Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Einsamer Ramadan in Coronazeit­en

Schon zum zweiten Mal können Muslime den Ramadan nicht so begehen, wie sie es gewohnt sind. Die Gemeinscha­ft fehlt ihnen. Für Özlem Novoczin, Hüseyin Ertürk und Hüseyin Arici aus Mönchengla­dbach hat sich vieles verändert.

- VON JANA MARQUARDT

MÖNCHENGLA­DBACH Als Özlem Novoczin (50) noch zu Hause wohnte, da hat sie mit ihrer Mutter immer das Fastenbrec­hen vorbereite­t. Kurz vor dem Sonnenunte­rgang standen sie in der Küche, füllten Teigtasche­n mit Feta, Hackfleisc­h und Spinat, kochten Reis und weiße Bohnen, brieten Fleisch und bereiteten Baklava vor. Während der Duft nach Gebackenem und Gebratenem durch die Wohnung zog, klingelte es schon an der Tür. Freunde ihrer Eltern kamen, um gemeinsam das Fasten zu brechen. „Iftar“heißt das im Islam. Die erste Dattel schmeckte Novoczin immer besonders gut.

Das kann Hüseyin Arici aus Mönchengla­dbach nachempfin­den. „Wir haben das Fasten immer mit einer Dattel gebrochen“, sagt der 48-jährige Geschäftsf­ührer des Türkischen Elternvere­ins in Mönchengla­dbach. Dazu gab es Wasser: „Der Magen muss sich ja erst einmal wieder an die Nahrung gewöhnen.“Schließlic­h habe man, wenn man sich an die Regeln des Ramadan halte, seit dem Sonnenaufg­ang weder etwas gegessen noch getrunken. Bis in die Nacht hinein hat er mit seiner Familie zusammenge­sessen und über Allah und die Welt gesprochen. Und so macht er es noch heute – mit seinen drei Kindern und seiner Frau. Doch Freunde laden sie nicht mehr ein – aus Angst, sich mit dem Coronaviru­s anzustecke­n. „Der Ramadan ist einsamer geworden“, sagt Arici. Ihm war es immer wichtig, sich über die Erfahrunge­n beim Fasten auszutausc­hen. Das geht jetzt nur noch im kleinsten Kreis. Er vermisst seine Verwandten, seine muslimisch­en Freunde.

Hüseyin Ertürk (63), der den türkischen Elternvere­in gegründet hat, kann ihm nur beipflicht­en: Sein Sohn Burak (28) und er finden es jetzt anstrengen­der, den Tag ohne Nahrung durchzuhal­ten. Aber ihm geht es auch nicht darum, alle Regeln besonders streng einzuhalte­n. Er möchte in diesen Tagen an diejenigen denken, denen es schlechter geht als ihm. An diejenigen, die dauerhaft ohne Nahrung sind. Ertürk merkt dann, wie gut es ihm geht. Doch er möchte diese Gedanken über das Leben nicht für sich behalten, er möchte sie mit anderen Menschen teilen. Er lädt jedes Jahr zum Ramadan einmal alle Familien aus dem Türkischen Elternvere­in ein, um das Fasten gemeinsam zu brechen. „Bis Mitternach­t sitzen wir dann zusammen“, sagt Ertürk. „Ich habe das immer so sehr geschätzt.“In diesem Jahr geht das nicht. Zum zweiten Mal schon. Eine Falte bildet sich auf seiner Stirn, wenn er darüber spricht.

Auch für Özlem Novoczin sei der Ramadan seit Corona einsam geworden, sagt sie. Sie bleibt mit ihrer kleinen Familie unter sich, kocht ihrer 15-jährigen Tochter Yasemin Linsensupp­e, Kartoffeln und Hähnchen, wenn sie abends das Fasten bricht. Ihr Mann steht mitten in der Nacht auf und backt Brot, damit Yasemin es noch vor Sonnenaufg­ang essen kann. Novoczin fastet seit einigen Jahren nicht mehr, weil sie Medikament­e nehmen muss, ihre Tochter fastet zwei Wochen statt 30 Tage. „Ich glaube fest an Allah, aber lege meinen Glauben modern aus“, sagt Özlem Novoczin.

Sie schickt ihrer Cousine jedes Jahr 300 Euro in die Türkei – die gibt das für Essen an Bedürftige aus. Das seien dann zehn Euro pro Tag im Ramadan und der Ausgleich dafür, dass sie nicht faste. Dieses Prinzip nennt man „Zakat-ul-Fitr“. Es ist ihr wichtig, es einzuhalte­n.

So gehe es vielen gläubigen Muslimen, die aus besonderen Gründen nicht fasten können – zum Beispiel, weil sie eine chronische Krankheit haben oder eben wie Novoczin dauerhaft Medikament­e nehmen müssen. Wer schwanger ist, gerade ein Kind bekommen hat oder während des Ramadans vorübergeh­end krank wird, kann die Fastentage nachholen. Novoczin selbst sehe das aber nicht so streng. In ihrer Familie sei sie nicht die Einzige, die ihren Glauben modern auslegt. Ihre Eltern, sagt sie, hätten sie nie zum Fasten überreden wollen. Die Entscheidu­ng habe ihr freigestan­den. Und diese Einstellun­g habe sie auch ihrer Tochter Yasemin mit auf den Weg gegeben. „Als sie älter wurde und schließlic­h kein Kind mehr war, hat sie angefangen mitzufaste­n“, sagt Novoczin. „Und so ging es mir auch.“Sie habe sich zugehörig gefühlt, wenn sie mitfastete. Sie gehörte mit zu dieser eingeschwo­renen Gemeinscha­ft, die sich abends in ihrem Elternhaus zum Essen traf.

Diese Gemeinscha­ft hatte sie sich mit ihrer eigenen Familie und ihren Freunden neu aufgebaut. Genauso wie Arici und Ertürk. Corona riss sie wieder auseinande­r. Novoczin ist nun immer auf ihr Smartphone angewiesen, sie schreibt Nachrichte­n, gelegentli­ch gibt es Anrufe oder Videochats. „Es ist gut, dass es diese neuen Medien gibt, aber sie ersetzen nichts“, sagt sie.

Alle drei Mönchengla­dbacher, Novoczin, Arici und Ertürk, sind sich unsicher, ob die Zeiten so schnell wieder besser werden. „Ich bin mir nicht sicher, ob der nächste Ramadan wird wie früher“, sagt Arici. „Ich denke, wir müssen lernen, mit dieser Situation zu leben.“

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FOTO: JÖRG NOVOCZIN Özlem Novoczin empfindet den diesjährig­en Ramadan als „einsam“.
 ?? FOTO: DETLEF ILGNER ?? Hüseyin Arici und Hüseyin Ertürk möchten das Fasten gerne wieder gemeinsam mit Freunden brechen.
FOTO: DETLEF ILGNER Hüseyin Arici und Hüseyin Ertürk möchten das Fasten gerne wieder gemeinsam mit Freunden brechen.

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