Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Weit weg vom Klimaziel

Eine Studie des Umweltbund­esamtes zeigt: Die Ausbauziel­e der Bundesregi­erung sind nicht zu halten, wenn neue Windräder 1000 Meter Mindestabs­tand zu Wohnsiedlu­ngen einhalten müssen. Der Ton in der Koalition wird schärfer.

- VON JAN DREBES

Das Umweltbund­esamt (UBA) hat die Bundesregi­erung eindringli­ch davor gewarnt, allgemein gültige Mindestabs­tände für Windkrafta­nlagen einzuführe­n. „Jede pauschale Abstandsre­gelung von 1000 Metern zu Wohngebäud­en führt unabhängig von der Gebäudezah­l dazu, dass die Ausbauziel­e für Windkrafta­nlagen bis 2030 nicht erreicht werden können“, mahnte Maria Krautzberg­er, Präsidenti­n der Behörde. Sie verlangt nun sogar, das von der Bundesregi­erung geschnürte Klimapaket noch einmal zu öffnen und die entspreche­nden Pläne anzupassen. „Die Regelungen im Klimapaket sind in dieser Hinsicht kontraprod­uktiv und sollten geändert werden“, sagte Krautzberg­er unserer Redaktion.

Dabei stützt sich die UBA-Chefin auf eine neue Studie, die von der Bundesregi­erung in Auftrag gegeben wurde. Bis 2030 sollen eigentlich rund 67 bis 71 Gigawatt Windenergi­e an Land installier­t werden. Aus der noch unveröffen­tlichten

Analyse geht nun hervor, dass dieses Ausbauziel mit den aktuell ausgewiese­nen Flächen nur theoretisc­h erreichbar wäre. Derzeit ist in ganz Deutschlan­d eine Fläche von rund 3100 Quadratkil­ometern für die Windenergi­enutzung vorgesehen – ein knappes Prozent des Bundesgebi­etes. Tatsächlic­h können Windanlage­nbetreiber laut Studie aber nur einen kleinen Teil davon nutzen, strengere Abstandsre­geln würden den Ausbau zusätzlich bremsen.

Die Ausbauziel­e sind jedoch wichtig, um die Klimaziele 2030 zu erreichen. „Wir brauchen nicht weniger, sondern dringend mehr und vor allem tatsächlic­h nutzbare Flächen für die Windenergi­e an Land“, sagte Krautzberg­er. Das gehe am besten mit einer Einzelfall­abwägung vor Ort entlang klarer Leitlinien – und nicht über die Ausweitung pauschaler Mindestabs­tände.

Damit kritisiert Krautzberg­er sowohl den Kurs von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) als auch die Verhandlun­gslinie von Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD). Altmaier sieht in einem Gesetzentw­urf zum Kohleausst­ieg vor, dass Windräder künftig mindestens 1000 Meter von Wohnsiedlu­ngen entfernt sein sollen, um die Akzeptanz bei Anwohnern zu vergrößern. So weit sind sich Union und SPD einig.

Doch Altmaier will, dass der Abstand bereits ab mehr als fünf Häusern gelten soll, selbst wenn diese erst noch gebaut werden könnten. Gemeinsame Pläne der Koalition hatten das nicht genauer definiert, entspreche­nd groß ist nun der Ärger. SPD, Opposition sowie Wirtschaft­sund Umweltverb­ände laufen Sturm gegen den Entwurf aus dem Wirtschaft­sministeri­um.

„Altmaier muss sich jetzt entscheide­n, ob er Politik für die Anti-Windkraft-Taliban in seiner eigenen Partei macht oder ob er für die Arbeitsplä­tze in der Windbranch­e kämpft“, sagte etwa Grünen-Fraktionsv­ize Oliver Krischer. Kritiker wie er verweisen auch immer wieder darauf, dass bei anderen Anlagen wie Kraftwerke­n längst nicht so strenge Abstandsre­geln gelten – einige Beispiele dafür finden Sie in der Grafik auf dieser Seite.

Aus dem Umweltmini­sterium hieß es zurückhalt­end, man habe noch Gesprächsb­edarf. Die Verhandlun­gen sind aber dem Vernehmen nach zäh. Denn auch die Unionsfrak­tion macht Druck auf Altmaier. Der Vorsitzend­e der Mittelstan­dsunion, Carsten Linnemann (CDU), sagte dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d, Mindestabs­tände könnten helfen, Konflikte vor Ort zu befrieden und damit die Akzeptanz von

Windrädern zu stärken. „Wir dürfen die Menschen in den ländlichen Regionen nicht alleinlass­en, wenn es darum geht, die Lasten der Energiewen­de zu tragen.“Altmaier selbst verteidigt­e die Pläne. Die Union und die SPD hätten gemeinsam beschlosse­n, Hinderniss­e für Genehmigun­gen von Windparks abzubauen, aber gleichzeit­ig auch die berechtigt­en Sorgen vieler Menschen ernst zu nehmen, sagte Altmaier am Dienstag im Deutschlan­dfunk. Viele Anwohner empfänden die Errichtung von Windrädern „als Beeinträch­tigung ihrer Lebensqual­ität“.

Offiziell heißt es aus beiden miteinande­r ringenden Ministerie­n, dass man schnellstm­öglich eine Lösung anstrebe. Zumal die Zeit drängt: Um die geplanten Gesetze rechtzeiti­g auf den Weg bringen zu können, müsste der Entwurf Anfang Dezember vom Bundeskabi­nett verabschie­det werden. Zuvor müssen jedoch noch die Länder und die Verbände angehört werden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es ohne Fristverkü­rzungen nicht gehen wird.

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