Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Eine Frau in ständiger Rufbereitschaft
Seit 30 Jahren begleitet Gudrun Schöngen-Oude Hengel als Hebamme Mütter vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit. Die 52-Jährige setzt auf eine ganzheitliche Betreuung.
MÖNCHENGLADBACH Ihre Praxis ist 24 Stunden täglich geöffnet und das von Montag bis Sonntag. Einen Monat Urlaub im Jahr gönnt sie sich – aber der muss zwölf Monate im Voraus festgelegt sein. Spontane Kurztrips sind in der Regel nicht drin: Gudrun Schöngen-Oude Hengel ist seit 30 Jahren Hebamme, seit 23 Jahren freiberuflich in Mönchengladbach, davon 20 Jahre mit eigener Praxis. Die Rufbereitschaft rund um die Uhr scheint in der Waagschale der beruflichen Pros und Kontras keine große Rolle zu spielen: „Das ist ja meine eigene Entscheidung gewesen. Die Rufbereitschaft stärkt das Vertrauen der Schwangeren“, erklärt Schöngen-Oude Hengel. „Ich betreue vier Frauen im Monat, mit denen ich in engem Kontakt stehe und weiß, wann es soweit ist.“
Für Schöngen-Oude Hengel zählt nur eins und das ist zugleich das Schönste an ihrem Beruf: „Wenn Mutter und Kind glücklich, gesund und stolz aus einer natürlichen und selbstbestimmten Geburt hervorgegangen sind.“Und das ist, was die Welt braucht: „Starke, selbstbewusste Mütter“, sagt die Hebamme.
Die in Mönchengladbach geborene Gudrun Schöngen-Oude Hengel ist 52 Jahre alt. Als Kind schwebte ihr lange das Berufsziel Kinderärztin vor – inspiriert durch die beliebte Mönchengladbacher Kinderärztin Elisabeth Berg. Mit 15 Jahren dann begegnete Schöngen-Oude Hengel dem Berufsbild Hebamme, und schnell wurde ihr klar, dass sie in diesem Beruf das verbinden könne, was ihr am Herzen lag: Psychologie und Medizin. „Das Kinderbekommen umfasst den ganzen Menschen. Hier sind die Bereiche Medizin, Soziales und Emotionales verknüpft.“
In Aachen absolvierte sie die dreijährige Ausbildung an der Hebammenschule, ihre erste Anstellung an einem Krankenhaus hatte sie für sieben Jahre in Köln, bevor sie nach Mönchengladbach kam und Beleghebamme am Bethesda-Krankenhaus wurde. Diese Aufgabe hatte sie bis zum Februar 2019, als das Bethesda-Krankenhaus die Entbindungsstation wegen Umbaumaßnahmen vorübergehend schloss. Parallel dazu gründete Schöngen-Oude Hengel 2001 ihre eigene Hebammenpraxis.
Dort bietet sie eine ganzheitliche Betreuung von Frauen an: Diese startet zu Beginn der Schwangerschaft und endet erst dann, wenn die Stillzeit vorüber ist. 2017 schloss Schöngen-Oude Hengel eine Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie an. „Die psychologische Komponente bei der Begleitung der Schwangeren hat einen hohen Stellenwert.“Es geht darum, die Ängste der Frauen zu beleuchten, Strategien zu ihrer Überwindung zu finden, die Frauen zu stärken. „Nur wenn es der Mutter gut geht, geht es dem Kind gut“, sagt Schöngen-Oude Hengel.
Der Beruf der Hebamme ist so alt wie die Menschheit. Aus der „Großmutter, die das Neugeborene hält“– so die Bedeutung des althochdeutschen Wortes – ist eine akademisch ausgebildete Fachfrau für die Geburtshilfe geworden.
Von einem medizinisch ausgebildeten Profi durch Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit begleitet zu werden, ist optimal, sagt Schöngen-Oude Hengel: „Die kontinuierliche Begleitung bietet so viele Vorteile. Die Phase rund um die Geburt ist die sensibelste Phase im Leben eines Menschen. Eine positive Geburtserfahrung bildet das Fundament für eine körperliche und physische Gesundheit von Mutter und Kind ebenso wie für eine gelungene Bindung.“Die Geburtserlebnisse, das weiß Schöngen-Oude Hengel aus ihrer Berufspraxis, bleiben ein Leben lang in Erinnerung, bei der Frau in der bewussten, beim Kind in der unterbewussten Erinnerung.
„Risiken bei der Entbindung“, sagt die Hebamme, „werden durch die kontinuierliche Begleitung minimiert, die Frühgeburtsrate reduziert, gesundheitliche Ressourcen gestärkt. Wir haben auch Kontakt zu Vater und den Geschwistern, schauen uns die Netzwerke der Frauen an und erarbeiten, wenn nötig, Lösungsansätze für auftretende Probleme.“
Insgesamt hat Schöngen-Oude Hengel über 1600 Kinder auf ihrem Weg in die Welt begleitet, hat in Mönchengladbach als freiberuflich tätige Hebamme 10.000 Wochenbettbesuche und 5000 Schwangerenvorsorgen absolviert. Viele der Mädchen, deren Geburt sie miterlebte, haben mittlerweile auf dem eigenen beruflichen Weg zur Hebamme ein Berufspraktikum bei ihr absolviert. Auch wenn die Nachfrage nach der Ausbildung zur Hebamme ungebrochen ist, gibt es nicht genügend Hebammen für die Geburtshilfe. „Der Schichtdienst in den Kliniken ist anstrengend“, erklärt Gudrun Schöngen-Oude Hengel. „Die Vergütung ist schlecht, die Verantwortung hoch. Viele Frauen trauen sich nicht in die Freiberuflichkeit.“
Und dann ist ja noch das leidige Thema Berufshaftpflicht. Die Summe steigt kontinuierlich und liegt 2021 bei 10.500 Euro jährlich für die freiberuflichen Hebammen mit Geburtshilfe. Nach langen Kämpfen und Petitionen gab es 2015 die Zusage eines Sicherstellungszuschlags durch den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen GKV. Für jedes Quartal mit geburtshilflicher Leistung kann eine Hebamme seither einen Antrag auf Sicherstellung einreichen. Dadurch erhält sie im darauffolgenden Jahr circa zwei Drittel der Versicherungssumme zurück.