Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Corona: Konsum von Antidepressiva steigt
Apotheker verzeichnen einen erhöhten Verkauf von Psychopharmaka. Psychisch Kranke leiden besonders unter der Corona-Pandemie, sagen Experten.
ERKELENZER LAND Die Corona-Pandemie führt im Erkelenzer Land zu einem gestiegenen Konsum von verschreibungspflichtigen Antidepressiva und stimmungsaufhellenden Medikamenten. Jörg Haßiepen, Sprecher der Apotheker im Kreis Heinsberg, bestätigte auf Anfrage unserer Redaktion, dass seit Beginn der Corona-Krise mehr dieser Mittel verkauft worden sind. „Wir stellen eine Steigerung von rund fünf Prozent über die gesamte Palette dieser Mittel fest“, sagt Haßiepen, der die Enten-Apotheke in der Wegberger Fußgängerzone führt.
Das sei keine dramatische Steigerung, aber eine spürbare. Auch bei den rezeptfreien Stimmungsaufhellern sei ein Plus von rund fünf Prozent zu verzeichnen. Besonders in der Altersgruppe zwischen 30 und 45 Jahren hat Haßiepen einen Mehrverbrauch festgestellt. Das seien Menschen in einer Lebensphase, in der sie Verantwortung übernommen hätten und sich etwas aufbauen wollten und ihre Ziele durch die Auswirkungen der Corona-Krise möglicherweise gefährdet sähen, mutmaßt Jörg Haßiepen.
Die Pandemie verunsichert viele, vor allem Menschen mit Angststörungen haben es dabei schwer – schließlich würden überall potenzielle Gefahren durch Viren lauern. „Die Ängste sind in diesem Jahr größer geworden. Die Corona-Pandemie kann Zwangsstörungen und depressive Erkrankungen verstärken“, sagt die Erkelenzerin Sonja Eiden, Inhaberin des Psychologieund Pädagogikinstituts Basislager Wissen. Eine feste Tagesstruktur,
das Rausgehen, die Kontakte mit Freunden – das alles würde vielen Menschen derzeit fehlen. „Da ist es logisch, wenn bei vorbelasteten Menschen eine depressive Symptomatik ausgelöst wird.“Die fachliche Erklärung: „Oxytocin, das sogenannte Kuschelhormon, fehlt uns, wenn wir deutlich weniger Kontakt miteinander haben. Gleichzeitig ist das auch ein Gegenspieler des Stresshormons Cortisol. Die Corona-Situation führt dazu, dass sich Stress deutlich mehr durchschlägt.“
Dass von der Pandemie so gut wie alle psychisch und chronisch Kranken stark betroffen sind, weiß die Psychologin Marlies Trapp. „Wir haben festgestellt, dass Corona alles verstärkt“, sagt die Leiterin der Suchtberatungsstelle in Trägerschaft der Caritas und der Diakonie in Hückelhoven. „Wer vorher einsam war, ist jetzt einsam hoch drei. Viele Angebote und Möglichkeiten, sich zu treffen, sind schon im ersten Lockdown weggefallen.“
Einige Klienten hatten für eine Therapie schon die Kostenzusage ihrer Krankenkasse, konnten aber von Kliniken nicht aufgenommen werden – ein enormer Rückstau sei die Folge. Wegen langer Wartezeiten seien auch Kostenzusagen ungültig geworden, manche Patienten gaben auf: „In fünf Monaten brauche ich keine Therapie mehr.“Stationäre Reha und berufliche Weiterbildungsmaßnahmen
verzögerten sich.
„Wir erleben in der Beratung sehr viele instabile Menschen“, sagt Marlies Trapp. „Viele werden nach dem Entzug rückfällig. Etliche berichten über große Verzweiflung, Zurückgezogenheit und Existenznöte.“Die Berater haben häufig mit Angst zu tun, auch mit der Angst, die Beratungsstelle im Haus der Caritas in Hückelhoven aufzusuchen. Die offene Sprechstunde kann nur mit Terminvereinbarung wahrgenommen werden. „Umso ärgerlicher, wenn jemand sich einen Tag vorher abmeldet oder gar nicht kommt“, so die Psychologin. „Dabei ist die Arbeit im psychosozialen Bereich notwendig und wird auch geleistet – mit Masken, Desinfektion und Abstand.“
Eine weitere Auswirkung der Pandemie: Weil Patienten ihre Therapie nicht antreten konnten, können nur ganz wenige Menschen in weiterführende Maßnahmen aufgenommen werden. „Die meisten Rückfälle passieren im ersten Jahr nach der stationären Therapie“, berichtet Marlies Trapp. „Die Nachsorge erhöht die Chance, suchtmittelfrei zu bleiben.“Ein Hinweis ist der Leiterin der Suchtberatung wichtig: „Wir bieten auch Beratungsgespräche über Telefon an und können auch eine Videosprechstunde einrichten über eine geschützte Plattform.“
„Vor allem bei 30- bis 45-Jährigen ist es mehr geworden“Jörg Haßiepen
Apotheker
„Wir erleben in der Beratung sehr viele instabile Menschen“Marlies Trapp
Psychologin