Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Wie Frauen sich das Auto eroberten.
Es trägt einen Namen, der im ersten Moment irritiert: „Kompetenzzentrum Frau und Auto“. Doch die Wissenschaftlerin, die dahinter steht, stellt nicht etwa die Fahrkompetenz ihres Geschlechts in Frage. Im Gegenteil.
MÖNCHENGLADBACH Das „Kompetenzzentrum Frau und Auto“hat untersucht, wie der Automarkt mit Frauen umging. Und half Autofahrerinnen, den Markt zu erobern. Doris Kortus-Schultes hat das Zentrum 2003 mit einem interdisziplinären Forschungsteam gegründet. „Mit meinem Studierenden habe ich damals Marktsegmentierung, also die Unterteilung des Marktes in verschiedene Gruppen, geübt“, sagt Kortus-Schultes, die den Staffelstab der Leitung kürzlich an Marion Halfmann übergeben hat. Frauen seien bis dahin insbesondere im Automarkt nicht weiter untersucht worden.
Die Forscherinnen stellten Fragen wie „Was ist Frauen beim Autokauf wichtig?“, „Wie reagieren Verkäufer, wenn eine Frau in Begleitung eines Mannes ein Auto kaufen will?“oder „Wie unterscheidet sich die Nutzung des Autos bei Frauen und Männern?“Die Bedürfnisse von Frauen seien vor rund 20 Jahren noch etwas andere gewesen als die der Männer. „Die Ansprüche an ein Auto waren etwa, die Einkäufe gut darin verstauen zu können, es fehlten Befestigungen, eine Ablagefläche für die Handtasche, die Rampe am Kofferraum störte dabei, die Getränkekiste hineinzustellen“, sagt Kortus-Schultes. Doch schon viel grundlegendere Punkte seien damals ein Problem gewesen. „Viele Frauen sind zierlicher als Männer: Da schnitt der Anschnallgurt in den Hals, die Sitzverstellung reichte nicht aus.“Inzwischen habe sich das geändert, viele Autohäuser und auch -hersteller hätten Interesse an den Ergebnissen des Kompetenzzentrums gezeigt.
Geändert habe sich auch der Umgang von Verkäufern mit Kundinnen. „Wir haben Käufe simuliert und festgestellt: Wollte eine Frau in Begleitung eines Mannes ein silbernes Auto kaufen, sprach der Mann aber von einem schwarzen, zeigte der Verkäufer eher schwarze Autos.“Die Autoindustrie habe Frauen erst Anfang der Jahrtausendwende als attraktive Zielgruppe erkannt.
Besonders interessant findet Kortus-Schultes einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung im Autosektor und der steigenden Teilhabe von Frauen in der deutschen Gesellschaft. „Je höher die Karrierepfade führten und je mehr Frauen Vollzeitjobs ausübten, umso mehr machten auch einen Führerschein“, sagt Kortus-Schultes mit Blick auf den Mikrozensus von 1982 bis 2017.
„Viele ältere Frauen denken auch deutlich sentimentaler an ihr erstes Auto als die jüngeren“, so Kortus-Schultes. „Damals war es ein Schritt in die Freiheit, da wurde der Umzug mit dem Fiat 500 gemacht, die Frauen nähten selbst Sitzbezüge für den Wagen.“Für die jüngere Generation sei das Auto vielmehr ein Nutzgegenstand.
Mittlerweile spiele es eine ganz andere Rolle – besonders im Leben junger Fahrerinnen und Fahrer. „Die Geschlechter haben sich angeglichen, die Lebensmodelle haben sich verändert“, sagt Kortus-Schultes. „Neue Modelle wie Carsharing, Mitfahrgelegenheiten bis hin zu ersten selbstfahrenden Autos halten Einzug. Das Auto wird dadurch zum rollenden Smartphone.“
Marion Halfmann hat die Leitung des Kompetenzzentrums im März übernommen. Sie sieht das Auto sogar als rollendes Wohnzimmer. „Wenn das Auto demnächst von selbst fährt – was kann man da alles währenddessen machen? Schlafen, frühstücken, arbeiten, sogar Sport?“
Halfmann möchte den Fokus des Zentrums erweitern. „Das Käuferverhalten und der Automobilmarkt haben sich stark verändert“, sagt die 52-jährige Professorin für Betriebswirtschaftslehre, Marketing und Vertrieb. „Die Zeiten, in denen Männer durchweg große Limousinen fuhren und Frauen kleine Einkaufsflitzer, sind vorbei“, sagt Halfmann.
Demographische Kriterien wie Alter und Geschlecht würden von anderen überlagert. „Die Kaufkriterien sind inzwischen mehr von den Lebensumständen beeinflusst“, sagt sie. „Frauen ist ja nicht angeboren, dass sie kleine, wendige Autos mögen. Sie fahren nur noch immer häufiger in der Stadt als Männer.“Bei ähnlichen Lebensumständen sei zum Beispiel die Markenwahl ähnlich. „Im Marketing orientiert man sich inzwischen viel an psychografischen Kriterien.“Tesla etwa richte sich vor allem an technikaffine, experimentier- und risikofreudige Kunden. „Dass man damit bisher bei Frauen wenig Erfolg hat, hängt vor allem damit zusammen, dass viele Frauen aufgrund ihrer Lebensumstände viel Wert auf ein Verlässlichkeit und Sicherheit beim Service legen.“
Auch die Frage, was das Auto noch sein kann, außer Fortbewegungsmittel, beschäftigt Halfmann. „Ich habe mich neulich mit einem Automobilhersteller
ausgetauscht, der sich die Frage gestellt hat: Wie müssen selbstfahrende Autos innen aussehen, wie muss der Sitz gestaltet sein, damit ich während der Fahrt Yoga machen kann?“
Zudem stiegen neue Player in den Markt ein – auch Technikkonzerne wie Google oder Apple. „Diese konzentrieren sich auf das eigentliche Zukunftsgeschäft im Automobilmarkt:
„Frauen ist ja nicht angeboren, dass sie kleine, wendige Autos mögen. Sie fahren nur noch immer häufiger in die Stadt als Männer“Marion Halfmann, Leiterin des Kompetenzzentrums Frau und Auto
die Daten.“
Mittlerweile könnten die Forscher zu anderen Schlüssen kommen, wenn sie auch Einkommen, Berufstätigkeit, Familienstand in den Blick nähmen, sagt Halfmann.Einen Unterschied habe sie aber auch schon ausgemacht: Frauen achteten bei Kaufentscheidungen häufiger auf Dritte: „Kann die Schwiegermutter leicht ein- und aussteigen? Was denkt mein Mann, wenn ich dieses Auto wähle? Wie geht es den Kindern damit?“Und noch weitergehend: „Die Unfallstatistiken zeigen, dass Frauen eigentlich die ordentlicheren Fahrerinnen sind – da wären etwa Telematik-Tarife bei Versicherungen, die den Preis vom Fahrverhalten abhängig machen, ein ideales Frauen-Produkt.“