Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Polizeireformen – aber wie?
Die lokalen Behörden müssen sich nicht an Richtlinien des Weißen Hauses halten. Das erschwert Veränderung.
Es war Barack Obama, Donald Trumps Vorgänger im Oval Office, der den Finger in die Wunde legte. Die Massenproteste nach dem Tod George Floyds seien Ausdruck echten, legitimen Frusts angesichts jahrzehntelang gescheiterter Versuche, die Polizei zu reformieren. Obama, der unter allen Umständen den Eindruck vermeiden wollte, als sei er in erster Linie der Präsident der schwarzen Amerikaner, hatte allerdings selber Jahre gebraucht, um in die Offensive zu gehen. Es bedurfte der schweren Unruhen, die von den tödlichen Polizistenschüssen auf den schwarzen Teenager Michael Brown im Sommer 2014 in Ferguson ausgelöst wurden, um ihn aus der Deckung kommen zu lassen. Eine von ihm gebildete Taskforce empfahl unter anderem, verstärkt Polizisten mit schwarzer und brauner Haut einzustellen und intensiver zu üben, wie einem Rasterdenken begegnet werden kann, das junge Afroamerikaner und Latinos von vornherein einem Generalverdacht aussetzt.
Umgesetzt werden müssen Reformen auf lokaler Ebene, denn die örtlichen Polizeibehörden handeln weitgehend autonom, ohne sich an das halten zu müssen, was an Richtlinien aus dem Weißen Haus kommt. Es dauert also, bevor sich in der Praxis etwas ändert – falls sich überhaupt etwas ändert. Ob die Causa Floyd einen Wendepunkt markiert, bleibt abzuwarten.
Geht es nach den Demokraten im Kongress, sollen Gesetze verabschiedet werden, nach denen Polizisten leichter verklagt werden können, wenn sie unverhältnismäßige Gewalt anwenden. Eine nationale Datenbank soll all jene erfassen, gegen die Beschwerden wegen Fehlverhaltens eingegangen sind. Damit will man verhindern, dass schwarze Schafe, gegen die sich die Anzeigen häufen, in eine andere Stadt oder einen anderen Bundesstaat wechseln, wo sie weitermachen können wie bisher. Der Würgegriff, bis heute vielerorts praktiziert, soll verboten werden.
Manches sehen die Republikaner ähnlich, anderes geht ihnen zu weit, etwa das Schleifen der juristischen Schutzmauer, einer De-facto-Immunität, die Klagen gegen die Beamten erschwert. Man müsse lokale Lösungen finden, ohne es zu übertreiben und in Bürokratie zu ersticken, sagt der afroamerikanische Senator Tim Scott, der die Reformfraktion der Konservativen anführt.
Vieles von dem, was an Ideen kursiert, ist nicht neu. Jacob Frey, Bürgermeister von Minneapolis, ein Demokrat, hat das Ziel ausgegeben, die Polizeikräfte seiner Stadt so aussehen zu lassen wie die Bevölkerung, der sie zu dienen haben. Das bedeute, mehr Afroamerikaner und Hispanics zu rekrutieren, wiederholt er eine Forderung, die schon nach Ferguson die Debatten bestimmte. Skeptiker wenden ein, dass es nicht damit getan sei, die Demografie einer Stadt in der ethnischen Zusammensetzung ihrer Polizei abzubilden. Vielmehr gelte es, das Phänomen der „blauen Allmacht“anzugehen: das Gefühl, dass jemand, der eine blaue Uniform trägt, die Menschen, deren Freund und Helfer er sein sollte, provokant seine Macht spüren lässt.
Wie hartnäckig sich alte, rassistisch beeinflusste Denkmuster halten, ohne dass sich die Betroffenen ihrer bewusst sind, haben Wissenschaftler der Universität Stanford in einer Studie nachgewiesen. Nach der Untersuchung von rund 100 Millionen Fällen, in denen Polizisten Autofahrer anhielten, kamen sie zu einem eindeutigen Schluss: Sitze jemand mit dunkler Haut am Lenkrad, werde er nicht nur häufiger gestoppt als jemand mit heller Haut. Tagsüber, wenn sich seine Hautfarbe leichter erkennen lasse, sei die Wahrscheinlichkeit deutlich höher als während der Dunkelheit.
Schließlich das „Defund the police“, eine zentrale Forderung der Demonstranten, die nach dem Tod Floyds auf die Straße gingen. Die Parole kann vieles bedeuten, hinter ihr verbergen sich verschiedene Ansätze. Meist ist damit nicht die Auflösung lokaler Polizeikräfte gemeint, sondern eine lokale Budgetpolitik, die ihnen Mittel streicht, die im Gegenzug in soziale Projekte gesteckt werden. New York hat es vorgemacht: Im neuen, am 1. Juli begonnenen Finanzjahr muss ihr Police Department mit fünf Milliarden statt der ursprünglich geplanten sechs Milliarden Dollar auskommen.