Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Viele Diabetiker sind zu unbekümmert
Diabetes-Patienten wissen oft nicht genug über ihre Krankheit. Im Neuwerker Krankenhaus wollen Fachkräfte das ändern.
NEUWERK Die eindrucksvollen größeren oder kleineren Anhäufungen von Würfelzucker hat Siegfried Rosenow nicht vergessen. Damit hat Diabetesberaterin Nuriye Dilara Ince ihm und seiner Frau vor Augen geführt, wie viel Zucker in den verschiedenen Speisen und Getränken enthalten ist. „Meine Frau erinnert mich jetzt immer wieder daran“, sagt Rosenow und lacht. Der 80-Jährige ist seit 30 Jahren Diabetiker und glaubte, ausreichend über seine Krankheit informiert zu sein. Bis er völlig unterzuckert auf dem Weg aus dem Garten ins Haus auf der Kellertreppe bewusstlos zusammenbrach und hinunterstürzte. „Ich dachte immer, ich hätte alles im Griff. Dass ich hin und wieder unterzuckert war, nahm ich nicht so wichtig“, sagt Rosenow.
Der Sturz aber führt zum Umdenken. Rosenow hatte Glück. Er hat sich nicht schwer verletzt, aber es hätte auch anders enden können. Auch wenn sie nicht zur Bewusstlosigkeit führt, ist Unterzuckerung nicht ungefährlich. Der Körper schüttet Stresshormone aus, Zittern, Nervosität, Schwitzen sind die Folge. Das Herz-Kreislauf-System wird in Mitleidenschaft gezogen. Herzrhythmusstörungen sind möglich. Unterzuckerung sollten Diabetiker nicht auf die leichte Schulter nehmen. Siegfried Rosenow hat sie oft einfach hingenommen. „Ich war in einem Quartal 23 Mal unterzuckert“, stellt er heute selbstkritisch fest.
Im Diabeteszentrum des Krankenhauses Neuwerk wird er elf Tage lang neu eingestellt. Er bekommt ein anderes Insulin. „Es gibt ein breites Spektrum an Insulinen, und es ist wichtig, für jeden Patienten die richtige Form zu finden“, erklärt Bernhard
Losem, der leitende Oberarzt. Überhaupt ist Individualität ein wichtiger Begriff in der modernen Diabetesbehandlung. „Früher wurde die Ernährung dem Insulin angepasst“, sagt der Diabetologe. „Heute richtet sich die Behandlung nach dem Lebensrhythmus des Patienten.“Also zum Beispiel danach, wie viele Zwischenmahlzeiten er einnimmt.
Rosenow bekommt außerdem eine moderne, benutzerfreundliche Insulinpumpe. Diese liefert ihm genau die Werte, die er kennen muss. Und er bekommt Informationen. Dafür ist Diabetesberaterin Ince zuständig. Sie führt Individualschulungen durch und erklärt den Betroffenen, wie ihr Körper reagiert, wie die Krankheit sich auswirkt und was die Ernährung damit zu tun hat. Zum Beispiel indem sie Zuckerwürfel vor den Patienten aufbaut. „Viele wissen nicht wirklich, was Kohlenhydrate sind“, erklärt die erfahrene Krankenschwester. Auch nicht, dass die Injektion nicht immer an derselben Stelle gesetzt werden soll. „Dort entstehen sonst eine Art Knubbel unter der Haut und das Insulin wirkt schlechter“, sagt sie.
Aufklärung und Wissen über die Krankheit sind bei Diabetes von großer Bedeutung. „Die Diabetesberaterin ist ein besonders wichtiges Mitglied in unserem Team“, stellt Prof. Dinko Berkovic, Chefarzt der Inneren Klinik des Krankenhauses Neuwerk, fest. „Entscheidend ist auch, dass die Angehörigen eingebunden werden. Gerade die Ehepartner
müssen wissen, worauf bei der Ernährung zu achten ist.“
Bei Nuriye Dilara Ince kommt hinzu, dass sie fließend türkisch spricht, türkische Gewohnheiten kennt und so als Ansprechpartnerin für türkische Diabetespatienten fungieren kann. „In türkischen Familien gibt es zum Beispiel die Gewohnheit, nach dem Abendessen noch einen großen Früchteteller auf den Tisch zu stellen“, sagt sie. „An den Fruchtzucker wird dabei nicht gedacht.“
Das Krankenhaus Neuwerk hat
sich vor einigen Jahren entschlossen, einen Schwerpunkt im Bereich Diabetologie zu setzen. „In Mönchengladbach gibt es eine besonders hohe Zahl von Diabetikern“, erklärt der Chefarzt. „Mit zwölf Prozent liegen wir deutlich über dem Bundesdurchschnitt.“Das Krankenhaus wurde 2016 als besonders für Diabetiker geeignet zertifiziert. Alle Patienten, egal mit welcher Erkrankung sie kommen, werden auf Diabetes untersucht. Das Ergebnis: 30 Prozent leiden unter Diabetes. Bei Therapie, Ernährung und Pflege kann darauf besonders Rücksicht genommen werden. Bis zu 2300 Diabetiker werden jährlich in dem Krankenhaus behandelt.