Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Wir stehen für den Charakter der Volkspartei CDU“
Herr Ministerpräsident, nach der Ministerpräsidentenkonferenz ist vor der nächsten Konferenz. Wie lange haben die Maßnahmen Bestand?
LASCHET Wir haben jetzt eine Antwort für die Adventszeit, das Weihnachtsfest und Silvester gefunden. Ich halte den Weg der verschärften Kontaktbeschränkungen bis Weihnachten mit Sonderregelungen für engste Familienkreise über die Feiertage für sehr sinnvoll. Für Millionen Menschen ist Weihnachten schließlich das Fest der Familie. Außerdem haben wir länger geplant, damit die Menschen Klarheit haben, wie wir in das neue Jahr starten.
Und dann?
LASCHET Das müssen wir immer anhand des Infektionsgeschehens beurteilen. Wir setzen darauf, dass die Infiziertenzahlen bis dahin weiter heruntergehen und der Impfstoff zügig kommt. Ab Januar müssen kluge Konzepte langfristige Perspektiven für ein Leben mit der Pandemie ermöglichen. Mit der Zulassung des Impfstoffs sind diese Konzepte auch realistisch. Die Pandemie und eine verantwortungsvolle Normalität sind dann auch kein zwingender Gegensatz mehr. Noch ein weiteres Jahr wie dieses halten Gesellschaft und Wirtschaft nicht durch.
Sie traten während der ersten Welle stets für Freiheit ein – im Herbst wurden nun auch in NRW die Regeln verschärft. Haben Sie die Krise unterschätzt?
LASCHET Nein. Wir waren unter den ersten Ländern, die im März Großveranstaltungen untersagt, Freizeitangebote runtergefahren und die Schulen sehr schnell geschlossen haben. Als die Zahlen sanken, habe ich das Grundprinzip formuliert: Wenn Infektionen sinken, müssen Grundrechtseingriffe zurückgenommen werden. Das ist damals als Lockerung kritisiert worden – dabei ging es zuerst um Kitas und Schulen. Heute fordern das alle. Zu diesem Ansatz gehört aber auch: Wenn die Zahlen steigen, müssen Schutzvorkehrungen ergriffen werden. In dieser Phase sind wir jetzt.
In NRW gibt es zahlreiche der sogenannten Hotspots mit einer Inzidenz von mehr als 200. Wird es dort echte Lockdowns geben?
LASCHET Kreise und kreisfreie Städte mit einer solch hohen Inzidenz brauchen zwingend weitere Schutzmaßnahmen, völlig klar. Dieser Mechanismus entspricht unserer bisherigen lokalen Corona-Bremse und wird genauso auch in der neuen Verordnung festgeschrieben. Da die Maßnahmen zwar drastisch sein, aber passgenau bleiben müssen, werden sie mit den Kommunen vor Ort abgestimmt. Glücklicherweise sind immer weniger Kreise und Städte in Nordrhein-Westfalen über dem kritischen Wert. Unter den 15 bundesweit am stärksten betroffenen Gebieten in der RKI-Statistik ist derzeit keiner aus unserem Land.
Wie steht es um Hotelübernachtungen an Weihnachten? Das war in der Kommunikation unklar…
LASCHET Die Ministerpräsidenten haben diese Frage erörtert, und es war allgemeiner Konsens, dass ein Familienbesuch keine touristische Reise ist. Tourismus ist ja auch schwer möglich, wenn Restaurants und alle kulturellen Einrichtungen geschlossen sind. Familienangehörige sollten die Möglichkeit haben, über die Feiertage räumlich ausweichen zu können. Es ist auch aus infektiologischen Gründen besser, in ein Hotel unter Hygiene-Bedingungen zu gehen, als bei Freunden oder Nachbarn zu übernachten. Trotzdem bleibt natürlich die Botschaft: Zu Hause bleiben, wo es möglich ist.
Was bringen die Maßnahmen, wenn sie sich nicht durchsetzen lassen?
LASCHET Alle Maßnahmen werden durchgesetzt, eine Party wird nicht geduldet. Aber die Polizei wird nicht unter dem Christbaum
Familienmitglieder abzählen. Entscheidend ist aber vor allem, dass jeder Einzelne den Ernst der Lage versteht. Auch Familien müssen dieses Jahr Weihnachten mit besonderer Vorsicht feiern und die Abstands- und Hygieneregeln einhalten.
Was sind die größten Risiken für den Starttermin der Impfzentren am 15. Dezember?
