Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Polizei holt Aktivisten von Häuserdach
Kohlegegner wollen den Abriss von Lützerath verhindern. Tagebaubetreiber RWE ist sich mit zwei der drei verbleibenden Familien einig. Das Dorf soll in diesem Jahr fallen.
Der Widerstand gegen den fortschreitenden Braunkohlentagebau Garzweiler II hat auch im neuen Jahr nicht lange auf sich warten lassen. Am Dienstagmittag hat die Polizei fünf Aktivisten, die ein leerstehendes Haus im vom Abriss bedrohten Randdorf Lützerath besetzt hatten, vom Dach des Hauses geholt. Wie die Polizei mitteilte, müssen die fünf Aktivisten nun mit einem Strafverfahren rechnen: Hauseigentümer RWE habe Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet.
Die Aktivisten, die nach eigener Aussage zur Gruppe „Klimagerechtigkeitsbewegung“
gehören, protestierten gegen die Abrissarbeiten von Tagebaubetreiber RWE, der derzeit zusammen mit einem beauftragten Unternehmen Häuser in Lützerath abreißt. Die Kohlegegner hatten das Haus bereits in den frühen Morgenstunden vor Sonnenaufgang besetzt und mit Sitzblockaden versucht, Bau- und Polizeifahrzeuge aufzuhalten.
Wie die Polizei mitteilte, barg ein Höhenkletterer der Polizei die Aktivisten nacheinander vom Häuserdach. Gegen zwei Besetzer, die sich mit einem sogenannten „Lock-on“miteinander verbunden hatten, wurde zudem ein Strafverfahren wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet. Die drei weiteren Personen seien einem ausgesprochenen Platzverweis „trotz mehrfacher Aufforderung“nicht nachgekommen und daher von der Polizei zum Erkelenzer Bahnhof gefahren worden. Zudem hätte es am Morgen in Lützerath eine weitere Versammlung gegeben, die Personen beriefen sich auf ihre Demonstrationsfreiheit
und durften vor Ort verbleiben.
Ein RWE-Sprecher sagte auf Anfrage, die Abrissarbeiten in Lützerath würden schon seit Längerem laufen, RWE würde lediglich seinen Job machen: „Die Arbeiten sind genehmigt und auch nötig, damit wir den Tagebau weiter wie geplant entwickeln können.“Ausdrücklich verwies der Sprecher auch auf den Entwurf der neuen Braunkohle-Leitentscheidung: „Auf dieser Grundlage wollen wir den Tagebau zuerst südlich entwickeln, damit die Einwohner in Keyenberg länger dort leben können.“
Die meisten Einwohner von Lützerath sind in den vergangenen Jahren bereits nach Immerath (neu) im Erkelenzer Süden umgesiedelt, ein Großteil der Häuser des Dorfes steht leer. Laut dem RWE-Sprecher leben derzeit noch drei Familien im Ort. „Mit zwei von ihnen sind wir uns schon einig, sie werden in diesem Jahr ausziehen.“Mit der dritten Partei sei man ebenfalls in Gesprächen. Die drei Häuser seien von den derzeitigen Abrissarbeiten nicht betroffen. Der Zeitplan sehe vor, Lützerath schnellstmöglich komplett abzureißen: „Die Ortslage soll im Laufe des Jahres oder Anfang des nächsten Jahres vom Tagebau erreicht werden.“Die Aktivisten der „Klimagerechtigkeitsbewegung“sind anderer Meinung: „RWE darf hier eigentlich in den nächsten Jahren gar nicht weiter abbaggern, da die Gerichte noch nicht über die Klage eines
Lützerather Bauern gegen eine Enteignung entschieden haben“, sagte eine Sprecherin.
Auch vor dem Hintergrund eines vom Bundeswirtschaftsministerium ein Jahr lang zurückgehaltenen Gutachtens, nach dem die vom Abriss bedrohten Erkelenzer Tagebauranddörfer erhalten bleiben könnten, hatte es in den vergangenen Tagen massive Kritik an Bundes- und Landesregierung sowie RWE gegeben. Mehrere Grünen-Politiker warfen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Täuschung vor, der Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer sprach von einer „bewussten Desinformation des Parlaments und der Öffentlichkeit“.
Die Erkelenzer SPD forderte wie zuvor die Grünen ein Moratorium am Tagebaurand, einen vorübergehenden Stopp aller Abrissarbeiten, bis die Situation klar sei. „Bis Klarheit herrscht, darf RWE nicht Fakten schaffen“, sagte Fraktionschefin Katharina Gläsmann. RWE erwiderte, man halte sich lediglich an geltendes Recht.