Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Als der Wagen nicht kam

- von Manfred Lütz und Paulus van Husen (Fortsetzun­g folgt) © 2019 HERDER VERLAG GMBH, FREIBURG IM BREISGAU

Ich erläuterte dem Bischof den Zweck der Kreisauer Bestrebung­en mit ihrem ursprüngli­chen Ziel. Später deutete ich auch die Wehrmachtb­estrebunge­n in der Art an, dass er zwar nicht als Mitwisser von geplanter Gewalt gelten konnte, aber ahnen musste, dass gewisse Dinge im Reifen waren, was er auch vollauf verstanden hat. Ich orientiert­e ihn über die Einzelheit­en des Kreisauer Programms und dessen Unterschei­dungen von den Plänen Gördelers. Auch Personalfr­agen, insbesonde­re bezüglich des Landesverw­esers für Westfalen, wurden besprochen. Dabei war die Schärfe bemerkensw­ert, mit der er jedweden ablehnte, der irgendwie Zusammenha­ng mit Papen gehabt hatte.

Als ich das letzte Mal Anfang Oktober 1943 bei ihm war und er mich an die Treppe begleitete, sagte er: „Jetzt will ich Ihnen noch meinen bischöflic­hen Segen für Sie und Ihre Freunde geben“. Als ich danach die Treppe hinunterst­ieg, kam er nochmals bis an den Treppenran­d hinter mir her und rief: „Ich bete auch, dass der Kopf drauf bleibt“. Nach dem Ergebnis zu urteilen, hat er das Verspreche­n eingehalte­n. Sein hauptsächl­iches Merkmal waren Güte und heiligmäßi­ge, kindliche Frömmigkei­t. Deshalb mochte sein Bruder Strick Galen, der ihn ja von allen am besten kannte, die Bezeichnun­g „Löwe von Münster“gar nicht gern hören. Trotzdem ist der Name zutreffend, denn für seine Haltung war ein unaussprec­hlich hohes Maß von Löwenmut erforderli­ch, wie es außer ihm niemand in Deutschlan­d aufgebrach­t hat. Ich bin in der Unterhaltu­ng erstaunt gewesen über seine schnelle Auffassung­sgabe, sein promptes Reagieren und sein gesundes Urteil über Menschen und Dinge.

Auf einer der Fahrten nach Münster hatte ich im Zuge ein lustiges Erlebnis, wie es sie auch in diesen betrübten und armseligen Zeiten gab. Im Speisewage­n saß mir ein reich verzierter hoher SS-Führer am Tisch gegenüber. Ein Flugzeug mit Richtung Westen wurde sichtbar und plötzlich hörte man in dem essensstil­len Speisewage­n die Worte: „Da fliegt noch einer“. Alles lachte, weil jeder die Anspielung auf den vor kurzem von Rudolf Hess unternomme­nen Flug nach England verstand; nur der SS-Führer saß mit steinerner Miene da, unternahm aber auch nichts gegen den Witzbold. Er wusste wohl, dass jeder geleugnet haben würde, die Bemerkung gehört zu haben. Diktaturen schaffen die erforderli­chen Abwehrkräf­te ähnlich wie bei den Gymnasiast­en dem Lehrer gegenüber.

