Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Die nähende Heimatdich­terin

Die 97-jährige Maria Iven lebt im Haus Tabita. Ihr ganzes Leben hat sie im heutigen Korschenbr­oicher Stadtgebie­t verbracht.

- VON MARC LATSCH

KLEINENBRO­ICH „Nu hat oß Dörp e nö-i Jese-it, jett von de alte Tiit. Ett steht jetz en a bä´eter Le-it. D´r Onnwell lick all wiit.“Wer diese Zeilen fehlerfrei entziffern kann, ist wohl Ur-Korschenbr­oicher. Oder er hat als Zugezogene­r sehr schnell gelernt. Geschriebe­n hat sie Maria Iven, die „Korschenbr­oicher Heimatdich­terin“, wie sie im Vorwort zu ihrem Buch „Paar Stöckskes ob Koschebroo­ker Platt“genannt wird. Es sind die ersten Sätze eines Textes zur damaligen Ortskernsa­nierung. Heute ist Maria Iven 97 Jahre alt, spricht immer noch gerne „Platt“und lebt im Seniorenhe­im Haus Tabita in Kleinenbro­ich.

„Das ist ganz auf meinem Mist gewachsen“, sagt sie über ihr Buch. Sie habe immer gerne Gedichte von anderen aufgesagt und sich dann irgendwann selbst daran versucht. Und da sie immer „Platt jekallt“habe, entstanden Texte in Korschenbr­oicher Mundart. Heute in Kleinenbro­ich, mundartlic­h quasi Ausland, werde meistens Deutsch gesprochen. Das Platt packt sie noch für ihre Büttenrede­n an Karneval aus und „aus Jux und Dollerei“. „Die sollen ruhig wissen, wo ich herkomme“, sagt Iven und lacht.

Maria Iven ist ihr Leben lang in der Region verankert. 1923 in Neersbroic­h geboren, zog sie nach ihrer Heirat mit Ende Zwanzig zu Mann und Schwiegerm­utter nach Alt-Korschenbr­oich. Und hatte dort schnell den Haushalt im Griff. „Ich war so erzogen, dass ich alles wusste anzupacken. Ich konnte putzen, ich konnte Fenster putzen, ich konnte kochen, ich konnte alles“, sagt sie.

Geprägt hat Iven ihre nicht ganz einfache Kindheit. „Wir hatten erst viel Armut“, sagt sie. Iven war als jüngstes von fünf Kindern gerade eineinhalb Jahre alt, da starb ihr Vater. Die Mutter musste sich mit einer kleinen Rente durchschla­gen. Im Krieg wurde das Haus demoliert, die Schwester angeschoss­en. „Ich habe immer versucht vieles anzunehmen, um geistig nicht umzukommen. Mit vielem wollte ich fertig werden, und ich habe das geschafft. Das habe ich von meiner Mutter“, sagt Iven.

Ihren späteren Ehemann kannte Iven seit ihrer Kindheit. Nach dem Krieg war er zunächst noch in Frankreich, dann trafen sich die beiden im Kirchencho­r wieder. Einmal brachte er sie nach der Probe nach Hause.

„Er wusste dann, wo ich herkam, und dann ist das geblieben“, sagt Iven. „Es hat irgendwie gefunkt, wie das so ist. Und er ist immer wieder gekommen.“Als ihr Mann schließlic­h an Demenz erkrankte, lebten die Eheleute einige Jahre zusammen in Haus Timon. Nach seinem Tod zog Iven in ihr Zimmer im Haus Tabita, in dem sie bis heute wohnt.

„Ich hab’ noch Spaß an der Freud’ und ich freue mich, wenn die Kinder kommen“, sagt Iven. Ihre beiden Töchter besuchen sie regelmäßig, die Enkelkinde­r etwas seltener. „Wenn die sehen, wie frisch und lustig ich noch bin, dann gehen die freudig und dankbar nach Hause.“Im Haus hat sie vor allem zu einer Bewohnerin ein inniges Verhältnis. „Frau Jordans und ich sind unzertrenn­lich. Wir sind froh, dass wir uns gegenseiti­g haben“, sagt Iven. Die beiden stricken vor allem gerne zusammen. Einen selbstgefe­rtigten Pumuckl hat Iven Jordans sogar geschenkt.

Überhaupt, die Handarbeit begleitet Maria Iven durch ihr ganzes Leben. „Das war immer mein Ding“sagt sie. Schon als Kind hat sie ihrer Mutter geholfen und dort exaktes Arbeiten gelernt. Später wurde sie von Beruf Kunststopf­erin. „Da muss man die Fehler, die dem Weber geschehen sind, unsichtbar machen“, erklärt sie.

Privat hat sie nicht nur den Pumuckl sondern viele weitere Puppen genäht. Zwei von ihnen hat sie auch beim Interview und dem folgenden Fototermin dabei. Als sie gesundheit­lich nicht gut dran war, musste sie eine Zeit lang mit dem Stricken aufhören. „Jetzt hat mich wieder der

Eifer gepackt.“

Eine weitere Leidenscha­ft war für Iven das Theater. Als junge Frau hat sie in einer Aufführung von „Schneewitt­chen und die sieben Zwerge“mitgespiel­t, an die sie sich noch gut erinnert. Von einer anderen Aufführung erinnert sie sich zwar nicht mehr an das Stück, aber noch sehr genau an das lange Samtkleid, dass sie damals getragen hat. Auch in der Pfarre Sankt Andreas war sie bis ins hohe Alter aktiv.

Für die Zukunft hat Iven einen Wunsch, der sich leider nicht so leicht erfüllen lassen wird. „Ich möchte das Schwitzen lassen, aber das kann ich nicht“, sagt sie. Mehrmals täglich müsse sie sich umziehen. Eine Folge von Tabletten, die sie nehmen muss. „Im Zweifel lieber schwitzen als sterben“, denke sie sich. Denn da ist ja noch eine andere Hoffnung: Iven würde gerne 100 Jahre alt werden. „Das ist absolut drin“, sagt sie. „Wenn ich dann so bleibe wie jetzt.“

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FOTO: JANA BAUCH Maria Iven sitzt im Foyer des Haus Tabita in Kleinenbro­ich und schaut ihre selbstgenä­hten Puppen an. Die Handarbeit hat Iven über ihr gesamtes Leben hinweg begleitet.

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