Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Den Rollstuhl mit Gedanken steuern

In einer Bochumer Studie testen Patienten die Medizintec­hnik der Zukunft.

- VON FLORENTINE DAME

BOCHUM (dpa) Bevor er sich langsam in Bewegung setzt, wird sein Blick starr: Es braucht höchste Konzentrat­ion, um einen Rollstuhl mit den eigenen Gedanken zu steuern. Und es braucht eine Menge Elektroden, innovative Medizin- und Computerte­chnik und viel Grundlagen­forschung. Manouchehr Sarshar ist seit einem Autounfall vor knapp zehn Jahren querschnit­tsgelähmt und nimmt teil an einer Untersuchu­ng am Universitä­tsklinikum Bergmannsh­eil in Bochum. Die dortigen Mediziner wollen gemeinsam mit Experten der Technische­n Hochschule Lausanne in einer der ersten klinischen Studien mit Betroffene­n herausfind­en, wie die bislang überwiegen­d im Labor getestete Technik funktionie­rt – in einer realitätsn­ahen Umgebung und mit echten Patienten. Erste Erfolge können sie präsentier­en. Der Versuch zeigt aber auch: Bis die Mensch-Maschine-Technik im Alltag von Gelähmten für Autonomie sorgen kann, ist es noch ein weiter Weg.

An diesem Montag präsentier­t der 59-Jährige Probant Sarshar, was er zwei Monate intensiv geübt hat: Er kann einen intelligen­ten Rollstuhl durch einen Parcours aus Hütchen steuern. Möglich ist das durch eine sogenannte Gehirn-Computer-Schnittste­lle. Hirnaktivi­tät lässt sich durch Vorstellun­gen oder Aufmerksam­keit lenken. Die hierdurch ausgelöste­n Veränderun­gen von elektrisch­en Hirnwellen sind mit Elektroden auf der Schädeldec­ke messbar und lassen sich in Befehle übersetzen. Wenn Sarshar sich nun vorstellt, er bewege die Füße oder Hände, übersetzt der Computer diese Impulse in den Befehl, links oder rechts zu fahren. Gemessen wird die Hirnaktivi­tät mit 32 Elektroden in einer Haube, die er wie eine schwarz-rosa-Badekappe auf dem Kopf trägt.

Rollstühle mit Gedankenst­euerung oder Greifarme, die mittels Hirnimplan­taten zupacken können: Vor etwa zwei Dekaden begannen Forscher, die Science-Fiction-Idee von einer direkten Gedankenüb­ertragung auf Roboter, Prothesen oder Rollstühle Schritt für Schritt Wirklichke­it werden zu lassen. Viele setzen dabei auf Elektroden auf der Schädeldec­ke, wie bei Sarshar. Vorwiegend in den USA wird auch an invasiven Methoden gearbeitet, bei denen – allerdings unter hohem Infektions­risiko – Elektroden in oder auf das Gehirn implantier­t werden.

Kaum Forschung gibt es bisher mit Betroffene­n unter realitätsn­ahen Bedingunge­n, betonen Experten. Bisher wisse man aus Studien beispielsw­eise gar nicht, bei welchen Patienten die Technologi­e funktionie­re. Auch gehe es darum, Alltagshür­den zu meistern: So mussten Beatmungsg­eräte, auf die manche der Teilnehmer angewiesen sind, erst so eingestell­t werden, dass sie die Elektroden­messung nicht störten. Ein weiterer Aspekt sei, dass ein solches Forschungs­projekt mit regelmäßig­em Training einen enormen Kraftakt für die Testperson­en bedeute. „Wenn ich in der Zukunft mal so jemanden auf der Straße sehe, wie er einen Rollstuhl steuert, dann bin ich glücklich, hier mitgewirkt zu haben“, sagt Sarshar. Doch wie lange das noch dauert, ist nicht absehbar. „Wir müssen noch viele Defizite ausräumen bis wir Betroffene­n flächendec­kend helfen können“, sagt Rüdiger Rupp vom Universitä­tsklinikum Heidelberg.

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