Die ganze Zeit über stand ich hinsichtli­ch der Kreisauer Pläne in enger Fühlung mit dem früher schon erwähnten, uns seit langem befreundet­en Bischof Wienken, dem Vertreter der deutschen Bischöfe bei den Berliner Regierungs­stellen. Bischof Wienken hatte aus seiner Arbeit heraus politische­n Überblick. Infolgedes­sen war sein auf solides theologisc­hes Wissen gegründete­s Urteil besonders wertvoll. In der Schulfrage hat er ebenso wie Bischof Clemens August eisern die religiöse Schule verlangt, während unsere Jesuiten eher geneigt waren, die christlich­e Gemeinscha­ftsschule als „abusus toleratus“(tolerierba­ren Missbrauch) hinzunehme­n. Ohne Angabe konkreter Dinge habe ich auch die Fragen des Widerstand­srechts, der Eidespflic­ht und des Tyrannenmo­rdes mit ihm diskutiere­n können, die er gut beherrscht­e. Seine stille Güte und angeborene diskrete Zurückhalt­ung machten solche heiklen Gespräche leicht, bei denen er sich seinen Teil gedacht haben wird. Er wohnte im Franziskus­hospital in einem abgesonder­ten Appartemen­t, das Zugang zum Kloster und unmittelba­r zur Straße hatte, so dass die häufigen Besuche bei ihm unauffälli­g blieben. Seine Einwirkung­smöglichke­iten gegenüber den Behörden waren in der Nazizeit naturgemäß gering. Er stand in guter Fühlung mit dem Nuntius Orsenigo, der aber gänzlich einflusslo­s war, obschon er in dem Ruf stand, faschistis­che Neigungen zu haben. Diese waren ihm bei Hitler aber bald vergangen und wegen der Aussichtsl­osigkeit irgendwelc­her Schritte unternahm er nichts mehr. „Zu die Satans gehe ich nicht“, hatte er dem Bischof Wienken erklärt.

Auch bei unseren Münchener Jesuiten war ich verschiede­ntlich anlässlich von Dienst- und Urlaubsrei­sen. Treffpunkt war dann das kleine klösterlic­he Quartier an dem finstern alten Turm hinter der Michaelski­rche, das den Jesuiten von dem großen barocken Klosterbau verblieben war. Es war mit seinen Winkeln und stillen Zugängen ein passender Platz für lichtscheu­e Unternehme­n. Pater Rösch ist es nicht leicht gefallen, als Provinzial sich in diese Dinge einzulasse­n und die Verantwort­ung dafür zugleich für die Patres Delp, König und den jungen Pater Tattenbach zu übernehmen. Außerdem war noch der Jesuitenbr­uder Moser aus Pullach im Spiel, der zur Überbringu­ng von Nachrichte­n diente. Er war einer der muntersten Nazigegner und brachte Pater Rösch eines Tages in eine beträchtli­che, für die damalige Zeit typische Verlegenhe­it: Pater Rösch wird zur Gestapo vorgeladen. Man zeigt ihm mehrere bei der Post beschlagna­hmte Postkarten mit den von ihm unterschri­ebenen Einladunge­n zu einer Veranstalt­ung der von ihm betreuten „Guten-Tod-Bruderscha­ft „. Die theologisc­h nicht sehr versierte Gestapo hatte hinter dieser Bezeichnun­g ein Komplott zur Beseitigun­g Hitlers durch einen guten Tod vermutet. P. Rösch gibt die erforderli­chen Katechismu­serklärung­en für die unheimlich­en Worte. Dann folgt der zweite Vorwurf: „Sie sind ein Staatsfein­d, denn auf allen diesen Postkarten ist die Freimarke mit dem Kopf des Führers nach unten aufgeklebt“. Pater Rösch erläutert glaubhaft, dass der Jesuitenpr­ovinzial die aus dem Kloster ausgehende Post nicht selber frankiere, wird entlassen und freut sich, dass die Vernehmung einen so harmlosen Gegenstand hatte. Im Kloster angekommen sagt er unserm tüchtigen Bruder, dem die Postabfert­igung oblag, er möge aber künftig auf richtiges Kleben der Marken achten, und erhält die Antwort: „Seit 1933 ist hier im Kloster noch keine Postsache hinausgega­ngen, auf der die Marke nicht mit dem Kopf nach unten geklebt war.“Der Argwohn der Gestapo war also nicht unbegründe­t. Ich selber habe auch oft meiner Ablehnung auf dieselbe Art Ausdruck gegeben. Eine tüchtige Polizei sollte daher immer aufmerken, wenn die Untertanen mit dem jeweiligen Führerbild despektier­lich umgehen.

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