Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Kunstraub ist Teamarbeit

Spektakulä­re Fälle regen die Fantasie an: Wie war das möglich in Dresden und anderswo? Wer steckt dahinter? Und wie kommt man den Dieben auf die Spur?

- VON BERTRAM MÜLLER

Kunst ist schon deshalb ein besonderes Gut, weil es sich in der Regel um Unikate handelt

Kunstdiebe können in der Öffentlich­keit stets mit außergewöh­nlichem Interesse rechnen. Besonders wenn sie Gegenständ­e entwendet haben, die zur nationalen Kultur und damit zum Bildungsgu­t zählen. Mehr als beim schnöden Diebstahl eines seltenen Sportwagen­s glauben die Leute dann mitreden zu müssen: Wie konnte das geschehen, unsere Schätze aus dem Grünen Gewölbe, Juwelengar­nituren des 18. Jahrhunder­ts von unschätzba­rem Wert, herausgesc­hlagen aus einer Vitrine, die als sicher galt?

Kunst ist schon deshalb ein besonderes Gut, weil es sich in der Regel um Unikate handelt. Es gibt nur eine einzige „Mona Lisa“auf Erden. Und um die ranken sich ebenso wie um ihren Urheber Leonardo da Vinci Geschichte­n, die jeden ansprechen. Wenn so etwas entwendet wird, lässt das keinen kalt.

„Entwendet“– das klingt so harmlos wie Diebstahl und gibt nichts von der Dramatik wieder, die sich hinter dem kriminelle­n Geschehen oft verbirgt. Wohl deshalb hat sich der unkorrekte Begriff „Kunstraub“eingeschli­chen – was eigentlich Diebstahl mit Nötigung bedeutet und im Zusammenha­ng mit Kunst selten, aber neuerdings doch immer häufiger der Fall ist.

Blicken wir auf ein Geschehen, das bereits fünf Jahre zurücklieg­t und den Vorteil hat, dass man schon die Lösung kennt. Wieder einmal hatten Unbekannte kostbare Werke berühmter Künstler aus einem Museum geraubt, diesmal aus dem Museo Civico di Castelvecc­hio in Verona. Und wieder stellte sich die Frage: Wie konnten sie die Bilder zu Geld machen? Denn die 17 Gemälde im Wert von bis zu 15 Millionen Euro unter anderem von Rubens, Tintoretto und Mantegna waren zumindest auf dem legalen Kunstmarkt unverkäufl­ich. Seit 1991, als Auktionshä­user, Verbände des Kunsthande­ls, Vertreter der Versicheru­ngswirtsch­aft und die Stiftung „Internatio­nal Foundation for Art Research“das Art-Loss-Register gründeten, kann sich jeder Händler im Internet kundig machen, ob ein Bild, das ihm angeboten wird, gestohlen ist.

Doch es gibt nicht nur den offizielle­n Kunstmarkt, sondern auch einen grauen Markt. Vor allem der „Islamische Staat“schärfte das Bewusstsei­n für diese Schattenwi­rtschaft. Er verscherbe­lte Skulpturen seiner antiken Vorvergang­enheit vorzugswei­se in Europa. Was zu groß für den Export war, wurde medienwirk­sam zerdeppert.

Fahnder in aller Welt berichten übereinsti­mmend, dass Bilder und Objekte auf diesem Markt nur für zehn Prozent ihres eigentlich­en Wertes den Besitzer wechseln oder gegen Drogen und Waffen getauscht werden. Oft bleiben sie 20, 30 Jahre verschwund­en und gelangen womöglich durch eine Drogenrazz­ia wieder ans Tageslicht.

In Verona war das anders. Den Ermittlern war bei Durchsicht der Überwachun­gsvideos aufgefalle­n, dass die Räuber den Wächter allzu reibungslo­s gefesselt hatten. Auch konnte der Mann nicht erklären, warum der Schlüssel seines Autos an jenem Tag abfahrbere­it im Zündschlos­s steckte. Nach einem Jahr wurden von zwölf Verdächtig­en vier verurteilt. Die Bilder fanden sich in Plastiksäc­ken auf einer Insel in einem Fluss an der Grenze zwischen Moldau und der Ukraine. Ob die Diebe von dem Museum ein Lösegeld erpressen wollten oder im Auftrag eines Sammlers stahlen, das blieb in Verona ungeklärt.

In Deutschlan­d hat das Bundeskrim­inalamt für 2018 insgesamt 1403 polizeilic­h registrier­te

Diebstahls­delikte im Bereich Antiquität­en, Kunst- und sakrale Gegenständ­e angegeben. Die Aufklärung­squote lag bei 25,5 Prozent. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum wurden 28,5 Prozent der Autodiebst­ähle und 18,1 Prozent der Wohnungsei­nbrüche aufgeklärt. Insofern spielt die Kunstkrimi­nalität keine Sonderroll­e. Es beeindruck­t allerdings, wie groß und oft noch kaum bekannt das Netz ist, in das Kunstdiebs­tahl verflochte­n ist. Bilder dienen in der kriminelle­n Szene oft als illegales Zahlungsmi­ttel, Lösegeld ermöglicht Geldwäsche, und wenn, was gar nicht so selten sein soll, sich kein Abnehmer für Hehlerware

findet, lässt sich bei Rückgabe an den Eigentümer immerhin vor Gericht noch Straffreih­eit aushandeln.

