Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Vielleicht endet ja gerade im Spreewald in Brandenburg die Zeit der sauren Gurken
wohin man als Kind von den Eltern in die Sommerfrische verschleppt wurde, ein phantastischer Abenteuerspielplatz. Die Ferienwohnung hatte vor nicht allzu langer Zeit zweifellos noch Stallburschen oder Mägden als Unterkunft gedient, so einfach war die Einrichtung, so in die Jahre gekommen die Tapeten, die beim ersehnten Tapetenwechsel vorgefunden wurden. Dennoch hatte seltsamerweise niemand das Gefühl, dass etwas fehlte oder etwas verpasst wurde. Der Löschwasserteich erwies sich als prima Pool, die nächtliche Geburt eines Kälbchens im Stall als Erlebnis, von dem nicht jeder bei der Rückkehr in die Schule zu berichten wusste.
Wer heute notgedrungen auf die Schnelle Urlaubsplan B entwickelt und nicht zu lange Strecken zurücklegen möchte, sollte sich in ähnlicher Weise auf Kompromisse einstellen. Vieles ist schon ausgebucht, manches noch immer nicht verfügbar und: ganz viele Gegenden des Heimatlandes befinden sich gar nicht erst auf dem Schirm, weil man halt immer woanders hingefahren ist.
Doch das kann neue Perspektiven eröffnen. Vielleicht endet ja gerade im Spreewald in Brandenburg die Zeit der sauren Gurken. Die Sächsische Schweiz mit ihrem imposanten Elbsandsteingebirge ist auch im 30. Jahr der Wiedervereinigung touristisch total unterbewertet. Und hat wer schon mal vom deutsch-luxemburgischen Naturpark gehört, in dem man sich auf die Spuren der Dinosaurier begeben kann? Wandern, radeln, zelten – die guten Dinge sind immer schon die einfachen Dinge gewesen.
Das gewachsene Interesse an deutschen Destinationen lässt sich in diesen Wochen anhand von aktuellen Google-Suchanfragen nachvollziehen. Auf Platz eins landet demnach die 2247 Kilometer lange deutsche Ostseeküste, wovon 1712 Kilometer auf Mecklenburg-Vorpommern und 535 Kilometer auf Schleswig-Holstein entfallen. Platz zwei belegt der Harz, es folgen der Schwarzwald, der Chiemgau, das Erzgebirge, die Nordsee, der Bodensee, die Eifel und das Allgäu. Den letzten Platz unter den Top Ten belegt übrigens die Rhön.
Vielleicht kommt es nicht so sehr darauf an, wohin die Reise eigentlich geht. Vielleicht erzeugen von langer Hand geplante und vom ersten bis zum letzten Tag durchorganisierte Urlaube Illusionen, an die dann die Realität nicht heran reichen kann. Vielleicht ist die Vorbehaltlosigkeit, mit der vorherige Generationen aufbrachen, der beste Weg, um Enttäuschungen zu vermeiden. Und vielleicht zählt am Ende nur, dass wir überhaupt verreisen. Damit wir zurückkommen können.
In dieser Krise liegt womöglich die Chance, sich wieder mehr von den kleinen Dingen überraschen zu lassen. Unsere eigene Großartigkeit hängt nicht vom strahlenden Set ab, auf dem wir uns gern sehen. Und das Geheimnis der Sommerferien ist, das wir für eine Weile aufhören, für etwas zu leben. Um einfach nur zu leben.