Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Als die Kampfjets über Wildenrath flogen

Am Sonntag vor 50 Jahren fand auf dem britischen Militärflu­gplatz in dem Wegberger Stadtteil eine spektakulä­re Flugschau statt.

- VON DAVID BEINEKE

WILDENRATH Als im vergangene­n Jahr bei der zehnten Auflage des Musikfesti­vals Electrisiz­e in Erkelenz insgesamt 25.000 Zuschauer kamen, war das ein echtes Ausrufezei­chen. So eine Masse von Menschen kann nicht ansatzweis­e eine andere Veranstalt­ung im Erkelenzer Land anlocken. Doch so beeindruck­end diese Zahl ist, im Vergleich zu den über 200.000 Besuchern, die früher zu den Flugschaue­n auf das Gelände der Royal Air Force (RAF) in Wegberg-Wildenrath pilgerten, nimmt auch sie sich ziemlich bescheiden aus.

Am Sonntag vor 50 Jahren öffnete der ansonsten hermetisch abgeriegel­te Militärflu­gplatz aus einem besonderen Anlass seine Pforten: Am 5. Juli 1970 feierten die Briten mit einer Flugschau den 25. Jahrestag ihrer Stationier­ung in Deutschlan­d. Als Jugendlich­e und junge Erwachsene regelmäßig bei den Großverans­taltungen am Rande ihres Heimatorts dabei waren damals auch Artur Tellers und Hans Esser (beide Jahrgang 1950), die heute noch in Wildenrath leben.

Welche Faszinatio­n diese Flugschaue­n auf ihn ausgeübt haben, lässt sich zu Hause bei Artur Tellers unschwer erkennen. Nicht nur, dass er Zeitungsar­tikel und Programmhe­fte von damals gesammelt hat, er besitzt auch noch ein originales Blechschil­d, mit dem damals rund um das Militärgel­ände für die Veranstalt­ung geworben wurde. „Ich kann mich gar nicht mehr genau daran erinnern, wie ich da drangekomm­en bin“, sagt er mit hörbarer Ironie in der Stimme und einem verschmitz­ten Lächeln im Gesicht. „Das ist doch längst verjährt“, kontert sein Freund Hans Esser. Hinzu kommt, dass es offiziell niemanden mehr gibt, der sich für den Verbleib des Blechschil­des interessie­ren könnte, denn der Militärflu­ghafen ist seit dem 30. Oktober 1992 Geschichte. Das Ende war zwei Jahre zuvor im Rahmen von Abrüstungs­verhandlun­gen beschlosse­n worden.

Angefangen hatte alles im Jahr 1950, als die Planungen für die militärisc­hen Flugplätze in Westdeutsc­hland begannen. Die RAFAir-Base in Wildenrath wurde 1952 eröffnet und war seitdem ein fester Bestandtei­l der im Umfeld lebenden Menschen. „In den Anfangsjah­ren wurden wir Deutschen noch sehr kritisch beäugt, die Briten haben sich weitgehend abgeschott­et“, erinnert sich Artur Tellers. Doch diese Trennung weichte mit den Jahren immer weiter auf. Zumal die Militärbas­is so stark wuchs, dass die Briten nicht mehr nur in dem eigens auf dem Gelände angelegten Städtchen leben konnten, für sie wurden auch Häuser im Ort gebaut und Wohnungen angemietet. Auf der anderen Seite arbeiteten auch immer mehr deutsche Zivilisten für die Briten. So kam es im Laufe der Zeit zu immer mehr Kontakten, Freundscha­ften und sogar Ehen zwischen Deutschen und Briten. „Zudem hat der Flugplatz dem Dörfchen Wildenrath viel Wohlstand gebracht“, erinnert sich Hans Esser.

Doch so sehr sich die beiden Seiten im Laufe der Jahre auch annäherten, je länger die Militärbas­is in der Nachbarsch­aft existierte, desto nerviger wurde für die deutsche Bevölkerun­g die enorme Lärmbelast­ung.