Der Deutschlan­dfunk-Redakteur Stefan Koldehoff und der Publizist Tobias Timm haben in ihrem jüngst erschienen­en Buch „Kunst und Verbrechen“(Galiani, 320 Seiten, 25Euro) auf diese Beziehunge­n aufmerksam gemacht.

Gar nicht so selten sind demzufolge beim Kunstdiebs­tahl offenbar sogenannte Inside Jobs: „Diebstähle, an denen das häufig von Fremdfirme­n gestellte und viel zu schlecht bezahlte Hilfsperso­nal beteiligt war“wie im Falle von Verona. In der jüngeren Vergangenh­eit gab es solche Fälle laut Koldehoff/Timm unter anderem in Rotterdam, Paris, Amsterdam, Istanbul, Kairo und möglicherw­eise in London.

Oft spielt den Tätern eine ungenügend­e Sicherung von Museumsobj­ekten in die Hände. Dieser Vorwurf wurde auch nach dem spektakulä­ren Dresdner Diebstahl laut. Dabei handelte es sich dort um eine Vitrine aus Hochsicher­heitsglas. Doch je sicherer man ein solches Glas konstruier­t, desto dunkler wird es, und desto weniger wird der Besucher von den ausgestell­ten Kostbarkei­ten wahrnehmen. Sicherheit und Besucherfr­eundlichke­it sind widerstrei­tende Pole.

Wie Inside Jobs Kriminelle­n dabei helfen, sich Ware zu beschaffen, so ist Artnapping eine Methode, die Kunst gewinnbrin­gend loszuwerde­n. Der Versuch, gestohlene Kunst gegen Lösegeld zurückzuge­ben, erfreut sich Koldehoff/Timm zufolge „seit einigen Jahren steigender Beliebthei­t“, weil „beteiligte Versicheru­ngsunterne­hmen in der Vergangenh­eit durchaus zahlungswi­llig waren“. Denn sie können dadurch die fälligen hohen Versicheru­ngssummen durch ein erheblich niedrigere­s Lösegeld ersetzen. So etwas geschieht meist diskret und hat zudem den Vorteil, dass ein entspreche­ndes Angebot die Hehler davon abhält, lediglich den Materialwe­rt von Kunstwerke­n wie den in Dresden geraubten zu Geld zu machen und dadurch kulturelle Schätze zu vernichten.

Die Hehler sind die eigentlich­en Kriminelle­n. Längst hat sich die Vorstellun­g als Märchen erwiesen, ein Kunstliebh­aber könnte bei Dieben sein Lieblingsb­ild aus einem Museum zum eigenen Genuss geordert haben. „Heute“, so heißt es in „Kunst und Verbrechen“, „werden die Kunstwerke von gut organisier­ten Banden gestohlen, die häufig aus gut ausgebilde­ten, aber schlecht bezahlten ehemaligen Soldaten aus dem ehemaligen Ostblock oder vom Balkan stammen“. Die Autoren zitieren Charles Hill, den ehemaligen Leiter der Kunstabtei­lung bei Scotland Yard: „Seit sie am Geschäft beteiligt sind, ist es auch zunehmend brutaler geworden.“Also doch Raub statt nur Diebstahl.

Aber wer kauft so etwas im Zeitalter des allwissend­en Art-Loss-Registers? Man wundert sich: Selbst das lange Zeit hoch angesehene Getty-Museum in Los Angeles erwarb kostbare Stücke aus Raubgrabun­gen antiker Kunstwerke. Dahinter stand ein Netz von Hehlern, das dann aufflog. Das Museum musste dem italienisc­hen Staat zahlreiche Werke zurückgebe­n und büßte damit zugleich sein internatio­nales Ansehen ein.Bis heute begünstige­n bestimmte Institutio­nen den Handel mit geraubter Kunst: Zollfreila­ger zum Beispiel, in denen sich, weil sie von der Öffentlich­keit abgeschirm­t sind, mancher zu illegalen Geschäften ermuntert sieht. Auch Kriege begünstige­n den Handel mit solcher Kunst, einfach weil sie Unübersich­tlichkeit schaffen und Besitzverh­ältnisse verwischen.

Ein Spezialgeb­iet der Raubkunst bilden jene Objekte, die das Dritte Reich seinen jüdischen Bürgerinne­n und Bürgern abpresste oder zu einem viel zu geringen Preis erwarb. Noch immer beschäftig­en die Fälle Gerichte und Kunstdetek­tive wie den Düsseldorf­er Willi Korte. Wie für gesetzestr­eue Händler, so ist der Umgang mit Kunst auch für Kriminelle immer lukrativer geworden. Dem Wirtschaft­sberatungs­unternehme­n Deloitte zufolge werden bis zum Jahr 2026 weltweit rund 2,7 Billionen Dollar in Kunst angelegt sein, vielfach aus Mangel an anderen lohnenden Geldanlage­n. Wie strittig diese Prophetie auch sein mag: Kunst hat sich vom ideellen Gegenstand zunehmend zu einem Investment gewandelt. Das lockt leider auch Leute auf den Plan, denen Kultur ebenso schnuppe ist wie Recht und Gesetz und die sich vor allem an großen Namen orientiere­n. Dem Art-Loss-Register zufolge stammen die meistentwe­ndeten Kunstwerke von Picasso, Miró und Chagall.

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FOTO: DPA Im November 2019 brachen Diebe in das Juwelenzim­mer im Historisch­en Grünen Gewölbe im Dresdner Schloss ein und hackten eine Vitrine mit einer Axt auf.

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