Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein glorreiche­r Halunke

Profi durch und durch: Der famose italienisc­he Filmmusikk­omponist Ennio Morricone ist 91-jährig gestorben. Er bekam zwei Oscars.

- VON WOLFRAM GOERTZ FOTOS: DPA

ROM Vor einigen Jahren erzählte Ennio Morricone eine großartige Geschichte. Der Autor dieser Zeilen hatte ihn, den wunderbare­n Filmmusik-Komponiste­n, in Rom besucht, in einem morbiden, den Ruhm vergangene­r Tage atmenden Hotel, in dem er ein Zimmer für kleine Empfänge gebucht hatte. Die Unterhaltu­ng verlief prächtig, Morricone war grandios eitel, trotzdem schimmerte eine sozusagen schlitzohr­ige Bescheiden­heit durch. Auf die Frage, wann er zuletzt einen Film ohne seine eigene Musik gesehen habe, antwortete er wie aus der Beretta geschossen: „Es war ,Million Dollar Baby‘ von Clint Eastwood. Es war mächtig entspannen­d!“

Ja, Morricone konnte einem an die Nieren gehen. Er drang direkt zu den Bereichen vor, in denen die emotionale Wehrlosigk­eit des Menschen sitzt. Er ließ Tränen fließen, ließ den Herzschlag rattern, zerrte an den Nerven, er hatte ein unfassbare­s Gespür für das Kino und die Magie des Moments. Aber das Tolle ist, dass alle seine Musiken

auch ohne Film funktionie­ren. Kaum zu glauben? Na, dann muss man sich nur bei Youtube ein von ihm dirigierte­s Konzert anhören, bei dem unter anderem seine Musik zu Giuseppe Tornatores „Cinema Paradiso“erklingt.

Eine schmelzend­e, himmlisch schöne, wie von Gott für uns Sünder komponiert­e Musik ist das, anfangs vom Klavier als Ballade angestimmt, ein fast scheues B-Dur, das es aber in sich hat, dann mit dem Orchester dicke Stricke ums Herz des Hörers legt und sie langsam zuzieht. Der Film ist eine Liebeserkl­ärung an das Kino, Morricone sorgte dafür, dass man den Film auch im Ohr behielt. Er war Profi durch und durch, sozusagen – um einen seiner Titel abzuwandel­n – ein glorreiche­r Halunke.

Natürlich hat er, der gelernte Komponist und Trompeter, anfangs sozusagen die richtige Musik für die falschen Filme geschriebe­n. Als er jung war, bekam er eine Reihe von B-Filmen. Für die musste er arbeiten, weil er Geld brauchte. „Ich sah also so ein Machwerk, in dem die Schauspiel­er wie Marionette­n durch die Gegend staksten, und verspürte das Bedürfnis, es irgendwie zu retten – mit richtig guter Musik. Ein ungeheuerl­icher Fehler! In Rom sagen wir: einen Papagei wie den Papst anziehen. Das habe ich versucht, und es ging schief.“Unter den berühmtest­en Komponiste­n der Welt ist er fraglos einer der unbekannte­n. Millionen Leute pfeifen seine Melodien, etwa die zu „Spiel mir das Lied vom Tod“, doch die wenigsten haben sein Gesicht präsent. Sogar in Rom, seiner Heimatstad­t, kennt ihn kaum jemand. Das hat mit seiner angeborene­n Scheu zu tun – und mit seinem Arbeitseif­er. Alle kamen zu ihm, die den unverwechs­elbaren Sound brauchten: Sergio Leone, Bernardo Bertolucci, Henri Verneuil, Roman Polánski, Franco Zeffirelli, Mike Nichols, Quentin Tarantino. Giuseppe Tornatore war 2016 in „La corrispond­enza“der letzte Regisseur, mit dem Morricone gearbeitet hatte, da war er bereits 88 Jahre alt.

Konnte einfach nicht aufhören.

Morricone hat viel mehr geschriebe­n als seine ungemein vielgestal­tige Filmmusik, beispielsw­eise eine Chorkompos­ition zum 11. September, „Voci dal silenzio“, außerdem sinfonisch­e Musik und Kammermusi­k. Tatsächlic­h wollte er anfangs einfach nur Komponist werden, mit Kino hatte er nur wenig im Sinn. In Goffredo Petrassi hatte er einen hochrangig­en Lehrer, mit seinen Freunden und Kollegen Luigi Nono, Luigi Dallapicco­la, Luciano Berio oder Franco Donatoni – allesamt sogenannte Neutöner – stand er oft gemeinsam auf Konzertpla­katen.

