Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Ulrich Elsen ist auf Mission Heimatpflege
Wir sind mit dem neuen Bezirksvorsteher durch Rheydt gebummelt — ein Stück Stadt, das er liebt, das aber auch Probleme hat.
RHEYDT Ulrich Elsens Gesicht ist fast zur Hälfte von einer Maske bedeckt. Trotzdem hält vor den Rathaustreppen eine ältere Dame den Rollator an und sagt nach einem prüfenden Blick: „Sie kenne ich doch...“Elsen stellt sich vor. „Ich bin Ulrich Elsen, der Bezirksvorsteher.“„Sie sind bei der CDU, nicht?“, fragt die Dame. „Nein, ich bin Sozialdemokrat“, gibt Elsen zurück. Und die Haltung, die er bei diesem Satz unwillkürlich annimmt, zeigt, welches Wort er ausgelassen hat: „aufrechter“. Was die Dame aber auch nicht so beeindruckt, dass sie sich der Kritik enthielte, die viele in und an Rheydt üben: „Rheydt ist tot“, sagt die alte Dame und wendet den Kopf in Richtung des ehemaligen Karstadt-Kaufhauses, „gucken Sie sich doch nur mal um.“Eine Diagnose, die Elsen nicht unwidersprochen lässt. Schwierig sei es schon, räumt Elsen ein. Aber tot? Nein, da ist der Bezirksvorsteher anderer Meinung. „Totgesagte leben länger“, sagt Elsen – und gibt der Seniorin eine Visitenkarte mit auf den Weg.
In Zeiten, in denen viele Kommunalpolitiker landauf landab Belästigungen und zum Teil massiven Bedrohungen ausgesetzt sind, will Elsen offenbar sicht- und ansprechbar sein. Seine private Adresse ist auf den Internetseiten der Mönchengladbacher SPD zu finden. Und im Telefonbuch steht Ulrich Elsen auch. Inkognito kann man halt auch nicht unterwegs sein, wenn man als Vorsteher eines Bezirks wie Süd so etwas wie der Bezirksbürgermeister ist, wenn man wie Elsen in Odenkirchen geboren wurde, seit Jahrzehnten Ratsmitglied ist und wenn man wie der 67-Jährige mehr als 30 Jahre am Gymnasium an der Gartenstraße und an der Gesamtschule Rheydt-Mülfort unterrichtet hat. Da kann es einem schon passieren, dass man sogar mit Corona-Mundschutz auf der Straße erkannt wird.
Das Büro, das Elsen als Bezirksvorsteher im Rathaus bezogen hat, ist nicht gerade fürstlich eingerichtet. „Muss es auch nicht sein“, sagt Elsen. Die – sagen wir mal: funktionale – Gestaltung des Zimmers verleiht gleichwohl der Frage Nachdruck, warum es Elsen dorthin und in das Bezirksvorsteher-Amt gezogen hat, nachdem er in der vergangenen Ratsperiode schon Bürgermeister der gesamten Stadt gewesen ist. „Bürgermeister ist vorwiegend eine repräsentative Funktion, als Bezirksvorsteher arbeitet man mehr im politischen Geschehen“, antwortet Elsen.
Politisches Geschehen und Aufgaben für die Politik gibt es im Bezirk Süd genug. Der bestehe mit fast 90.000 Einwohnern nicht nur aus Rheydt, betont Elsen. „Da sind genauso Odenkirchen, Geneicken, Pongs, Mülfort...“Auch wenn Elsen damit sagen will, das ihm alle Teile seines Beritts am Herzen liegen: Rheydt liegt nun einmal in der öffentlichen Wahrnehmung vorne.
Rheydt, das ist ein Stadtteil mit einem hohen Anteil von Menschen aus unterschiedlichen Nationen, ein Stadtteil, in dem man von schicken Bungalows am Schmölderpark nur wenige hundert Meter gehen muss, um an wenig ansehnlichen Wohnblocks und am anderen Ende der finanziellen Leistungskraft der Rheydter Bevölkerung angekommen zu sein. Rheydt, das ist eine von leerstehenden Ladenlokalen geprägte Fußgängerzone; ein Stadtteil mit glorreicher Vergangenheit, in dem ein neues Rathaus entstehen soll, das die Innenstadt über längere Zeit in eine Großbaustelle verwandeln wird.
Zu tun gibt es genug, das ist auch bei einem Spaziergang über die von Leerstand geplagte Hauptstraße zu sehen. „Ich habe kein Patentrezept“, gibt Elsen zu. Aber immerhin die Vorstellung, dass ein Teil der ehemaligen Einzelhandelsfläche in Wohnraum verwandelt werden könne. Für Senioren müsse das Zentrum als Wohngegend wieder attraktiver werden, aber auch für junge Leute, etwa Studenten. „Wenn das gelingt, könnte das auch positive Auswirkungen beispielsweise für die Gastronomie oder kulturelle Dienstleistungen haben“, sagt Elsen. Auch eine neues zentrales Rathaus alleine sei nicht die Rettung, es könne aber eine Nachfragesteigerung
im Einzelhandel bedeuten.
Die Überquerung der Mühlenstraße gibt Elsen den Anstoß, über die Handvoll Parkhäuser zu sprechen: „Von denen ist es keine drei Minuten Fußweg bis in die Innenstadt.“Die Mühlenstraße, an der auch ein Parkhaus liegt, werde als Ringstraße um den Kern weiter für Autoverkehr nötig sein. Aber weniger Autos im Innenkarree – dafür könnte sich Elsen offenbar schon erwärmen, sofern Anlieferverkehr für Händler möglich bleibt.
Ein Abstecher in den Maria-Lenssen-Garten, dem kleinen Park zwischen Berufskolleg und Mühlenstraße, gefällt Elsen sichtlich. Die vom Bauhausstil geprägte Architektur des Wohnheims zierte als Foto auch die Weihnachtskarten, die der Bezirksvorsteher verschickt hat. „Toll hier“, sagt er bei einem Stopp vor dem Pavillon, der in dem Park eingerahmt von alten Baumriesen steht. „Könnte glatt in Goethes Garten stehen.“
Von diesem urdeutsch anmutenden Flecken sind es nur wenige Schritte zum Multikulti-Mix der Läden und Imbissbuden entlang der Friedrich-Ebert-Straße. Wie es gelingen kann, Bürger mit Migrationshintergrund in einen Aufschwung für Rheydt einzubeziehen? „Wenn die Pandemie es nicht mehr verhindert, möchte ich das Gespräch mit ihnen suchen und erst einmal kennenlernen, was deren Perspektiven und Vorstellungen sind“, antwortet Elsen.
Marienplatz, Theaterpark, Bahnhofsvorplatz, Stresemannstraße – ein Bummel mit dem Bezirksvorsteher geht nicht im Eiltempo, denn zu erzählen weiß er viel über Rheydt. Wie sieht angesichts der großen Fülle der Aufgaben in seinem nicht gerade vor Optimismus strotzenden Heimatbezirk sein Ziel aus? „Ich habe fünf Jahre Zeit, die Entwicklung zu begleiten“, sagt Elsen, „wenn ich am Ende dann sagen kann, wir sind seit drei oder vier Jahren auf einem guten Weg, dann haben wir in Rheydt schon eine andere Stimmung.“