Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Mit Impfung schreiben wir Medizingeschichte“
Der Arzt Bernd Randerath kehrt im Kampf gegen das Coronavirus aus dem Ruhestand zurück – weil er impfen für sehr wichtig hält.
Warum haben Sie sich zum Impfen gemeldet, obwohl Sie schon im Ruhestand sind? Nach 26 Jahren Arbeit in Ihrer Praxis hätten Sie sich ja auch sagen können: Meine Ruhe habe ich mir verdient.
RANDERATH Ich hatte die gute Gelegenheit, im März meinen Anteil an der Gemeinschaftspraxis in Bettrath an eine kompetente Kollegin abzugeben. Aber es war da schon klar, dass ich nicht die Hände in den Schoß legen würde. Ich habe zwar meine Kassenzulassung zurückgegeben, aber ich bleibe weiter Arzt – und das ist kein Beruf wie jeder andere. Ich habe zum Beispiel vier Herzsport-Gruppen mitbetreut, so lange die noch trainieren konnten. Die Situation jetzt ist eine Jahrhundertaufgabe, mit den Massenimpfungen schreiben wir ein Stück Medizingeschichte. Als kleines Rädchen dabei zu sein, ist schon spannend. Ich hätte es nicht ertragen, mir das nur im Fernsehen anzuschauen.
Wie und wo haben Sie sich gemeldet?
RANDERATH Es gibt ein zentrales Freiwilligenregister der Kassenärztlichen Vereinigung, da habe ich mich vor etwa sieben Wochen eingetragen. Dann gab es zunächst keine Ansage, wie es denn nun weitergeht. Darum habe ich mich per E-Mail an den Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung in Mönchengladbach, Dr. Arno Theilmeier gewendet. Er hat dann auch ziemlich schnell geantwortet, dass die Kassenärztliche Vereinigung Leitende Impfärzte benennen müsse. Ich wurde dann zu Besprechungen des Leitungsteams und der Feuerwehr eingeladen und habe mich bereit erklärt, mich neben einigen Kollegen als Leitender Impfarzt einteilen zu lassen.
Was ist Ihre Aufgabe in dieser Rolle?
RANDERATH Wir waren im Team bei den ersten Impfungen in Altenheimen, damit wir die Abläufe von der Pike auf kennenlernen und gestalten können. Im Impfzentrum werde ich dann später wohl auch gelegentlich impfen und Aufklärungsgespräche mit Patienten machen. Aber als Leitender Impfarzt ist man im Zentrum vor allem für die Abläufe dort verantwortlich.
Sind Sie bei den allerersten Impfungen in Altenheimen mit Jubel empfangen worden?
RANDERATH Als wir da eintrafen, war es zunächst mal geschäftsmäßig: Das Personal hatte das sehr gut vorbereitet, es standen Kühlschränke für den Impfstoff bereit. Wir haben den dann verdünnt, auf Spritzen gezogen und dann wurden die Patienten auf den Zimmern geimpft. Wenn der Impfstoff verdünnt ist, kann man damit keine langen Wege zurücklegen. Er reagiert sehr empfindlich auf Erschütterungen. Darum werden Ärzte damit auch nicht bei Hausbesuchen in Privatwohnungen impfen können. Menschen, die nicht in Pflegeeinrichtungen leben und nicht ins Impfzentrum kommen können, werden also wohl erst geimpft werden, wenn ein einfacher zu händelnder Impfstoff zugelassen ist.
Wie war die Stimmung in den Heimen?
RANDERATH Die Bewohner waren offen, es gab nur sehr wenige Rückzieher von der Impfung. Und wir waren auch willkommen. Bei der Premiere gab es zum Beispiel Schnittchen, Kaffee und Kuchen fürs Team.
Wie frühzeitig hat das Impfteam bisher von den Lieferterminen des Impfstoffs erfahren? Würden Sie sich wünschen, dass die Planung besser und langfristiger überschaubar wäre, was Liefertermine und Mengen angeht?
RANDERATH Der Impfstoff wird circa drei Tage vor dem Impftermin bestellt, man erfährt meist erst am Vortag, wann der Impfstoff definitiv kommt.
Das ist manchmal etwas schwierig. Die Mengen waren bisher in den Heimen immer passend.
Was sagen Sie Menschen, die zögern, sich impfen zu lassen, weil der Stoff noch neu ist?
RANDERATH Die Unsicherheit muss man verstehen, und man sollte Skepsis seriös begegnen. Die Entwicklung des Impfstoffs ging ziemlich schnell, allerdings weil das dabei verwendete, auf Boten-Ribonukleinsäure basierende mRNA-Verfahren schon entwickelt war und nur für diesen Impfstoff angewendet werden musste. Mit 44.000 Probanden wurde er sogar an weit mehr Menschen getestet als vorgeschrieben ist. Und ich bin auch froh, dass die Erfahrungen damit in den USA und in Großbritannien gezeigt haben, dass es bislang nur zwei Fälle allergischer Reaktionen gegeben hat und diese
letztlich
Zur Person und zur Funktion
Bernd Randerath ist Facharzt für Allgemeinmedizin. Im März hat der 62-Jährige seinen Anteil an einer Gemeinschaftspraxis in Bettrath an eine Kollegin übergeben.
