Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
16.232 Kilometer fern der Heimat
Pappeln statt Palmen: Viliame Talemaisuva stammt von den Fidschi-Inseln und arbeitet bei der GEM. Wie er hierher kam und warum er blieb.
MÖNCHENGLADBACH Morgens, wenn die Temperaturen knapp über Null liegen und Viliame Talemaisuva auf einem der Müllwagen der GEM unterwegs ist, denkt er öfters mal an Fidschi. 25, 26 manchmal gar 30 Grad sind es dort zur Zeit. Doch nicht nur das unterscheidet das Leben auf den gut 330 Eilanden des Inselstaats im Pazifik von dem in Mönchengladbach. Auf der Insel, von der Viliame Talemaisuva stammt, könnte er gar nicht mit einem Müllwagen herumfahren, selbst wenn es dort einen gäbe. „Dort leben nur etwa 100 Menschen“, erzählt der 55-Jährige, „und es gibt keine Straßen.“Besucher von Nachbarinseln kommen schon mal im Kanu vorbei.
Den Weg mit diesem Fortbewegungsmittel nach Deutschland zurückzulegen, ist allenfalls in der Fantasie durchführbar. Zwar gibt es eine Wasserverbindung über mehrere Ozeane vom Pazifik bis zur Nordsee. Aber schon die kürzeste, auch über Land führende Strecke von Fidschis Hauptinsel nach Mönchengladbach ist mehr als happig: 16.232 Kilometer sind es Luftlinie – sehr viel weiter von seiner Heimat entfernt kann man in Mönchengladbach wohl kaum sein. Und mit sehr viel weniger Landsleuten zusammen wohl auch nicht. Viliame Talemaisuva kennt nur einen weiteren Fidschianer, der in Mönchengladbach lebt.
Hierhin gekommen ist er in Diensten der britischen Armee. Fidschi war bis 1970 britische Kronkolonie, ist heute unabhängig, gehört aber immer noch dem Commonwealth an. Wie schon sein Vater diente Viliame Talemaisuva in der Armee. Als Post- und Nachrichtenzusteller war er unter anderem in Bosnien im Einsatz, im Irak und Afghanistan. Keine ungefährlichen Jobs – mit Hubschraubern Soldaten im Kampfeinsatz die Post zuzustellen gehörte dazu. Zeitweilig war er in Westfalen stationiert, dann auch im Hauptquartier bei Rheindahlen. Als die Briten 2013 das JHQ verließen, entschied sich Viliame Talemaisuva zu bleiben. Über eine Zeitarbeitsfirma kam er 2014 zur GEM.
Die Kollegen in diesem Job nennen ihn Tuki. Das ist einfacher – und für Viliame Talemaisuva überhaupt kein Problem. Sein Spitzname steht auch auf dem gelben Overall, den er bei der Arbeit trägt. Mit den Kollegen komme er prima aus, sagt Viliame Talemaisuva. Wenn er in der Stadt ausgehe, gebe es hingegen auch schon mal argwöhnische oder missbilligende Blicke. Aber in solchen Situationen gehe er Ärger aus dem Weg. Dass sich Viliame Talemaisuva entschieden hat, in Deutschland zu bleiben, hat nicht nur mit seiner deutschen Frau zu tun. Sondern auch mit den Bildungschancen, die sich seinen drei Kindern hier eröffnen. „Wer sich hier nicht um Bildung bemüht, ist selbst schuld“, sagt Talemaisuva.
Daheim, auf den winzigen Inseln Fidschis, ist es dagegen viel schwieriger, eine höhere Schule zur erreichen. Der größte Unterschied zwischen dem Lebensstil hierzulande und in seiner Heimat? „Die Freiheit“, sagt Talemisuva nach kurzem Nachdenken: „Auf meiner Insel daheim kennt jeder jeden, niemand schließt seine Haustür ab, es gibt keine Polizei.“Kein Wunder, sind doch die
meisten Einwohner der Insel auch irgendwie miteiander verwandt.
Bis zum Ruhestand will Viliame Talemaisuva in Deutschland bleiben. Danach würde er gerne mit seiner Frau und den Kindern, sofern sie mitgehen wollen, nach Australien ziehen. Dort lebt schon ein Teil seiner Familie. Der Arbeit wegen ins Ausland zu gehen, ist auf den Fidschis wie in anderen pazifischen Inselstaaten nicht ungewöhnlich.
Im Jahr 2019 ist Viliame Talemaisuva zum bislang letzten Mal auf den Fidschis gewesen. Eine Reise, die vier Flüge erfordert und von der Hauptinsel dann noch mal eine Etappe mit einer Fähre. „Die braucht anderthalb Tage“, sagt Viliame Talemaisuva. Wie gesagt: Viel weiter von seiner Heimat entfernt kann man in Mönchengladbach wohl kaum sein.