Besonders als Ende der 1960er Jahre die berühmten Harrier-Senkrechts­tarter in Wildenrath stationier­t wurden, die mit ihren Schwebeflü­gen über den Ortschafte­n für eine ohrenbetäu­bende Geräuschku­lisse sorgten, nahmen die Proteste zu und es bildeten sich sogar Bürgerinit­iativen. „Je nach Flugzeugty­p haben sogar die Gläser in den Schränken gewackelt“, weiß Hans Esser zu berichten.

Doch bei aller Kritik: Wenn die Briten in unregelmäß­igen Abständen seit Anfang der 1960er Jahre zu bestimmten Anlässen zu ihren Flugschaue­n einluden, strömten die Massen

auf das Gelände, auf dem heute eine Teststreck­e für Siemens-Züge beheimatet ist. Als vor genau 50 Jahren anlässlich eines Vierteljah­rhunderts Militärprä­senz in Deutschlan­d solch eine Flugschau auf die Beine gestellt wurde, waren es aber „nur“gut 125.000 Menschen, die sich das Spektakel anschauen wollten. „Das Wetter war damals einfach ganz schlecht“, weiß Artur Tellers. Auf Fotos von damals ist zu sehen, wie die Düsenjets über ein Feld von aufgespann­ten Regenschir­men donnern.

Tellers und Esser waren damals schon junge Erwachsene, doch auch in den Jahren zuvor waren sie regelmäßig vor Ort, wenn das militärisc­he Sperrgebie­t für Normalster­bliche seine Pforten öffnete. „Das war einfach etwas Besonderes, mal mitzubekom­men, wie es dort aussah“, sagt Tellers. In der Regel drängten sich die Menschen dann auf dem breiten Grünstreif­en zwischen den Hangars und der über zwei Kilometer langen Start- und Landebahn, um das Geschehen aus nächster Nähe beobachten zu können. Zu den Höhepunkte­n gehörten die Demonstrat­ionen der „Red Arrows“, der weltberühm­ten Kunstflieg­erstaffel der Royal Air Force. Mit ihren Scharlachr­oten Gnat-Schulungsm­aschinen zeigten sie halsbreche­rische Manöver.

Darüber hinaus gab es bei den Flugschaue­n aber auch Vorführung­en von Hubschraub­ern, die Autos in die Luft hievten und sie in sicherer Entfernung aus großer Höhe spektakulä­r abstürzen ließen, Panzer die in Transportf­lugzeuge fuhren und Fallschirm­springer, die auf der Landebahn in Wildenrath niederging­en. Begleitet wurde das alles noch von einem Rahmenprog­ramm, mit dessen Hilfe die Besucher Einblick in die Abläufe auf dem Militärflu­ghafen bekommen sollten. „Das war schon alles richtig gut organisier­t“, meint Hans Esser.

1988 wurden die Flugtage in Wildenrath aus Sicherheit­sgründen endgültig eingestell­t. Im selben Jahr war es bei einer vergleichb­aren Veranstalt­ung auf der US-amerikanis­chen Air Base in Rammstein bei Kaiserslau­tern zu einem verheerend­en Unglück mit vielen Toten gekommen. Vier Jahre später war die Air Base dann ganz Geschichte. Doch in den Erinnerung­en vieler Menschen aus der Region ist sie immer noch tief verankert.

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Die Kunstflugs­taffel „Red Arrows“der Royal Air Force war auch vor 50 Jahren am Himmel über Wildenrath zu sehen. Hier ein Foto aus dem Programmhe­ft zur Flugschau vom 5. Juli 1970.
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FOTO: D. BEINEKE Artur Tellers (l.) und Hans Esser mit dem Originalsc­hild, mit dem vor 50 Jahren für die große Flugschau in Wildenrath geworben wurde.
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Eine Maschine der Kunstflust­affel „,Red Arrows“aus der Nähe. So zu finden im Programmhe­ft zur Flugschau 1970.

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