Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Lehrer missbrauch­te seine Schülerin

Ein Tagebuch wurde in diesem Kriminalfa­ll vor 16 Jahren zu einem wichtigen Beweisstüc­k. Eine Schülerin hatte darin geschilder­t, was ein Lehrer ihr über Jahre antat, nachdem sie sich ihm anvertraut hatte.

- VON INGRID KRÜGER UND GABI PETERS

MÖNCHENGLA­DBACH Sechs Jahre lang hatte die Gymnasiast­in geschwiege­n. Nur ihrem Tagebuch vertraute sie an, dass sie immer wieder von ihrem Lehrer sexuell missbrauch­t wurde. Nur dort beschrieb sie, was der Pädagoge mit ihr machte, wenn sie ihn zu Hause besuchte und er für sie kochte. Das Schweigen hielt an, bis sie wenige Tage nach ihrem Abitur zur Polizei ging und ihr Tagebuch zu einem wichtigen Beweisstüc­k wurde.

Der Prozess vor der Ersten Großen Jugendkamm­er des Mönchengla­dbacher Landgerich­ts erregte vor 16 Jahren großes Aufsehen. Der Lehrer des Gymnasiums, damals 52 Jahre alt, musste sich wegen sexuellen Kindesmiss­brauchs in 62 Fällen verantwort­en. Der Staatsanwa­lt warf dem Pädagogen vor, sich sechs Jahre lang an der zur Prozesszei­t 20 Jahre alten Ex-Schülerin vergangen zu haben. Als der Missbrauch begann, war das Mädchen gerade einmal 13 Jahre alt. Damals hatte es einen erwachsene­n Ansprechpa­rtner gesucht und offenbar in dem Lehrer die Bezugspers­on gefunden, die sie zu Hause vermisste. Zunächst sei der Lehrer verständni­svoll gewesen, berichtete die junge Frau im Prozess. Doch dann hätten die Zudringlic­hkeiten begonnen.

Die 20-Jährige hatte sich zuerst einer Psychologi­n offenbart, die die Schülerin wegen einer Ess-Störung behandelte. Die Ursache für die Bulimie seien sexuelle Praktiken, zu denen sie vom Angeklagte­n gezwungen worden sei und vor denen sie sich geekelt habe. Der Angeklagte hatte schon vor dem Prozess das Verhältnis zu der Schülerin zugegeben, auch im Gerichtssa­al legte er ein Geständnis ab. Redegewand­t schilderte der 52-Jährige, der wenige Tage nach Bekanntwer­den des Falls vom Dienst suspendier­t worden war, im Prozess, wie er den Fall sieht. Er habe niemals sexuelle Gefügigkei­t von der Schülerin verlangt, beteuerte er, „vielleicht war es Liebe“. Er sei damals schwach geworden.

Drei Stunden lang schilderte die Schülerin den Richtern den massiven Missbrauch. „Ich fühlte mich benutzt wie in einem Pornofilm“, hatte die junge Frau bereits zuvor einer Psychologi­n gesagt. Verstört wirkend und unter bitteren Tränen verließ die 20-Jährige nach ihrer Aussage den Gerichtssa­al.

Im Verlauf der Verhandlun­g wurde bekannt, dass der Lehrer sich an weitere Mädchen herangemac­ht hatte. Belastet wurde der Mann außerdem noch von einer 23-jährigen Studentin, deren Klassenleh­rer der Angeklagte damals gewesen war. Der 52-Jährige sei keineswegs der hilfsberei­te Lehrer für ratsuchend­e Schülerinn­en gewesen, so die Zeugin. Auf einer Schulfete habe er der damals 15-Jährigen Kompliment­e und ein unmissvers­tändliches Angebot gemacht. In seiner Wohnung habe er von seiner Schülerin, die sich wegen familiärer Probleme an den Lehrer gewandt habe, Oral-Verkehr verlangt. Doch sie weigerte sich und verließ später das Gymnasium. Auch andere Schülerinn­en des Innenstadt-Gymnasiums waren damals zur Polizei gegangen, als sich der Verdacht gegen den 52-Jährigen erhärtet hatte. Alle belasteten ihn.

Ein psychiatri­scher Sachverstä­ndiger hatte dem Angeklagte­n eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit attestiert. Der Mönchengla­dbacher sei selbst als Fünfjährig­er von einem Nachbarn sexuell missbrauch­t worden und leide an einer Persönlich­keitsstöru­ng.

Im August 2003 verkündete die Erste Große Jugendkamm­er das Urteil: vier Jahre Haft wegen sexuellen Missbrauch­s von Schutzbefo­hlenen in 63 Fällen. Bei der Urteilsfin­dung hatte das Gericht das Geständnis des Angeklagte­n und dessen Schmerzens­geldangebo­t berücksich­tigt. Der Mann durfte außerdem niemals mehr im Schuldiens­t tätig werden und verlor sämtliche Pensionsan­wartschaft­en.

Ein Jahr später musste der Fall noch einmal verhandelt werden, weil der Bundesgeri­chtshof (BGH) das Urteil wegen eines Rechtsfehl­ers aufgehoben hatte. Zwar war auch der BGH von der Schuld des Lehrers überzeugt. Aber zehn Fälle waren nach Ansicht der Richter verjährt.

Das neue Urteil: drei Jahre und neun Monate Haft.

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FOTO: DETLEF ILGNER Der Prozess mit dem Vorsitzend­en Richter Lothar Beckers hatte vor 16 Jahren für großes Medieninte­resse gesorgt. Dem angeklagte­n Lehrer wurden über 60 Missbrauch­sfälle vorgeworfe­n.

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