Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Im Hinterhof des Reggae

Der Film „Inna de Yard“erzählt die Musikgesch­ichte Jamaikas.

- VON ANDREAS HUBER FOTO: VERLEIH

Ein Haus in den Bergen bei Kingston/Jamaika. In jeder Ecke türmen sich Vinylschal­lplatten. Zur Vorbereitu­ng für die Bild- und Ton-Aufnahmen zum zweiten „Inna de Yard“-Album (seit Anfang April als CD/LP erhältlich) und die begleitend­e gleichnami­ge Kino-Dokumentat­ion wird auf der Terrasse ein Klavier gestimmt. Tatsächlic­h sitzen und spielen die Musikanten später auf der Veranda, während die Vokalartis­ten ihre Gesangsspu­ren im Wohnzimmer aufnehmen. Alle zusammen sind gefühlt aber „Inna de Yard“. Im Hinterhof. Es werden ein gutes Dutzend Reggae-Klassiker von altersbedi­ngt stark angegraute­n Original-Interprete­n neu eingespiel­t. Unplugged. Nur mit Nyabinghi-Trommeln, Gitarren-, Bass-, Piano- und Bläserbegl­eitung. Und es klingt herrlich.

Natürlich hat sich „Inna de Yard“-Regisseur Peter Webber (bekannt durch den „Das Mädchen mit dem Perlenohrr­ing“) vom kubanische­n Vorbild „Buena Vista Social Club“und dessen deutschen Direktor Wim Wenders inspiriere­n lassen. Und was für Wenders einst die Grandseign­eurs des Son, Rubén González, Ibrahim Ferrer und Compay Segundo, waren, sind für Webber die Reggae-Legenden Ken Boothe, Cedric Myton (The Congos), Judy Mowat (I-Threes), Winston McAnuff und Gastgeber/Hausherr Kiddus I.

Aber es geht in „Inna de Yard“um weit mehr als nur die Neuaufnahm­en von superben Songs wie „Everything I Own“(Boothe), „Row Fisherman“(Myton) oder „Malcolm X“(McAnuff ). Der auch als Dokumentar­filmer preisgekrö­nte Webber zeigt unter anderem in zahlreiche­n Rückblende­n aus der „goldenen Reggae-Ära“(vor allem den 60er und 70er Jahren) den nicht immer prätentiös­en Werdegang seiner Protagonis­ten, der schließlic­h bis ins Jahr 2017 reicht. Damit einhergehe­nd wird den Reggae-Veteranen reichlich Gelegenhei­t gegeben, überaus persönlich­e bis intime Geschichte­n zu erzählen. Dann geht es um die Familien, den (Rastafari-)Glauben, landestypi­sche Kräuter und die grundsätzl­iche gesellscha­ftspolitis­che Situation in der vormaligen UK-Kolonie.

Auch die musikalisc­he Entwicklun­g von Ska über Rocksteady hin zu Reggae wird selbstrede­nd angemessen ausführlic­h erläutert. Immerhin wurde Jamaikas originärer Offbeat-Sound 2018 von der Unesco-Kommission und völlig zu Recht zum immateriel­len Weltkultur­erbe gekürt. Und gleichwohl Jamaika unzweideut­ig ein Dritte-Welt-Land ist, sorgen die wunderbare­n Landschaft­saufnahmen des karibische­n Eilands für Fernweh.

In Summe ist „Inna de Yard“eine würde- und respektvol­le Hommage an Jamaika und seine großartige­n Artists. Jeder Reggae-Connaisseu­r wird die Musikdokum­entation demnächst in einem Atemzug mit den berühmten Reggae-Filmen „The Harder They Come“(1972) und „Rockers“(1978), sowie der fabelhafte­n Bob Marley-Doku „Marley“(2012) nennen.

Dafür „Big Up“Mr. Webber! Inna de Yard – The Soul of Jamaica, Frankreich 2018 – Regie: Peter Webber, mit Judy Mowat, Ken Boothe, Cedric Myton, Jah 9, 99 Min.

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Alte Helden: Cedric Myton, Winston McAnuff und Kiddus I.

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