LASCHET Der Impfstoff muss zunächst einmal zur Verfügung stehen. Die Frage der Kühlung und des entsprechenden Transports wird gerade geklärt. Es ist eine der größten logistischen Herausforderungen, die in unserem Land in den vergangenen Jahrzehnten zu bewältigen war. 18 Millionen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in einer bestimmten, vom nationalen Ethikrat empfohlenen Reihenfolge impfen zu lassen, bedeutet eine gewaltige Anstrengung. Es gibt aber eine große Zahl von Freiwilligen, die sich gemeldet haben, derzeit etwa 5000. Klar ist:
Das Impfen wird uns das ganze Jahr 2021 beschäftigen.
Werden die Hilfen so lange gezahlt wie nötig? Und würde das Land notfalls einspringen, wenn der Bund nicht mehr bereit ist?
LASCHET Wir können nicht auf Dauer alles schließen, und der Staat bezahlt Monat für Monat Milliarden-Ausfälle. Ab dem neuen Jahr wird ein neues Modell nötig sein. Dauerhafte Schließungen und anschließende Ausgleichszahlungen machen den Staat auf Dauer kaputt. Da hat die Bundeskanzlerin recht. Aber es stimmt nicht, dass die Länder keinen Anteil leisten. Nordrhein-Westfalen hat 25 Milliarden Euro als Sondervermögen aufgenommen, das ist fast ein Drittel des Landeshaushalts, die höchste Aufnahme seit den Nachkriegsjahren. Der Vorwurf, die Länder würden nichts zahlen, ist nicht berechtigt.
Haben Sie Verständnis für den Frust der Parlamentarier, die Entscheidungen der Ministerpräsidentenkonferenz immer nur abnicken?
LASCHET Die Länder sind für den Infektionsschutz zuständig, sie stimmen sich mit dem Bund über bundesweite, gemeinsame Regeln ab. Wir binden den Landtag vielfach ein, die Bundeskanzlerin hält die Länder beisammen und gemeinsam halten wir die Gesellschaft zusammen. Deshalb ist Deutschland im europäischen Vergleich besser durch die Krise gekommen.
Es ging ja um den Vorwurf, dass die Länder alles beschließen und der Bund es zahlen muss.
LASCHET Die Bundesregierung sieht zu Recht die nationale Gesamtherausforderung dieser Pandemie und stellt sich ihrer Verantwortung.
Natürlich kann ich nachvollziehen, wenn Bundestagsabgeordnete einbezogen werden wollen. Das ist nicht nur ihr Recht, sondern sogar ihre Pflicht. Das Budgetrecht liegt beim Parlament, das bestreitet niemand. Das muss aber der Bundestag mit dem Bundesfinanzminister klären.
Es sterben immer mehr Menschen an und mit Covid-19 – was macht das mit Ihnen persönlich?
LASCHET Es ist eine schreckliche Zeit und es sind bedrückende Zahlen. Jeder einzelne dieser Todesfälle ist furchtbar und bringt Unglück über Familien. Wenn ich Menschen ohne Masken auf der Straße demonstrieren sehe, denke ich mir: Ein paar Hundert Meter weiter liegt ein Mensch im Krankenhaus und kämpft um sein Leben. Jeder von uns kann etwas dafür tun, dass es weniger Patienten sind. Dieses Bewusstsein müssen wir aufrechterhalten.
Die Opposition in NRW fordert einen Gedenktag für die Corona-Opfer. Wie wollen Sie gedenken?
LASCHET Das muss man sehr gut überlegen. Es gibt viele Millionen Menschen, die an anderen Krankheiten sterben. Für die Familien
ist es immer dramatisch. Ich habe selbst in der Familie einige frühe Krebstode erlebt. Für Opfer anderer schrecklicher Krankheiten gibt es keinen Gedenktag. Wenn der Staat gedenkt, muss er an alle Leidenden denken. Corona ist eine gefährliche Pandemie, die uns alle beschäftigt, unser Leben nachhaltig verändert. Aber wir dürfen den Schmerz aller anderen nicht vergessen, nicht relativieren und nicht gegeneinander aufrechnen. Wir werden sicher nach der Pandemie geeignet an die Opfer erinnern.
Corona hat auch den Fahrplan der CDU durcheinandergebracht. Findet der Parteitag am 16. Januar statt?
LASCHET Das wird am 14. Dezember im Bundesvorstand der CDU entschieden. Von mir aus können wir zu jeder Tages- und Nachtzeit abstimmen.
Ihnen wurde ja vorgeworfen, es sei Ihnen eben nicht egal…
LASCHET Ich weiß, dass Friedrich Merz das öffentlich behauptet hat. Ich glaube aber, dass er inzwischen versteht, warum der Bundesvorstand einstimmig den Parteitag nach dem Teil-Lockdown verschoben hat. Das war keine Verschwörung des Establishments. Ende
Oktober wollten und mussten wir die exponentielle Welle brechen und haben Millionen Menschen viel abverlangt, trotz Einhaltung aller Abstandsregeln. Wenn wir dann mit 1000 Delegierten und Hunderten Gästen für einen Parteitag zusammengekommen wären, hätte man uns mangelndes Fingerspitzengefühl vorgeworfen.
