Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Pfarrer und Mönche berichten von Todeswellen
Corona ist nicht die erste todbringende Pandemie in der Region. 1635 forderte die Pest in Doveren 176 und in Erkelenz 463 Tote. Schon im Jahr 1580 war ein großes Sterben in der Region ausgebrochen.
HÜCKELHOVEN „Von Pfingsten 1635 bis auf den 1. August sind in Doveren und Haen gestorben 175, Hetzerath 60, Grantradt und Bohl 120, auch der Pastor Hinrich Wassenberg. Anno 1635 ist der Prior zu Hohenbusch gestorben, am 18. Dezember der Abt zu Klosterrath. Anno 1636, den
6. Januar, hat der Dechant zu Erkelenz ausgelitten, dito 7. der Pastor zu Kleingladbach gestorben.“
Es war die Pest, die in Pandemien mehrerer Wellen über Jahrhunderte das Rheinland flutete und dabei das „medizinische Versorgungssystem“als zumindest heillos überfordert kenntlich machte. Entsprechend hoch war die Todesrate durch „Yersinia pestis“, ein Bakterium, das vom
14. bis zum 17. Jahrhundert Mitteleuropa von Asien her heimsuchte, in sechs Jahren ab 1347 starben in Mitteleuropa zwischen 25 und 50 Millionen Menschen, mindestens ein Drittel, möglicherweise die Hälfte der Bevölkerung.
Wenn auch die Urheber der Seuchen nur schwer vergleichbar sind, machen die Epidemien damals und jetzt den Unterschied der Umgangsmöglichkeiten deutlich: die medizinische Versorgung und die Isolation über die Kommunikationsmöglichkeiten. 175 Tote 1635 in Doveren und Haen, (Haen = Doverhahn) – das war ein Fünftel oder 20 Prozent der Bevölkerung des Orts von etwa 930 Menschen, wie die Doverener Pfarrchronik notierte. Die Einwohnerzahlen von Hetzerath, Granterath (Grantradt) und Baal (Bohl) lagen deutlich unter denen ihres Hauptpfarrorts Doveren, so dass die Todesrate in diesen Dörfchen
nicht geringer als in Doveren lag. Und das in einem Zeitraum von gut zwei Monaten.
Nicht nur der Doverener Pfarrer erlag der auch „Schwarzer Tod“genannten Krankheit, zahlreiche Priester in der Region infizierten sich auf Versehgängen zu Kranken und Sterbenden, wie die Abtei Klosterrath bei Herzogenrath notierte, die „wütende Pest raffte in den Jahren 1635 bis 1656 eine Menge Menschen weg“. Wie Doveren gehörte eine Reihe von Pfarreien der Abtei, die für die Priester-Gestellung zu sorgen hatte, dieser Pflicht aber nicht mehr nachkommen konnte.
Mit dem Nachfolger des an der Pest verstorbenen Pfarrers Hinrich Wassenberg, Johannes Sellary, trat im gebeutelten Doveren ein Priester seinen Dienst an, der in eine der Ursachen der starken Verbreitung der Pest involviert war: den 30-jährigen Krieg. Seit 1618 verwüsteten diverse Armeen und Kriegerhorden Deutschland, misshandelten, mordeten, raubten und erpressten die Bevölkerung – und verbreiteten ansteckende Krankheiten, in dem ganzen Elend fanden Seuchen rasche und weite Verbreitung.
Johannes Sellary war Feldkaplan bei dem in Puffendorf (Baesweiler) geborenen und Büttgen (bei Neuss) aufgewachsenen Reitergeneral Jan van Werth gewesen, der ihm die Doverener Stelle über den ihm bekannten Abt von Klosterrath nach zehn Jahren Dienst besorgte. Sellary wirkte in Doveren 47 Jahre.
Die Pest-Epidemie von 1635 war nicht die erste in Doveren und Umgebung. Sowohl die Doverener Pfarrchronik (Schroiff 1978) als auch die Erkelenzer Bauxchronik melden für 1570 und 1580/81 Pest-Zeiten, Baux: „Im Jahre 1580 ist zu Fronleichnam hier in der Stadt Erkelenz und im Kirchspiel ein großes, pestilenzartiges Sterben ausgebrochen und es sind von dem besagten Tag und Jahr an bis Fronleichnam 1581 innerhalb der Stadt und des Kirchspiels,
ausgenommen Kückhoven, 463 Personen gestorben.“
Für 1676 notiert die nach Baux weitergeführte Chronik den Ausbruch der „Dissenterie“, der Ruhr, die innerhalb von zwei Monaten 200 Menschenleben aller Altersstufen auslöschte.
Nimmt man die Covid-19-Epidemie derzeit und deren Belastung für das Gesundheitssystem der Republik, ist zu ermessen, dass die Totenzahlen von Seuchen in Spätmittelalter und Neuzeit exorbitant ausfielen, ein „Gesundheitssystem“gab es schlicht nicht, ausgebildete Ärzte praktizierten höchstens in den größeren Städten, in den kleineren und den Dörfern wirkten „Heilkundige“mit Naturmedizin und teils auch abenteuerlichen Stoffen und Methoden. Eine Art Mischangebot bildeten die in erster Linie Städten vorbehaltenen „Gasthäuser“für ältere, arme und kranke Menschen, fast ausschließlich aus Stiftungen und Spenden finanziert. Aufgenommen wurden darunter Menschen, die durch Krankheiten verarmt waren. Erkelenz und Wassenberg verfügten über derartige Institutionen, die allerdings keine Krankenhaus-Funktion im heutigen Sinn übernehmen konnten, es handelte sich wohl eher um eine Art „betreutes Wohnen“.
Mehr als eine Sage sind Berichte und Erzählungen über das sogenannte „Blateshaus“zwischen Gerderath und Myhl, bewohnt von Blattern(Pocken-)kranken, die als kriminelle „Blatesbrüder“brutale Überfälle vor allem auf durchreisende Kaufleute verübten und in der ganzen Region mit dem Warnsatz „Wer will jonn van Jiedere no de Mill, mott jonn bei Daach on jruete Ill“sprichwörtlich und berüchtigt wurden. („Wer will gehen von Gerderath nach Myhl, muss gehen bei Tag und in großer Eile.“) Die Mitglieder der Bande starben keines natürlichen Todes, aber nicht an Blattern/ Pocken, sondern endeten am Wassenberger Galgen.
Die Pest kostete 1635 einem Fünftel der Einwohner des Ortes Doveren das Leben