Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Eine Ruckrede ohne Ruck
Olaf Scholz musste es an diesem Sonntag wuppen. Die Stimmung drehen, den Beweis antreten, dass ein Kreuzchen bei der SPD auf dem Wahlzettel eine gute Idee ist. Was er vor Technikern aber ohne Zuschauer oder Delegierte beim digitalen Parteitag ablieferte, hatte das Zeug zu einer Ruckrede. Er machte klar, dass die SPD zwar in den vergangenen Jahren mitregiert habe, ohne Richtlinienkompetenz im Kanzleramt aber längst nicht alles gegen die Union durchsetzen konnte, was sie eigentlich vorhatte. Scholz konzentrierte sich in seiner Rede, die eher einer Fernsehansprache an die Nation glich, auf die Zukunft. Scholz und die SPD wollen mit Milliarden und einer neuen Umverteilung den „Fortschritts-Stau“, wie es Scholz nannte, beseitigen.
Doch der Ruckrede fehlt der Ruck. Und das liegt an Scholz. Er ist eben nicht der Typ für emotional mitreißende Auftritte, für spontane Jubelschreie. Erfolge wie die Wohnungsbaupolitik in Hamburg erwähnt er selbstredend, Skandale wie Wirecard jedoch nicht. Und auch nicht die schlechten Umfragewerte seiner Partei. Dabei hätte ihm das gut zu Gesicht gestanden. Offensiv diese Probleme anzusprechen, für sich zu drehen, selbst die Aufholjagd auszurufen. Schließlich steht er intern unter Druck, die Genossen sind nervös angesichts des Umfragetals.
Und Scholz bleibt nicht mehr viel Zeit. Bereits im August gehen die Wahlunterlagen für die Briefwahl an die Menschen raus. Geht man von einem ähnlich hohen Anteil an Briefwählerstimmen wie zuletzt in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg aus, da waren es rund die Hälfte, muss er aufs Tempo drücken. Will Scholz also Kanzler werden, muss er mindestens Platz zwei hinter Union oder Grünen belegen. Und dafür muss zuerst ein Ruck durch Scholz selbst gehen. BERICHT DER RUHIGE KANZLERKANDIDAT, POLITIK