Und für Januar gilt das nicht?
LASCHET Natürlich muss die Lage immer neu verantwortungsvoll bewertet werden. Die CDU als Regierungspartei hat hier jedenfalls eine besondere Verantwortung. Ich stehe bereit.
Wie bekommt die CDU die Kurve im Wahljahr?
LASCHET Die CDU liegt in den Umfragen seit Monaten klar vorn. Von diesen Werten hätten viele noch vor einem Jahr geträumt. Die hohe Zustimmung ist dem Krisenmanagement der Bundeskanzlerin und der Regierungsarbeit in den Ländern zu danken. In dieser Zeit hatten wir mit der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen eine wichtige Wahl mit Entscheidungen für 18 Millionen Menschen. Die CDU war mit Abstand klarer Sieger. All das steht für sich.
Minutiöse Abläufe des Krisentreffens landen in den Medien. Vertrauen Sie Sich untereinander noch?
LASCHET Es tut der politischen Kultur und dem gegenseitigen Vertrauen überhaupt nicht gut, wenn man nicht mehr miteinander reden kann, ohne dass jeder Halbsatz nach außen dringt. Wir müssen beim Stil interner Beratungen besser werden.
Sie haben in Ihrer Amtszeit keinen klaren Nachfolger aufgebaut. Wie sehr fürchten Sie nach einer möglichen Wahl einen Machtkampf in der CDU NRW?
LASCHET Wie kommen Sie denn darauf? Wir ziehen hier alle an einem Strang. Wenn die NRW-CDU nach vielen Jahrzehnten wieder einen CDU-Bundesvorsitzenden stellt, ist das für den Landesverband sicher ein besonderer Moment. Gutes Regieren in Nordrhein-Westfalen ist eine Empfehlung für Berlin.
Sie treten gemeinsam mit Jens Spahn an, der vielen in der CDU und insbesondere der Jungen Union als geeigneter Kanzlerkandidat gilt. Wie stabil ist das Verhältnis bei Ihnen beiden?
LASCHET Jens Spahn und ich haben uns früh für die Teamlösung entschieden, um der Partei ein Angebot mit mir als Vorsitzendem und ihm als Stellvertreter zu unterbreiten. Daran hat sich nichts geändert. Es gibt eine große Rückendeckung für diese Aufstellung im Landesverband Nordrhein-Westfalen, der uns mit einem überzeugenden Votum nominiert hat. Der Charme des Teams liegt sicher auch darin, dass wir für den Charakter der Volkspartei CDU stehen. Wir sind beide der festen Überzeugung, dass unterschiedliche Positionen zur DNA der CDU gehören. Unsere Grundüberzeugung ist, dass diese zum Zusammenhalt der Partei beitragen. Wir vereinen viele Strömungen unserer Partei. Wir arbeiten gerade jetzt in der Krise noch enger zusammen. In dieser Woche kommt Jens Spahn zu uns ins Landeskabinett, um die Impfstrategie zu besprechen. Außerdem werden wir das geplante Impfzentrum in der Düsseldorfer Merkur-Arena besuchen.
Würden Sie im Falle einer Niederlage auch denjenigen unterstützen, der dann vorne steht?
LASCHET Das gilt für mich und ich erwarte es von jedem Kandidaten. Ich bin Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und stellvertretender CDU-Vorsitzender. Ich habe den Parteivorsitz hier in Nordrhein-Westfalen übernommen, nach der schweren Niederlage 2012. Ich habe mich stets mit vielen anderen für die CDU und eine gute Politik engagiert, in guten wie in schlechten Zeiten.
In der neuesten Biografie über Sie heißt es: „Ja, er will ganz nach oben, er muss es wohl aber nicht. Reicht das?“Herr Laschet, reicht das?
LASCHET Lassen Sie sich überraschen. Die Zeit, in der es nur um den ich-bezogenen Ehrgeiz von Einzelnen geht, ist vorbei. Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zu sein, ein so großes Land voller Gegensätze zu regieren und zusammenzuhalten, ist anspruchsvoll. Für diesen Kurs von Maß und Mitte kämpfe ich auch für die Bundes-CDU.
KERSTIN MÜNSTERMANN FÜHRTE DAS INTERVIEW.
Der NRW-Ministerpräsident spricht über das Verhältnis zu Jens Spahn, die Kanzlerkandidatur, über Menschen ohne Masken und ein Weihnachtsfest ohne Verzicht – auch in Zeiten von Corona.