Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Rheydt muss weg von der McDrive-Mentalität“
Seit 26 Jahren ist Ralf Winkels Juwelier, Uhrmacher und Goldschmied in Rheydt. Er hat beobachtet, wie sich die Stadt verändert hat. Die zunehmenden Leerstände, künftig auch bei Karstadt, bereiten ihm Sorge – sieht sie aber auch als Chance für den inhaberg
MÖNCHENGLADBACH Von meinem Schaufenster aus habe ich beobachten können, wie sich Rheydt in den letzten 26 Jahren verändert hat. Früher hatte die Stadt Bummelcharakter. Die Leute sind durch die Innenstadt geschlendert, haben sich die dekorierten Schaufenster angeguckt und trugen Einkaufstüten mit sich. Jetzt sieht man kaum jemanden auf der Straße, Gebäude stehen leer, immer mehr Läden schließen – erst C&A, Saturn und Karstadt, jetzt auch noch Real
Das ist aber ein Problem, das viele Städte betrifft, nicht nur Rheydt. Denn wir durchlaufen im Einzelhandel gerade einen Wandel: Das Einkaufsverhalten der Menschen verändert sich. Online-Shopping wird immer wichtiger, Innenstädte verlieren ihren Reiz. An diesen Wandel müssen wir uns anpassen. Wir müssen mit der Zeit gehen und uns auch für die neue Generation attraktiv machen. Dazu gehört Phantasie, die Bereitschaft, zu investieren und ganz viel Mut. Es wird schwer, die aktuelle Situation kurzfristig zu verändern. Aber Einzelhändler, Stadt und Hauseigentümer müssen sich aktiv initiieren, und sich nicht einfach hingeben.
Als ich gemerkt habe, dass sich der Einzelhandel verändert, habe ich schnell gehandelt. Ich habe investiert: Wir sind in einen größeren Laden an den Harmonieplatz, also ins Herz von Rheydt gezogen und haben ihn modern eingerichtet. Meine Tochter hat mir gezeigt, wie ich einen Instagram-Post verfasse und hochlade, seitdem haben wir einen eigenen Account für unser Geschäft. Auch auf Facebook poste ich regelmäßig unsere Aktionen und
Angebote. Wir haben außerdem unseren Service verbessert und erweitert und bieten seit neuestem zum Beispiel einen Abhol- und Bringservice an. Haben unsere Kunden wenig Zeit, holen wir defekte Uhren und Schmuckstücke ab und bringen sie ihnen wieder zurück nach Hause. So sieht Service im 21. Jahrhundert nun mal aus.
Natürlich hilft es dem Geschäft, dass ich in Rheydt kein Unbekannter bin. Ich habe den Laden von meinem Vater übernommen, Juwelier Winkels gibt es schon seit 1951 und gehört fest zum Stadtbild. Ich bin jedes Jahr beim Karneval dabei und singe im Gesangsverein. Seit einigen Jahren unterstütze ich die Fly & Help Stiftung, die in Entwicklungsländern Schulen baut. Das mache ich alles gerne, ich nutze es aber auch, um mein Image aufzubauen. Ich habe zum Beispiel eine Spendenaktion ins Leben gerufen, viele meiner Kunde haben sich daran schon beteiligt. Man muss sich etwas einfallen lassen und präsent sein. Sonderaktionen, Kooperationen unter Einzelhändlern, Online-Aufritte, mehr Dekoration, statt einer Kinderecke auch mal eine Männerecke einrichten. Auf Anhieb fällt mir
dazu schon eine Menge ein.
Aber nicht nur die Einzelhändler müssen sich etwas einfallen lassen. Auch die Stadtverwaltung muss ihren Beitrag leisten, ganz klar. Dazu gehört gutes Stadtmarketing. Drei Prozent weniger Mehrwertsteuer, warum ist die ganze Stadt nicht mit Plakaten vollgekleistert? Warum findet der Wochenmarkt nicht öfter statt? Das sind weggeworfene Chancen. Eine intelligente Stadtplanung ist genau so wichtig. Zum Beispiel beim umstrittenen Rathausbau, den ich als eine Riesenchance für uns Einzelhändler betrachte. Die Rheydter Fußgängerzone muss zu einem Event werden, damit hier nicht alle nur durchfahren, sondern auch Zeit verbringen möchten.
Von den Einzelhändlern und Hauseigentümern in Rheydt habe ich das Gefühl, dass sie aufgegeben haben. Vor allem im Moment stecken viele in einer Corona-Starre. Die Lage ist nicht optimal, aber aussichtslos ist sie auch nicht. Und dass es Karstadt in Mönchengladbach bald nicht mehr gibt, sehe ich ebenfalls als eine Chance für uns kleine, inhabergeführte Geschäft. Denn was Karstadt kann, können wir auch – vielleicht sogar noch besser.