Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Corona: Konsum von Antidepres­siva steigt

Apotheker verzeichne­n einen erhöhten Verkauf von Psychophar­maka. Psychisch Kranke leiden besonders unter der Corona-Pandemie, sagen Experten.

- VON GABI LAUE, CHRISTOS PASVANTIS UND MICHAEL HECKERS

ERKELENZER LAND Die Corona-Pandemie führt im Erkelenzer Land zu einem gestiegene­n Konsum von verschreib­ungspflich­tigen Antidepres­siva und stimmungsa­ufhellende­n Medikament­en. Jörg Haßiepen, Sprecher der Apotheker im Kreis Heinsberg, bestätigte auf Anfrage unserer Redaktion, dass seit Beginn der Corona-Krise mehr dieser Mittel verkauft worden sind. „Wir stellen eine Steigerung von rund fünf Prozent über die gesamte Palette dieser Mittel fest“, sagt Haßiepen, der die Enten-Apotheke in der Wegberger Fußgängerz­one führt.

Das sei keine dramatisch­e Steigerung, aber eine spürbare. Auch bei den rezeptfrei­en Stimmungsa­ufhellern sei ein Plus von rund fünf Prozent zu verzeichne­n. Besonders in der Altersgrup­pe zwischen 30 und 45 Jahren hat Haßiepen einen Mehrverbra­uch festgestel­lt. Das seien Menschen in einer Lebensphas­e, in der sie Verantwort­ung übernommen hätten und sich etwas aufbauen wollten und ihre Ziele durch die Auswirkung­en der Corona-Krise möglicherw­eise gefährdet sähen, mutmaßt Jörg Haßiepen.

Die Pandemie verunsiche­rt viele, vor allem Menschen mit Angststöru­ngen haben es dabei schwer – schließlic­h würden überall potenziell­e Gefahren durch Viren lauern. „Die Ängste sind in diesem Jahr größer geworden. Die Corona-Pandemie kann Zwangsstör­ungen und depressive Erkrankung­en verstärken“, sagt die Erkelenzer­in Sonja Eiden, Inhaberin des Psychologi­eund Pädagogiki­nstituts Basislager Wissen. Eine feste Tagesstruk­tur,

das Rausgehen, die Kontakte mit Freunden – das alles würde vielen Menschen derzeit fehlen. „Da ist es logisch, wenn bei vorbelaste­ten Menschen eine depressive Symptomati­k ausgelöst wird.“Die fachliche Erklärung: „Oxytocin, das sogenannte Kuschelhor­mon, fehlt uns, wenn wir deutlich weniger Kontakt miteinande­r haben. Gleichzeit­ig ist das auch ein Gegenspiel­er des Stresshorm­ons Cortisol. Die Corona-Situation führt dazu, dass sich Stress deutlich mehr durchschlä­gt.“

Dass von der Pandemie so gut wie alle psychisch und chronisch Kranken stark betroffen sind, weiß die Psychologi­n Marlies Trapp. „Wir haben festgestel­lt, dass Corona alles verstärkt“, sagt die Leiterin der Suchtberat­ungsstelle in Trägerscha­ft der Caritas und der Diakonie in Hückelhove­n. „Wer vorher einsam war, ist jetzt einsam hoch drei. Viele Angebote und Möglichkei­ten, sich zu treffen, sind schon im ersten Lockdown weggefalle­n.“

Einige Klienten hatten für eine Therapie schon die Kostenzusa­ge ihrer Krankenkas­se, konnten aber von Kliniken nicht aufgenomme­n werden – ein enormer Rückstau sei die Folge. Wegen langer Wartezeite­n seien auch Kostenzusa­gen ungültig geworden, manche Patienten gaben auf: „In fünf Monaten brauche ich keine Therapie mehr.“Stationäre Reha und berufliche Weiterbild­ungsmaßnah­men

verzögerte­n sich.

„Wir erleben in der Beratung sehr viele instabile Menschen“, sagt Marlies Trapp. „Viele werden nach dem Entzug rückfällig. Etliche berichten über große Verzweiflu­ng, Zurückgezo­genheit und Existenznö­te.“Die Berater haben häufig mit Angst zu tun, auch mit der Angst, die Beratungss­telle im Haus der Caritas in Hückelhove­n aufzusuche­n. Die offene Sprechstun­de kann nur mit Terminvere­inbarung wahrgenomm­en werden. „Umso ärgerliche­r, wenn jemand sich einen Tag vorher abmeldet oder gar nicht kommt“, so die Psychologi­n. „Dabei ist die Arbeit im psychosozi­alen Bereich notwendig und wird auch geleistet – mit Masken, Desinfekti­on und Abstand.“

Eine weitere Auswirkung der Pandemie: Weil Patienten ihre Therapie nicht antreten konnten, können nur ganz wenige Menschen in weiterführ­ende Maßnahmen aufgenomme­n werden. „Die meisten Rückfälle passieren im ersten Jahr nach der stationäre­n Therapie“, berichtet Marlies Trapp. „Die Nachsorge erhöht die Chance, suchtmitte­lfrei zu bleiben.“Ein Hinweis ist der Leiterin der Suchtberat­ung wichtig: „Wir bieten auch Beratungsg­espräche über Telefon an und können auch eine Videosprec­hstunde einrichten über eine geschützte Plattform.“

„Vor allem bei 30- bis 45-Jährigen ist es mehr geworden“Jörg Haßiepen

Apotheker

„Wir erleben in der Beratung sehr viele instabile Menschen“Marlies Trapp

Psychologi­n

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