Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Wenn Beethoven Fußball gespielt hätte
RP-Musikredakteur Wolfram Goertz gestaltete den Hörabend „Elise im Mondschein – ein Beethoven-Special“in der Neanderkirche.
DÜSSELDORF Letzten Samstagabend auf der Bolkerstraße. Fast wie früher, konnte man meinen: dichtes Gedränge, anschwellender Lärm, Schaulaufen der Schönen und Vergnügungssüchtigen. Wenn da nicht, auf der Höhe der Nummer 36, eine kleine, aber feine Spur abgebogen wäre. In Hinterhoflage, als Biergarten getarnt, lockte dort die Neanderkirche erstaunlich viele Menschen zu einem Vergnügen besonderer Art. Für einen „Hörabend“nahmen sie gern die nicht besonders bequemen Reihen des Bethauses in Kauf. So wie sie das vor der Pandemie beim Düsseldorf-Festival seit vielen Jahren taten.
„Ich habe Sie unendlich vermisst“, hieß es dann endlich von Wolfram Goertz. Die Auftritte des Musikredakteurs der Rheinischen Post sind ein fester Bestandteil des Düsseldorf-Festivals und immer schnell ausverkauft. In gut anderthalb launigen Stunden präsentiert er legendäre und vergessene Aufnahmen zu einem Komponisten der Klassik oder Neuzeit. „Elise im Mondschein – ein Beethoven-Special“war letztes Jahr der Epidemie zum Opfer gefallen. Macht nichts, sagte Goertz, das Programm kann bleiben, denn Beethoven ist zeitlos aktuell.
Während viele draußen auf Großbildschirmen verfolgten, wie die Spieler von Bayern München ihre Gegner von RB Leipzig ratzfatz demontierten, bestieg der Musikjournalist die Kanzel der Neanderkirche. Demontieren wollte auch er, aber mit gehörigem Respekt und gleichsam in höherem Auftrag. Denn von unten in Rot angestrahlt, wirkte die Kanzel im Dante-Jahr wie der Gipfel eines Läuterungsbergs. Ein Purgatorium also, bei dem der große Komponist Ludwig van Beethoven von allem falschen Tand gereinigt wurde. Denn nach dem Purgatorium kommt bekanntlich das Paradies,
in diesem Fall die reine Musik des Genies.
Wie sehr aber Läuterung und Erläuterung verbunden sind, wie sehr die Hörer auf diesen vergnüglichen Teil des Programms gespannt waren, zeigte sich auch bei Goertz' Beethoven-Special. Ob der Komponist seine 70 Skizzenbücher im Freien füllte oder in einer der 60 Wohnungen, in die er während seines Lebens umzog. Ob seine Schwerhörigkeit eine Behinderung oder gar einen Vorteil bildete. Oder ob Chuck Berry mit dem Evergreen „Roll over Beethoven“wirklich nur seinen Frust darüber verarbeitete, dass Schwesterchen Lucie ständig das einzige Piano der Familie in Beschlag nahm. Immerhin gehört der Titel aus dem Jahr 1956 zu den 50 Musikstücken, die die Library of Congress als Nationales Erbe in ihren Beständen führt.
Als es dann von der Kanzel schließlich hieß „Knofi, fahr ab!“und Chuck Berrys Rock 'n' Roll die Zuschauer in der Neanderkirche in unkontrollierbare Schwingungen versetzte, wären wohl nicht wenige der Besucher gern aus den engen Bänken zum Tanzen in den Altarraum gewechselt.
Goertz, seit Jahrzehnten in dieser Zeitung für die Musik verantwortlich, hat keine Scheu vor Ohrwürmern oder Evergreens. Wohl aber großen Respekt vor Dirigenten wie Hermann Scherchen, der als einer der ersten Künstler Beethovens Metronomangaben ernst nahm. Als es darum ging, Scherchens mit dem Orchester der Wiener Staatsoper aufgezeichnete Sinfonie Nr. 3 („Eroica“) einzuspielen, durfte das Publikum über die Länge der Aufnahme entscheiden. Das Ergebnis war keine Überraschung: Man wollte alles hören.
Tatsächlich ging es an dem sehr unterhaltsamen Abend aber auch um Fußball. „Der Ludwig, der war echt für alles gut“, meinte Goertz und stellte sich vor, welche Position wohl Beethoven in einer fiktiven Ballmannschaft von Komponisten einnehmen würde. Verraten sei hier nur, dass die an dieser Stelle imaginierte, reale Spielerlegende vor Kurzem das Zeitliche gesegnet hat.