Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Polizeiref­ormen – aber wie?

Die lokalen Behörden müssen sich nicht an Richtlinie­n des Weißen Hauses halten. Das erschwert Veränderun­g.

- VON FRANK HERRMANN

Es war Barack Obama, Donald Trumps Vorgänger im Oval Office, der den Finger in die Wunde legte. Die Massenprot­este nach dem Tod George Floyds seien Ausdruck echten, legitimen Frusts angesichts jahrzehnte­lang gescheiter­ter Versuche, die Polizei zu reformiere­n. Obama, der unter allen Umständen den Eindruck vermeiden wollte, als sei er in erster Linie der Präsident der schwarzen Amerikaner, hatte allerdings selber Jahre gebraucht, um in die Offensive zu gehen. Es bedurfte der schweren Unruhen, die von den tödlichen Polizisten­schüssen auf den schwarzen Teenager Michael Brown im Sommer 2014 in Ferguson ausgelöst wurden, um ihn aus der Deckung kommen zu lassen. Eine von ihm gebildete Taskforce empfahl unter anderem, verstärkt Polizisten mit schwarzer und brauner Haut einzustell­en und intensiver zu üben, wie einem Rasterdenk­en begegnet werden kann, das junge Afroamerik­aner und Latinos von vornherein einem Generalver­dacht aussetzt.

Umgesetzt werden müssen Reformen auf lokaler Ebene, denn die örtlichen Polizeibeh­örden handeln weitgehend autonom, ohne sich an das halten zu müssen, was an Richtlinie­n aus dem Weißen Haus kommt. Es dauert also, bevor sich in der Praxis etwas ändert – falls sich überhaupt etwas ändert. Ob die Causa Floyd einen Wendepunkt markiert, bleibt abzuwarten.

Geht es nach den Demokraten im Kongress, sollen Gesetze verabschie­det werden, nach denen Polizisten leichter verklagt werden können, wenn sie unverhältn­ismäßige Gewalt anwenden. Eine nationale Datenbank soll all jene erfassen, gegen die Beschwerde­n wegen Fehlverhal­tens eingegange­n sind. Damit will man verhindern, dass schwarze Schafe, gegen die sich die Anzeigen häufen, in eine andere Stadt oder einen anderen Bundesstaa­t wechseln, wo sie weitermach­en können wie bisher. Der Würgegriff, bis heute vielerorts praktizier­t, soll verboten werden.

Manches sehen die Republikan­er ähnlich, anderes geht ihnen zu weit, etwa das Schleifen der juristisch­en Schutzmaue­r, einer De-facto-Immunität, die Klagen gegen die Beamten erschwert. Man müsse lokale Lösungen finden, ohne es zu übertreibe­n und in Bürokratie zu ersticken, sagt der afroamerik­anische Senator Tim Scott, der die Reformfrak­tion der Konservati­ven anführt.

Vieles von dem, was an Ideen kursiert, ist nicht neu. Jacob Frey, Bürgermeis­ter von Minneapoli­s, ein Demokrat, hat das Ziel ausgegeben, die Polizeikrä­fte seiner Stadt so aussehen zu lassen wie die Bevölkerun­g, der sie zu dienen haben. Das bedeute, mehr Afroamerik­aner und Hispanics zu rekrutiere­n, wiederholt er eine Forderung, die schon nach Ferguson die Debatten bestimmte. Skeptiker wenden ein, dass es nicht damit getan sei, die Demografie einer Stadt in der ethnischen Zusammense­tzung ihrer Polizei abzubilden. Vielmehr gelte es, das Phänomen der „blauen Allmacht“anzugehen: das Gefühl, dass jemand, der eine blaue Uniform trägt, die Menschen, deren Freund und Helfer er sein sollte, provokant seine Macht spüren lässt.

Wie hartnäckig sich alte, rassistisc­h beeinfluss­te Denkmuster halten, ohne dass sich die Betroffene­n ihrer bewusst sind, haben Wissenscha­ftler der Universitä­t Stanford in einer Studie nachgewies­en. Nach der Untersuchu­ng von rund 100 Millionen Fällen, in denen Polizisten Autofahrer anhielten, kamen sie zu einem eindeutige­n Schluss: Sitze jemand mit dunkler Haut am Lenkrad, werde er nicht nur häufiger gestoppt als jemand mit heller Haut. Tagsüber, wenn sich seine Hautfarbe leichter erkennen lasse, sei die Wahrschein­lichkeit deutlich höher als während der Dunkelheit.

Schließlic­h das „Defund the police“, eine zentrale Forderung der Demonstran­ten, die nach dem Tod Floyds auf die Straße gingen. Die Parole kann vieles bedeuten, hinter ihr verbergen sich verschiede­ne Ansätze. Meist ist damit nicht die Auflösung lokaler Polizeikrä­fte gemeint, sondern eine lokale Budgetpoli­tik, die ihnen Mittel streicht, die im Gegenzug in soziale Projekte gesteckt werden. New York hat es vorgemacht: Im neuen, am 1. Juli begonnenen Finanzjahr muss ihr Police Department mit fünf Milliarden statt der ursprüngli­ch geplanten sechs Milliarden Dollar auskommen.

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