Leitende Impfärzte Weitere Leitende Impfärzte bei der Bekämpfung der Pandemie sind in Mönchengladbach neben Randerath Anh Nguyen, Gerhad Sax und Daniela Hoch-Anger. Auch sie gehörten dem Impfteam für die Altenheime an.
auch glimpflich ausgingen.
Sie selbst sind sicher auch schon geimpft.
RANDERATH Nachdem wir im ersten Heim Bewohner und Personal geimpft hatten, waren noch einige aufbereitete Impfdosen übrig. Wir haben entschieden, die nicht wegzuwerfen, sondern das Team zu impfen. Ich habe das gut vertragen. Ich hatte keinerlei Beschwerden, weder Müdigkeit, Übelkeit, keine Kopfschmerzen, kein Fieber...
Reaktionen, die so ziemlich bei jeder Impfung auftreten können.
RANDERATH Ja. Ich habe mich auch schon früher jedes Jahr gegen Grippe impfen lassen. Die Covid-Impfung hat sich nicht anders angefühlt. Ich habe auch meinen Sport weiter gemacht.
Wie wirkt sich die Pandemie auf die Arbeit der niedergelassenen Ärzte aus?
RANDERATH Das ist keine einfache Zeit auch für sie, in den ersten drei Wochen
der Pandemie habe ich das noch selbst in der Praxis erlebt. Gerade in einer Hausarztpraxis braucht man den Kontakt, muss man dem Patienten ins Gesicht sehen und seine Mimik wahrnehmen können. Mit einer Maske ist die Stimmung ganz anders, das ist keine schöne Situation. Weil viele Termine ausgefallen sind und etliche Menschen den Gang zum Arzt gescheut haben, ist diese Zeit für viele Kollegen auch mit finanziellen Einbußen verbunden. Und dann ist da im Hinterkopf immer noch die Gefahr, sich selbst zu infizieren. Das alles ist eine erhebliche Belastung. Daher ziehe ich vor den Kollegen den Hut.
Welche Lehren werden die Ärzte aus der Pandemie ziehen?
RANDERATH Wir sind für einiges sensibilisiert worden. Zum Beispiel wird man sich wohl einen gewissen Vorrat an Schutzausrüstung zulegen. Ich denke, dass sich auch der Umgang miteinander in den Praxen verändert hat. Früher war es in der Erkältungszeit oft so, dass sich Patienten in den Wartezimmern drängten, was das Risiko barg, sich dort anzustecken. Inzwischen werden dort Masken getragen. Ich wünsche mir sehr, dass sich das in den Köpfen festsetzt und es auch über die Pandemie hinaus so praktiziert wird. Heißt: Wenn jemand in der Erkältungsund Grippesaison Husten oder Schnupfen hat, sollte er auch nach der Pandemie Maske tragen, weiterhin in die Armbeuge niesen, häufiger die Hände waschen, also die Hygieneregeln beachten, um andere Menschen zu schützen. Denn auch eine Erkältung und eine Grippe können schwerwiegende Folgen haben.
Müssen wir uns von gewohnten Formen von Nähe im Umgang miteinander verabschieden?
RANDERATH Nein, nicht für immer, aber in einer Infektionsphase wie der Grippesaison sollten wir uns schon so verhalten wie beschrieben. Es wird allerdings noch eine Weile dauern, bis wir die Nähe, an die wir gewohnt waren, wieder haben können. Damit wir demnächst wieder normal miteinander umgehen können, dass wir den Anderen nicht mehr als potentiell ansteckend sehen und auf Abstand umeinander herumtanzen müssen, sind die Impfungen so wichtig.
Welche Lehren kann die Gesellschaft aus der Pandemie ziehen?
RANDERATH Dieses Virus hat gnadenlos immer wieder die Finger in Wunden gelegt: die schlechten Arbeitsbedingungen in manchen Schlachthöfen, die schlechte Ausstattung von Schulen – und die LkwStaus an den Grenzen zeigen die Folgen des Brexits. Auf diese Weise hat das Virus vielleicht auch beigetragen, dass es doch noch zu einer Einigung zwischen Großbritannien und der Europäischen Union gekommen ist. Ich finde aber auch toll, wie groß das Engagement der Menschen ist, die in der Pflege arbeiten. Es ist immer wieder ein beglückender Moment zu sehen, dass Menschen in einer solchen Situation auch zusammenstehen.
HOLGER HINTZEN FÜHRTE DAS INTERVIEW.