Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Als die Kampfjets über Wildenrath flogen
Am Sonntag vor 50 Jahren fand auf dem britischen Militärflugplatz in dem Wegberger Stadtteil eine spektakuläre Flugschau statt.
WILDENRATH Als im vergangenen Jahr bei der zehnten Auflage des Musikfestivals Electrisize in Erkelenz insgesamt 25.000 Zuschauer kamen, war das ein echtes Ausrufezeichen. So eine Masse von Menschen kann nicht ansatzweise eine andere Veranstaltung im Erkelenzer Land anlocken. Doch so beeindruckend diese Zahl ist, im Vergleich zu den über 200.000 Besuchern, die früher zu den Flugschauen auf das Gelände der Royal Air Force (RAF) in Wegberg-Wildenrath pilgerten, nimmt auch sie sich ziemlich bescheiden aus.
Am Sonntag vor 50 Jahren öffnete der ansonsten hermetisch abgeriegelte Militärflugplatz aus einem besonderen Anlass seine Pforten: Am 5. Juli 1970 feierten die Briten mit einer Flugschau den 25. Jahrestag ihrer Stationierung in Deutschland. Als Jugendliche und junge Erwachsene regelmäßig bei den Großveranstaltungen am Rande ihres Heimatorts dabei waren damals auch Artur Tellers und Hans Esser (beide Jahrgang 1950), die heute noch in Wildenrath leben.
Welche Faszination diese Flugschauen auf ihn ausgeübt haben, lässt sich zu Hause bei Artur Tellers unschwer erkennen. Nicht nur, dass er Zeitungsartikel und Programmhefte von damals gesammelt hat, er besitzt auch noch ein originales Blechschild, mit dem damals rund um das Militärgelände für die Veranstaltung geworben wurde. „Ich kann mich gar nicht mehr genau daran erinnern, wie ich da drangekommen bin“, sagt er mit hörbarer Ironie in der Stimme und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. „Das ist doch längst verjährt“, kontert sein Freund Hans Esser. Hinzu kommt, dass es offiziell niemanden mehr gibt, der sich für den Verbleib des Blechschildes interessieren könnte, denn der Militärflughafen ist seit dem 30. Oktober 1992 Geschichte. Das Ende war zwei Jahre zuvor im Rahmen von Abrüstungsverhandlungen beschlossen worden.
Angefangen hatte alles im Jahr 1950, als die Planungen für die militärischen Flugplätze in Westdeutschland begannen. Die RAFAir-Base in Wildenrath wurde 1952 eröffnet und war seitdem ein fester Bestandteil der im Umfeld lebenden Menschen. „In den Anfangsjahren wurden wir Deutschen noch sehr kritisch beäugt, die Briten haben sich weitgehend abgeschottet“, erinnert sich Artur Tellers. Doch diese Trennung weichte mit den Jahren immer weiter auf. Zumal die Militärbasis so stark wuchs, dass die Briten nicht mehr nur in dem eigens auf dem Gelände angelegten Städtchen leben konnten, für sie wurden auch Häuser im Ort gebaut und Wohnungen angemietet. Auf der anderen Seite arbeiteten auch immer mehr deutsche Zivilisten für die Briten. So kam es im Laufe der Zeit zu immer mehr Kontakten, Freundschaften und sogar Ehen zwischen Deutschen und Briten. „Zudem hat der Flugplatz dem Dörfchen Wildenrath viel Wohlstand gebracht“, erinnert sich Hans Esser.
Doch so sehr sich die beiden Seiten im Laufe der Jahre auch annäherten, je länger die Militärbasis in der Nachbarschaft existierte, desto nerviger wurde für die deutsche Bevölkerung die enorme Lärmbelastung.
Besonders als Ende der 1960er Jahre die berühmten Harrier-Senkrechtstarter in Wildenrath stationiert wurden, die mit ihren Schwebeflügen über den Ortschaften für eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse sorgten, nahmen die Proteste zu und es bildeten sich sogar Bürgerinitiativen. „Je nach Flugzeugtyp haben sogar die Gläser in den Schränken gewackelt“, weiß Hans Esser zu berichten.
Doch bei aller Kritik: Wenn die Briten in unregelmäßigen Abständen seit Anfang der 1960er Jahre zu bestimmten Anlässen zu ihren Flugschauen einluden, strömten die Massen
auf das Gelände, auf dem heute eine Teststrecke für Siemens-Züge beheimatet ist. Als vor genau 50 Jahren anlässlich eines Vierteljahrhunderts Militärpräsenz in Deutschland solch eine Flugschau auf die Beine gestellt wurde, waren es aber „nur“gut 125.000 Menschen, die sich das Spektakel anschauen wollten. „Das Wetter war damals einfach ganz schlecht“, weiß Artur Tellers. Auf Fotos von damals ist zu sehen, wie die Düsenjets über ein Feld von aufgespannten Regenschirmen donnern.
Tellers und Esser waren damals schon junge Erwachsene, doch auch in den Jahren zuvor waren sie regelmäßig vor Ort, wenn das militärische Sperrgebiet für Normalsterbliche seine Pforten öffnete. „Das war einfach etwas Besonderes, mal mitzubekommen, wie es dort aussah“, sagt Tellers. In der Regel drängten sich die Menschen dann auf dem breiten Grünstreifen zwischen den Hangars und der über zwei Kilometer langen Start- und Landebahn, um das Geschehen aus nächster Nähe beobachten zu können. Zu den Höhepunkten gehörten die Demonstrationen der „Red Arrows“, der weltberühmten Kunstfliegerstaffel der Royal Air Force. Mit ihren Scharlachroten Gnat-Schulungsmaschinen zeigten sie halsbrecherische Manöver.
Darüber hinaus gab es bei den Flugschauen aber auch Vorführungen von Hubschraubern, die Autos in die Luft hievten und sie in sicherer Entfernung aus großer Höhe spektakulär abstürzen ließen, Panzer die in Transportflugzeuge fuhren und Fallschirmspringer, die auf der Landebahn in Wildenrath niedergingen. Begleitet wurde das alles noch von einem Rahmenprogramm, mit dessen Hilfe die Besucher Einblick in die Abläufe auf dem Militärflughafen bekommen sollten. „Das war schon alles richtig gut organisiert“, meint Hans Esser.
1988 wurden die Flugtage in Wildenrath aus Sicherheitsgründen endgültig eingestellt. Im selben Jahr war es bei einer vergleichbaren Veranstaltung auf der US-amerikanischen Air Base in Rammstein bei Kaiserslautern zu einem verheerenden Unglück mit vielen Toten gekommen. Vier Jahre später war die Air Base dann ganz Geschichte. Doch in den Erinnerungen vieler Menschen aus der Region ist sie immer noch tief verankert.