Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Kampf um die Kneipe
Im zweiten Lockdown geht es für die Wirte um das finanzielle Überleben. Manche haben schon ihre Türen geschlossen.
DÜSSELDORF Als Bärbel Matthias die Tür ihrer Gaststätte am 1.November vergangenen Jahres hinter sich schloss, wusste sie nicht, dass sie sich damit von dem Geschäft verabschiedete. „Zu den vier Winden“ist die älteste Kneipe in Kleve. Seit 350 Jahren steht das alte Haus dort, wo sich die Merowingerstraße und die Lindenallee kreuzen. Damals war es noch ein klassischer Hof vor den Toren der Stadt. Der Wind, der aus allen Richtungen pfiff, gab ihm seinen Namen. Seit 1934 betrieb die Familie Matthias die Kneipe. 2021 entschlossen sich Bärbel und ihr Ehemann Christian, dieser Geschichte ein Ende zu setzen.
Gäbe es eine rote Liste mit den Berufen,
die vom Aussterben bedroht sind, stünden Kneipenbesitzer darauf aktuell ganz vorne. Die Probleme der Wirte sind ähnlich, die Folgen unterscheiden sich. Überall kommen die Staatshilfen nur langsam an. Die laufenden Kosten laufen weiter. Das Personal ist in Kurzarbeit, die Aushilfen stehen oft ganz ohne Einkommen da. Manche Kneipenbesitzer sind optimistisch und kämpfen weiter für ihr Geschäft. Viele sind frustriert. Einige haben aufgegeben.
„Das Virus und der Lockdown haben einen Vorteil: Wir mussten uns nicht von Angesicht zu Angesicht von unseren Gästen verabschieden. Das hätten wir nicht übers Herz gebracht“, sagt Bärbel Matthias. Die Entscheidung war nicht überstürzt, schon seit Jahren lief es in der ältesten Kneipe in Kleve nicht mehr so gut wie früher. „Lange aufbleiben und dabei noch Bier trinken, welcher Berufstätige kann sich das denn heute noch leisten?“, fragt Matthias lakonisch.
Schon in den vergangenen 20 bis 30 Jahren sei die Zahl der Kneipen immer mehr geschrumpft, sagt Thorsten Hellwig, Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands NRW (Dehoga). Die jetzige
Situation sei aber besonders prekär. Eine Umfrage des Verbands zeigt: Im Gastgewerbe sehen sich drei von vier Unternehmern in ihrer Existenz bedroht. Jeder Vierte überlegt sogar konkret, den Betrieb zu schließen. Diese Zahlen, sagt Hellwig, gälten auch für die Kneipen.
Dass seine Existenz bedroht ist, spürt Jan Aretz schon lange. „Wir haben jetzt den fünften Monat der vergangenen zwölf Monate geschlossen“, sagt er. Seine Kneipe, der „Blaue Engel“, ist eine Institution in Krefeld. Das Geld für seine Miete verdient Aretz momentan auf dem Bau. Der gelernte Tischler hat bei einem Freund einen Job gefunden. „Für den ‚Engel’ sieht es schlecht aus“, sagt Aretz. 28.000 Euro bräuchte er, um seine Rechnungen bis Ostern bezahlen zu können. Dafür hat er eine Finanzierungskampagne auf der Plattform Startnext ins Leben gerufen. Bisher sind 9000 Euro zusammengekommen.
Nicht nur Aretz begreift die Gesellschaft als letztes soziales Netz, das seine Gaststätte retten kann. Wäre dieses Netz nicht da, würde es den „Kulturbahnhof“in Kempen nicht mehr geben. Wirte-Ehepaar Marianne und Frank Tophoven war schon im ersten Lockdown im Frühjahr vergangenen Jahres auf Spenden angewiesen. „Als die
Schließung im zweiten Lockdown bekannt wurde, hatte ich den einen oder anderen weinenden Gast an der Theke sitzen“, sagt Marianne Tophoven. Manche warfen das Geld direkt in den Briefkasten, bis die Wirte dafür ein Konto einrichteten. „Das freut und rührt einen natürlich“, sagt Tophoven.
Das Problem von Aretz, Tophoven und den anderen Wirten geht auf eine einfache Rechnung zurück: Sie haben jeden Monat Kosten, aber keine Umsätze. Zwar sind manche Mieter in der Region nachsichtig mit den Wirten, aber längst nicht alle. Für Marianne Tophoven kommen im Monat bis zu 5000 Euro allein an laufenden Kosten zusammen. Dabei hatte der Bund finanzielle Unterstützung versprochen. Doch das Geld, das für einen Ausgleich sorgen sollte, kommt nun erst mit einem Verzug von drei Monaten an.
Erst diese Woche erklärte das Bundeswirtschaftsministerium in einer Pressemitteilung, dass die vollständige Auszahlung der Novemberhilfe starten könne. „Endlich“, sagt Thorsten Hellwig vom Dehoga. Er sagt aber auch: „Die Hilfen wurden schon am 28. Oktober angekündigt und werden Ende Januar vielleicht angekommen sein.“
Für Rolf Zingsem aus Mönchengladbach dauerte das zu lange. Auch er hat seine Kneipe geschlossen. Lange war die Zukunft für das „Alt Eicken“ungewiss, Zingsem suchte bereits seit 2016 einen Pächter. „Wir haben so viel Herzblut ins Lokal gesteckt, da wollten wir es guten Gewissens übergeben“, sagt Zingsem. Kurz sah es so aus, als ob es endlich klappen würde, der perfekte Nachfolger war schon gefunden – dann sprang er aber doch wegen der Pandemie im letzten Moment ab. „Am Ende hat Corona die Entscheidung für uns getroffen“, sagt Zingsem.
Das Geld, das für den Ausgleich sorgen sollte, kam mit einem Verzug von drei Monaten an