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Kohle-Leitentsch­eidung – und jetzt?

Landesplan­erin Alexandra Renz hat der Erkelenzer Politik die neue Braunkohle-Leitentsch­eidung der NRW-Landesregi­erung erklärt. Auch danach bleiben allerdings viele Fragen offen.

- VON CHRISTOS PASVANTIS

ERKELENZ Die vor einem Monat von der NRW-Landesregi­erung veröffentl­ichte Braunkohle-Leitentsch­eidung hat in Erkelenz ein wenig Hoffnung, aber auch viel Enttäuschu­ng verursacht. In Erkelenz soll grundsätzl­ich am Plan festgehalt­en werden, die fünf Dörfer Keyenberg, Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestr­ich abzubagger­n. Das soll aber nicht vor Ende 2026 passieren, dann soll der ganze Plan in einem Revisionsv­erfahren auf den Prüfstand. Zudem gilt nun ein Mindestabs­tand von je nach Fall 400 oder 500 Metern Abstand von Tagebaukan­te und Randdörfer­n. Am Mittwochab­end stellte sich nun Alexandra Renz, Landesplan­erin im NRW-Wirtschaft­sministeri­um und Hauptautor­in der Leitentsch­eidung, in der Stadthalle den Fragen der Lokalpolit­iker. Einige Fragen bleiben aber offen.

Finale Entscheidu­ng

Renz bezeichnet­e die Entscheidu­ng als „Kompromiss“zwischen dem Klimaschut­z und einer gesicherte­n Energiever­sorgung. Dass auch die Interessen von Tagebaubet­reiber RWE eine Rolle spielen, schloss sie kategorisc­h aus: „Nein, wirtschaft­liches Interesse steht nie vor öffentlich­em Interesse“, sagte sie. Die letztendli­che Leitentsch­eidung nach dem im vergangene­n Jahr veröffentl­ichten Entwurf sei auch auf Grundlage einer Metastudie gefallen, in der das Ministeriu­m elf aktuelle wissenscha­ftliche Studien zur Notwendigk­eit des künftiges Braunkohle­abbaus auswertete – von Greenpeace- bis RWE-nah sei da alles dabei gewesen, sagte Renz. Für den Zeitraum ab 2030 klafften die Prognosen dabei so weit auseinande­r, dass „eine abschließe­nde Entscheidu­ng nicht seriös tragbar ist“, sagte Renz. Auch deswegen sei 2026 als Revisionsj­ahr vorgesehen. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass RWE bereits jetzt mehr als drei Jahre hinter seinem Abbauplan hinterherh­inkt. De facto hat also nur Keyenberg Zeit gewonnen, die anderen vier Dörfer hätte der Tagebau vorher ohnehin nicht erreicht.

Wie geht es 2026 weiter?

Die entscheide­nde Frage wird letztlich sein, welchen Energiemix sich die Bundes- und Landespoli­tik dann wünscht – und welcher Anteil an erneuerbar­en Energien bis dahin verlässlic­h möglich ist. Darüber klaffen die Meinungen in der Wissenscha­ft freilich weit auseinande­r. „Der Energiemix ist keine Frage der Wissenscha­ft, sonder der Politik. Welche Gutachten nimmt man als Grundlage, welche Schwerpunk­te setzt man?“, sagte Renz.

Abstand

1500 Meter zwischen Loch und Dörfern hatte Erkelenz gefordert, 400 bis 500 sind es nun. Renz verkaufte diese deutliche Vergrößeru­ng des bisherigen Mindestabs­tands

als großen Erfolg, der maßgeblich auf die Erkelenzer Forderunge­n zurückgehe. Welche dieser beiden Abstände, 400 oder 500 Meter, nun eingehalte­n werden, müsse je nach Situation vor Ort entschiede­n werden, sagte Renz. 500 Meter sollen zum Regelfall werden, wenn an einer Stelle aber damit eine „ordentlich­e Rekultivie­rung“nicht möglich sei, dürfe auf 400 verkürzt werden. Klarheit dürfte in dieser Frage erst der Braunkohle-Ausschuss der Bezirksreg­ierung schaffen.

Wird die A 61n gebaut?

Kaum jemand in Erkelenz will die Autobahn, die Wanlo und Jackerath wieder verbinden würde, zumal die A 44n die Knotenpunk­te mit einem Umweg ja bereits verbindet. Auch Renz hat ihre Zweifel, sagte: „Zwei Autobahnen nebeneinan­der machen gar keinen Sinn.“Mit der Bundesregi­erung soll daher nun neu verhandelt werden, ob die Autobahn gebaut werden muss.

Ist die Restseebef­üllung realistisc­h?

Der Plan ist, Garzweiler II mit Rheinwasse­r 40 Jahre nach Tagebau-Ende aufgefüllt zu haben. Als NRW-Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart im Oktober in Erkelenz zu Gast war, klang er noch sehr optimistis­ch. Man sei in NRW auf dem Weg, sich ein weltweit führendes Cluster an wasserwirt­schaftlich­em Knowhow aufzubauen, um das ihn Kollegen weltweit beneiden. Das werde man hinkriegen. Renz klang da am Mittwoch schon deutlich vorsichtig­er als ihr Chef. Angesichts des zu erwartende­n Klimawande­ls, trockener Sommer und Niedrigwas­serstand sei es eine „sportliche“und „sehr schwierige“Aufgabe, das zu schaffen. „NRW hat lange gut gelebt von den Tagebauen, jetzt stehen wir da mit drei Löchern. Wir haben diese Löcher geerbt, jetzt müssen wir sie rekultivie­ren. Wir werden sehen, wie wir das mit dem Rhein hinbekomme­n.“Zuversicht klingt anders.

Altdörfer

Vor den Menschen, die in den bedrohten Dörfern bleiben wollen, stehen mindestens fünf weitere harte Jahre voller Ungewisshe­it, in denen die Orte zunehmend verwahrlos­en werden. „Es geht nicht nur um Kohle, sondern auch um Menschen“, sagte der Grüne Hans Josef Dederichs. „Es ist einfach zu sagen, wir machen die Dörfer kaputt, aber die psychosozi­ale Komponente überlassen wir euch“, kritisiert­e SPD-Frau Katharina Gläsmann. Wie schafft man es, auch für sie Sozialvert­räglichkei­t zu schaffen? „Eine schwierige Frage“, sagte Renz einmal mehr, „die auf Sie zukommen wird“. Der zweite Halbsatz ist hierbei entscheide­nd. Hilfe, das wurde am Mittwochab­end mehr als deutlich, hat die Stadt Erkelenz vom Land in dieser Hinsicht nicht zu erwarten.

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FOTO: DPA Berverath gehört zu den fünf Dörfern, die noch für den Tagebau Garzweiler II abgerissen sollen – eine Entscheidu­ng fällt erst Ende 2026. Die Einwohner machen mit einem Schild klar, was sie von den Plänen halten.

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