Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Der Kohleausstieg ist besiegelt
Bundestag und Bundesrat beschließen das Ende der Kohleverstromung in Deutschland bis 2038. Grüne, Linke und Umweltschützer üben Kritik: Der Ausstieg komme zu spät und sei zu teuer. Klar ist: Es wird viele Nachspiele geben.
BERLIN Begleitet von Protesten der Umweltverbände haben Bundestag und Bundesrat am Freitag den deutschen Kohleausstieg endgültig beschlossen. Beginnend in Nordrhein-Westfalen und ab Ende der 20er Jahre auch in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt werden alle Braunkohle-Kraftwerke bis 2038 schrittweise stillgelegt. Die Betreiber erhalten für das vorzeitige Abschalten ihrer Meiler Entschädigungen in Höhe von insgesamt 4,3 Milliarden Euro. Auch die Steinkohle-Unternehmen werden mit Zahlungen und Umrüstprogrammen in Milliardenhöhe unterstützt.
In die vier betroffenen Bundesländer fließen zudem in den kommenden 18 Jahren 40 Milliarden Euro für den Aufbau neuer wirtschaftlicher Strukturen, davon allein 18 Milliarden Euro nach Nordrhein-Westfalen. Für die Beschäftigten in der Kohleindustrie ist ein Anpassungsgeld geplant, das ihren Übergang in die Rente abfedern soll.
Eine mit Vertretern unterschiedlicher Interessengruppen zusammen gesetzte Kommission hatte bereits vor eineinhalb Jahren den Kohleausstieg bis 2038 empfohlen. Umweltund Klimaschützer warfen der Bundesregierung vor, die Empfehlungen der Kommission nicht wie versprochen eins zu eins umzusetzen. Zudem komme der Ausstieg zu spät und die Entschädigungen seien zu hoch. Greenpeace-Chef Martin Kaiser bezeichnete das Kohleausstiegsgesetz gar als „historischen Fehler“. Aktivisten seiner Organisation kletterten aus Protest auf das Dach des Reichstagsgebäudes und entfalteten ein Transparent.
Die Beschlüsse seien das Ergebnis eines gesellschaftlichen Kompromisses, konterten Bund und Länder. „Diesen Kohle-Kompromiss sollten wir schützen wie unseren Augapfel“, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) in Berlin. Er sei kostbar, weil er nicht wieder möglich sein werde.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach von einem „Generationenprojekt“. Die Kohleverstromung werde rechtssicher, wirtschaftlich vernünftig und sozial verträglich beendet. „Wir treiben den Klimaschutz voran und verlieren die Menschen in den Revieren nicht aus den Augen“, sagte auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans.
Kritik kam dagegen von Grünen und Linken, die im Bundestag gegen das Gesetz stimmten. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte, sie bedauere, dass sie nicht für das Kohleausstiegsgesetz stimmen könne, aber der Ausstieg komme 2038 zu spät. Er sei schon bis 2030 möglich und nötig. Die Empfehlungen der Kommission würden zudem in entscheidenden Punkten nicht umgesetzt. So sei etwa das Steinkohlekraftwerk Datteln in NRW noch ans Netz gegangen und der Tagebau Garzweiler werde fortgesetzt. Zudem werde der Stilllegungspfad nicht, wie zunächst geplant, 2023 erstmals überprüft, sondern erst 2026. Dadurch werde die Chance vertan, den Kohleausstieg zu beschleunigen. Linken-Politiker Lorenz Gösta Beutin sprach von einem „schwarzen Tag“für das Klima. Die
AfD sah im Kohleausstieg dagegen eine Gefahr für die Versorgungssicherheit.
Das Kraftwerk in Datteln ans Netz zu nehmen, sei das Ergebnis eines Abwägungsprozesses gewesen, argumentierte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in Berlin. Man habe sich dafür entschieden, lieber ältere Kraftwerke abzuschalten, als für die moderne Anlage in Datteln noch eine weitere Milliarde an Entschädigung zu zahlen. Laschet zeigte sich offen für ein früheres Ende des Kohleausstiegs: „Wenn wir es schaffen, die Erneuerbaren Energien und die Leitungen schneller auszubauen, freue ich mich, wenn wir es schneller schaffen“, sagte Laschet.
Die historische Abstimmung im Bundestag fand überraschend per „Hammelsprung“statt, da bei der vorherigen normalen Abstimmung zu wenige Koalitionsabgeordnete im Plenum waren. Für Sitzungsleiter Wolfgang Kubicki (FDP) war nicht eindeutig zu sehen, ob die erforderliche Koalitionsmehrheit zustande gekommen war. Beim Hammelsprung verlassen die Abgeordneten den Plenarsaal und betreten ihn dann wieder durch eine von drei Türen, die jeweils für Ja, Nein oder Enthaltung stehen. Am Ende gab es eine Mehrheit von 314 Ja-Stimmen gegenüber 237 Nein-Stimmen.
Der Ausstiegsbeschluss hat noch Nachspiele. Die SPD meldete Bedenken wegen der Entschädigungszahlung von 1,75 Milliarden Euro an die ostdeutsche Leag an, die von einem tschechischen Milliardär kontrolliert wird. Betroffene des Tagebaus in Garzweiler wollen gegen die Umsiedlung von fünf Dörfern zudem Verfassungsklage einlegen.