Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Deutschland gibt Stoff
Von 1,3 Millionen verfügbaren Impfdosen wurden in Deutschland erst gut 316.000 verabreicht. Die Quoten unterscheiden sich in den Bundesländern teilweise drastisch - woran liegt das? Wie steht es um NRW? Ein Überblick.
Das große Impfen hat gerade erst begonnen, da wächst schon die Kritik: Vom verzögerten Start ist die Rede, von ausgebremsten Möglichkeiten, von liegen gebliebenen Impfdosen, die längst hätten genutzt werden können. Tatsächlich sind von 1,3 Millionen Dosen, die Deutschland zum Auftakt erhalten hat, seit dem 27. Dezember erst knapp 317.000 verabreicht worden. Vor allem die Impfquoten der Bundesländer irritieren: Warum geht es in Bayern vergleichsweise schnell, in Niedersachsen dagegen kaum voran?
Deutschlandweit wird die Hälfte der
Dosen erst einmal zurückgehalten, weil nur die zweifache Impfung im Abstand von drei Wochen einen wirksamen Schutz vor Covid-19 bietet. Konsens ist außerdem, dass mobile Teams zunächst die besonders verletzlichen Gruppen in Pflegeheimen impfen – dazu zählen neben den Bewohnern auch die Mitarbeiter. In den meisten Bundesländern sind die Impfzentren deshalb noch gar nicht in Betrieb.
In Nordrhein-Westfalen sind von 281.775 gelieferten Impfdosen bislang knapp 63.000 Dosen an Pflegeheimbewohner und medizinisches Personal verimpft worden. Auch wenn NRW als bevölkerungsreichstes Land mit seiner Impfquote von 3,5 je 1000 Einwohnern im Bundesvergleich im Mittelfeld liegt, wird Kritik laut: So fordern die Fraktionen von SPD und Grünen im Landtag in einem gemeinsamen Antrag eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses. Noch in dieser Woche wollen sie geklärt wissen, wie es mit dem Impfen in NRW besser vorangehen kann. „In den letzten Tagen ist leider sehr viel Verwirrung um die Impfstrategie der Landesregierung entstanden“, sagt Josef Neumann, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. „Berichten über unklare Zuständigkeiten bei der Bestellung des Impfstoffes oder darüber, dass viele Impfdosen wegen schlechter Planung nicht in der richtigen Reihenfolge vergeben werden können, muss schnell nachgegangen werden“, ergänzt Mehrdad Mostofizadeh von den Grünen.
Probleme soll es vor allem in der Kommunikation zwischen Gesundheitsministerium, der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein und den einzelnen Kommunen geben. Der zentralistisch strukturierten KV Nord fehle es bei der Impforganisation oft an Vor-Ort-Kenntnissen, heißt es aus einigen Kommunen; die Stadtverwaltungen sollten mehr eingebunden werden, so der Wunsch, sie kennen die Lage in den Pflegeheimen besser. NRW bleibe beim Impftempo bisher unter seinen Möglichkeiten.
Es geht aber auch deutlich langsamer: Im Nachbarland Niedersachsen sind von 121.875 vorrätigen Impfdosen gerade einmal 8665 genutzt worden – anteilsmäßig so wenig wie nirgends sonst. Warum es in dem Acht-Millionen-Einwohner-Land so schleppend läuft, ist nicht ganz klar. Das Gesundheitsministerium weist darauf hin, dass in der vergangenen Woche weniger Stoff geliefert worden sei als geplant und die Lieferung am 4. Januar ganz entfallen sei.
Auch Sachsen gehört zu den Schlusslichtern im Vergleich. Das hat aber vor allem damit zu tun, dass das Land stark von akuten Corona-Fällen betroffen ist. Viele Pflegeheime stehen unter Quarantäne, dort ist das Impfen nur bedingt möglich. Außerdem lägen nicht für alle Bewohner Einverständniserklärungen der Sorgeberechtigten vor, heißt es vom sächsischen Gesundheitsministerium. Womöglich spielt dabei auch eine Rolle, dass in Sachsen die Szene der Corona-Leugner besonders groß ist. In diesen Kreisen kursieren Widerspruchsformulare, mit denen Menschen die Impfung ihrer Angehörigen im Heim verhindern können.
Zum Musterland hat sich Mecklenburg-Vorpommern entwickelt, das mit seiner Impfquote vorne liegt. Nachdem auch in Mecklenburg-Vorpommern zunächst in Heimen geimpft wurde, wird das Land ab Donnerstag Briefe an die über 80-Jährigen verschicken, die nicht in Heimen leben, damit sie individuelle Termine ausmachen können.
Auch in Bayern wird aufs Tempo gedrückt. Bilder der Impfwilligen schmücken bereits die Website des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege. Mit 78.000 der 210.000 Impfdosen, die der Freistaat von der Bundesregierung erhalten hat, wurde bereits der Piks gesetzt. Bayern hat in seinen 99 Impfzentren bereits den Betrieb aufgenommen. Nach Angaben der Behörde sind so pro Tag bis zu 38.000 Impfungen möglich. Das wird mit dem vorhandenen Impfstoff noch nicht erreicht. Bayern impft zudem sieben Tage in der Woche.
Zwar sind Heimbewohner und -mitarbeiter im Blickpunkt der Impfteams, aber in Bayern können die Älteren bereits von sich aus Impftermine in einem der Zentren auf Kreisebene beantragen. Die mobilen Einsatzgruppen sind diesen Impfzentren zugeordnet. Es ist also eine Mischung aus zentraler Steuerung und Einsatz vor Ort, die dem Land zu besseren Zahlen verhilft.
Auch Berlin setzt auf eine Misch-Strategie: Seit dem 27. Dezember sind in der Hauptstadt 60 mobile Teams in den Pflegeheimen im Einsatz. Von den sechs großen Impfzentren, die alle einsatzbereit sind, arbeitet bisher immerhin eins in Treptow-Köpenick. Dort können bis zu 600 Menschen täglich geimpft werden. Allerdings musste der Betrieb zum Unmut freiwilliger Ärzte zuletzt tagelang ausgesetzt werden, weil nicht genügend Impfstoff vorhanden war. Bürger über 90 wurden bereits schriftlich eingeladen, online oder telefonisch Termine für die erste und zweite Impfung auszumachen. Allerdings klagen zahlreiche Impfberechtigte darüber, dass die entsprechende Hotline überlastet sei. Ein Vorteil ist das Angebot für Ältere, kostenlos mit dem Taxi zum Impfzentrum zu fahren.
„Zuletzt ist viel Verwirrung um die Strategie der Landesregierung entstanden“Josef Neumann Gesundheitssprecher der NRW-SPD