Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Als der Wagen nicht kam
Ich erläuterte dem Bischof den Zweck der Kreisauer Bestrebungen mit ihrem ursprünglichen Ziel. Später deutete ich auch die Wehrmachtbestrebungen in der Art an, dass er zwar nicht als Mitwisser von geplanter Gewalt gelten konnte, aber ahnen musste, dass gewisse Dinge im Reifen waren, was er auch vollauf verstanden hat. Ich orientierte ihn über die Einzelheiten des Kreisauer Programms und dessen Unterscheidungen von den Plänen Gördelers. Auch Personalfragen, insbesondere bezüglich des Landesverwesers für Westfalen, wurden besprochen. Dabei war die Schärfe bemerkenswert, mit der er jedweden ablehnte, der irgendwie Zusammenhang mit Papen gehabt hatte.
Als ich das letzte Mal Anfang Oktober 1943 bei ihm war und er mich an die Treppe begleitete, sagte er: „Jetzt will ich Ihnen noch meinen bischöflichen Segen für Sie und Ihre Freunde geben“. Als ich danach die Treppe hinunterstieg, kam er nochmals bis an den Treppenrand hinter mir her und rief: „Ich bete auch, dass der Kopf drauf bleibt“. Nach dem Ergebnis zu urteilen, hat er das Versprechen eingehalten. Sein hauptsächliches Merkmal waren Güte und heiligmäßige, kindliche Frömmigkeit. Deshalb mochte sein Bruder Strick Galen, der ihn ja von allen am besten kannte, die Bezeichnung „Löwe von Münster“gar nicht gern hören. Trotzdem ist der Name zutreffend, denn für seine Haltung war ein unaussprechlich hohes Maß von Löwenmut erforderlich, wie es außer ihm niemand in Deutschland aufgebracht hat. Ich bin in der Unterhaltung erstaunt gewesen über seine schnelle Auffassungsgabe, sein promptes Reagieren und sein gesundes Urteil über Menschen und Dinge.
Auf einer der Fahrten nach Münster hatte ich im Zuge ein lustiges Erlebnis, wie es sie auch in diesen betrübten und armseligen Zeiten gab. Im Speisewagen saß mir ein reich verzierter hoher SS-Führer am Tisch gegenüber. Ein Flugzeug mit Richtung Westen wurde sichtbar und plötzlich hörte man in dem essensstillen Speisewagen die Worte: „Da fliegt noch einer“. Alles lachte, weil jeder die Anspielung auf den vor kurzem von Rudolf Hess unternommenen Flug nach England verstand; nur der SS-Führer saß mit steinerner Miene da, unternahm aber auch nichts gegen den Witzbold. Er wusste wohl, dass jeder geleugnet haben würde, die Bemerkung gehört zu haben. Diktaturen schaffen die erforderlichen Abwehrkräfte ähnlich wie bei den Gymnasiasten dem Lehrer gegenüber.
Die ganze Zeit über stand ich hinsichtlich der Kreisauer Pläne in enger Fühlung mit dem früher schon erwähnten, uns seit langem befreundeten Bischof Wienken, dem Vertreter der deutschen Bischöfe bei den Berliner Regierungsstellen. Bischof Wienken hatte aus seiner Arbeit heraus politischen Überblick. Infolgedessen war sein auf solides theologisches Wissen gegründetes Urteil besonders wertvoll. In der Schulfrage hat er ebenso wie Bischof Clemens August eisern die religiöse Schule verlangt, während unsere Jesuiten eher geneigt waren, die christliche Gemeinschaftsschule als „abusus toleratus“(tolerierbaren Missbrauch) hinzunehmen. Ohne Angabe konkreter Dinge habe ich auch die Fragen des Widerstandsrechts, der Eidespflicht und des Tyrannenmordes mit ihm diskutieren können, die er gut beherrschte. Seine stille Güte und angeborene diskrete Zurückhaltung machten solche heiklen Gespräche leicht, bei denen er sich seinen Teil gedacht haben wird. Er wohnte im Franziskushospital in einem abgesonderten Appartement, das Zugang zum Kloster und unmittelbar zur Straße hatte, so dass die häufigen Besuche bei ihm unauffällig blieben. Seine Einwirkungsmöglichkeiten gegenüber den Behörden waren in der Nazizeit naturgemäß gering. Er stand in guter Fühlung mit dem Nuntius Orsenigo, der aber gänzlich einflusslos war, obschon er in dem Ruf stand, faschistische Neigungen zu haben. Diese waren ihm bei Hitler aber bald vergangen und wegen der Aussichtslosigkeit irgendwelcher Schritte unternahm er nichts mehr. „Zu die Satans gehe ich nicht“, hatte er dem Bischof Wienken erklärt.
Auch bei unseren Münchener Jesuiten war ich verschiedentlich anlässlich von Dienst- und Urlaubsreisen. Treffpunkt war dann das kleine klösterliche Quartier an dem finstern alten Turm hinter der Michaelskirche, das den Jesuiten von dem großen barocken Klosterbau verblieben war. Es war mit seinen Winkeln und stillen Zugängen ein passender Platz für lichtscheue Unternehmen. Pater Rösch ist es nicht leicht gefallen, als Provinzial sich in diese Dinge einzulassen und die Verantwortung dafür zugleich für die Patres Delp, König und den jungen Pater Tattenbach zu übernehmen. Außerdem war noch der Jesuitenbruder Moser aus Pullach im Spiel, der zur Überbringung von Nachrichten diente. Er war einer der muntersten Nazigegner und brachte Pater Rösch eines Tages in eine beträchtliche, für die damalige Zeit typische Verlegenheit: Pater Rösch wird zur Gestapo vorgeladen. Man zeigt ihm mehrere bei der Post beschlagnahmte Postkarten mit den von ihm unterschriebenen Einladungen zu einer Veranstaltung der von ihm betreuten „Guten-Tod-Bruderschaft „. Die theologisch nicht sehr versierte Gestapo hatte hinter dieser Bezeichnung ein Komplott zur Beseitigung Hitlers durch einen guten Tod vermutet. P. Rösch gibt die erforderlichen Katechismuserklärungen für die unheimlichen Worte. Dann folgt der zweite Vorwurf: „Sie sind ein Staatsfeind, denn auf allen diesen Postkarten ist die Freimarke mit dem Kopf des Führers nach unten aufgeklebt“. Pater Rösch erläutert glaubhaft, dass der Jesuitenprovinzial die aus dem Kloster ausgehende Post nicht selber frankiere, wird entlassen und freut sich, dass die Vernehmung einen so harmlosen Gegenstand hatte. Im Kloster angekommen sagt er unserm tüchtigen Bruder, dem die Postabfertigung oblag, er möge aber künftig auf richtiges Kleben der Marken achten, und erhält die Antwort: „Seit 1933 ist hier im Kloster noch keine Postsache hinausgegangen, auf der die Marke nicht mit dem Kopf nach unten geklebt war.“Der Argwohn der Gestapo war also nicht unbegründet. Ich selber habe auch oft meiner Ablehnung auf dieselbe Art Ausdruck gegeben. Eine tüchtige Polizei sollte daher immer aufmerken, wenn die Untertanen mit dem jeweiligen Führerbild despektierlich umgehen.