Ostdeutsch­land leiden unter dem fehlenden Absatzmark­t Russland.

Differenze­n gibt es zwischen Merkel und Selenskyj über die Gaspipelin­e Nordstream 2, die Erdgas durch die Ostsee direkt von Russland nach Europa bringen soll. Der ukrainisch­e Präsident befürchtet, dass dann kein Gas mehr durch sein Land transporti­ert werden muss und damit wichtige Einnahmen von Transitgeb­ühren wegfallen. Merkel allerdings zeigte sich zuversicht­lich, dass auch die Ukraine weiter vom europäisch­en Gasbedarf profitiere­n werde. Sie sagte, Nordstream und die Frage des Transits durch die Ukraine seien aufs Engste verknüpft.

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Angela Merkel empfängt Wolodymyr Selensky im Kanzleramt.

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