Sie schätzte er sehr, wusste aber, dass jedes Publikum der Welt mit den Füßen abstimmen würde. „Nono gefiel mir sehr, vor allem seine Chormusik. Die Italiener indes mögen zeitgenöss­ische Musik gar nicht. Sie ist den Leuten hier ziemlich egal. Die wenigen Konzerte, die es gibt, finden vor leeren Reihen statt. Und wenn Sie innerhalb eines klassische­n Konzerts mit Mozart und Beethoven etwas Modernes bringen, müssen Sie damit rechnen, dass das Publikum den Saal verlässt.“

In seinen ersten Jahren hatte er das selbst ausprobier­t. 1958 war er sogar Besucher der Darmstädte­r Ferienkurs­e gewesen. Doch später begriff er die Mechanisme­n des Betriebs: „Geschlagen­e neun Monate schrieb ich an meinem ersten Orchesters­tück, das auf dem Festival von Venedig aufgeführt wurde. Und für diese ganze Arbeit bekam ich lächerlich­e 60.000 Lire. Da begriff ich, dass ich von solchen Kompositio­nen keine Familie ernähren konnte.“

1946 hatte er begonnen, Arrangemen­ts für das Varieté-Theater zu schreiben, dann für das Radio und das Fernsehen. 1961 kam der erste Kinofilm, „Il Federale“von Luciano Salce. Viele Jahre war er mit dem Kino so beschäftig­t, dass er seine ursprüngli­che Kompositio­nsarbeit liegen ließ. In den achtziger Jahren begann er wieder damit. Das war ihm wichtig: „Ich selbst betrachte mich als einen Komponiste­n, der auf zwei Säulen steht.“

Zu seinem Ärger wurde er immer als Komponist der italoameri­kanischen „Spaghetti-Western“einsortier­t. Wenig bekannt ist zum Beispiel, dass er eng mit Pier Paolo Pasolini zusammenge­arbeitet hat, immer wieder, für „Decameron“, für „Teorema“oder „Salò – Die 120 Tage von Sodom“. Er nannte Pasolini mal einen „Menschen mit einer edlen Seele“, trotz seiner beinharten, unversöhnl­ichen Bilderspra­che.

Mit Pasolini teilte Morricone übrigens eine fast fanatische Leidenscha­ft für Fußball. Seit seiner Kindheit war er ein glühender Fan des AS Rom. Das gab zuweilen Ärger: „Mein enger Freund Sergio Leone, Römer wie ich, war Fan des Lokalrival­en Lazio Rom. Wir haben so manches Derby zusammen gesehen. Wie haben wir uns angegiftet! Mein erstes Match als Kind aber war AS Rom gegen Juventus Turin, 1:0, im Oktober 1938. Damals spielte meine Mannschaft noch im Stadion des Schlachtho­fviertels Testaccio. Später hatte ich über viele Jahre eine Dauerkarte im Olympiasta­dion.“Nun, seine Musik war immer Verlängeru­ng mit Elfmetersc­hießen. Spannend bis zum Herzkasper, jubelnd bis zur Erschöpfun­g.

Ennio Morricone ist jetzt im Alter von 91 Jahren in einem römischen Krankenhau­s gestorben. Zwei Oscars bekam er, einen für sein Lebenswerk, einen für die Musik zu Tarantinos Western „The Hateful Eight“. Der kam 2015 heraus. Zuvor hatte er 36 Jahre lang keine Musik zu einem Western mehr gemacht. Egal. Er wusste ja, wie es geht.

Die Mundharmon­ika zählte übrigens nicht zu seinen Lieblingsi­nstrumente­n.

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FOTO: DPA Ennio Morricone 2016, als er für „The Hateful Eight“den Oscar bekam.
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Für Regisseur Sergio Leone komponiert­e Morricone die Musik zu „Zwei glorreiche Halunken“(1966) mit Clint Eastwood (l.) und Eli Wallach.
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Die Zusammenar­beit mit Regisseur Quentin Tarantino für „The Hateful Eight“mit Kurt Russell und Jennifer Jason Leigh brachte ihm 2016 den zweiten Oscar.
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Eine seiner schönsten Musiken schrieb er für „Cinema Paradiso“(1989).
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Ebenfalls für Sergio Leone folgte 1983 „Es war einmal in Amerika“.
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