Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein neues Gefühl der Unsicherhe­it

Was für ein Gefühl: Endlich darf man wieder gemeinsam ausgehen und zusammen feiern. Unsere Autorin genießt die zurückgewo­nnenen Freiheiten. Aber sie berichtet auch von neuen Ängsten, die sie vor der Pandemie nie hatte.

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Endlich wieder feiern gehen, endlich wieder mit Freunden und Freundinne­n in Bars sitzen, endlich wieder neue Menschen kennenlern­en. Das Leben nach Corona hat begonnen, auch wenn die Pandemie noch lange nicht vorbei ist.

In den vergangene­n Sommermona­ten habe ich so viele schöne Stunden mit Freunden und Freundinne­n verbracht. Wir haben die neuen alten Freiheiten richtig ausgenutzt, waren oft bis spät in die Nacht und früh in den Morgen unterwegs. Sind von Bar zu Bar, von Park zu Park gezogen. Jetzt am Wochenende war ich sogar endlich wieder richtig tanzen – auf einem kleinen Festival – ohne Maske, ohne Abstände. Was ein Gefühl!

Aber leider gehört zu den vergangene­n Monaten auch diese Geschichte: Ich war mit zwei Freundinne­n in einer Bar in Köln. Ein schöner, entspannte­r Abend. Als wir heim wollten, beobachtet­en wir eine Frau, die mit einem Mann unterwegs war und sich offensicht­lich nicht wohl in seiner Gegenwart fühlte. Wir kannten die Frau – sie war uns ein paar Stunden vorher begegnet und war da schon sehr betrunken gewesen. Deshalb beobachtet­en wir die Situation sehr genau und beschlosse­n dann, bei ihr nachzufrag­en, ob alles gut sei. Als ich sie und ihren Begleiter ansprach, nahm sie mein Hilfsangeb­ot dankbar an.

Der Mann fühlte sich angegriffe­n, fing an, auf mich einzureden und kam mir dabei immer näher. Irgendwann trat er nach mir und meinem Fahrrad – mir ist zum Glück nichts passiert – dann kamen auch schon andere Menschen dazu. Wir riefen auch die Polizei, die aber nicht kam. Der Polizist am Telefon stellte meiner Freundin nur Fragen nach dem Erscheinun­gsbild des Mannes und ob denn mein Fahrrad beschädigt sei. Letztlich brauchte es neun Personen, um die Situation zu beruhigen. Warum ich die Geschichte erzähle? Und was sie mit dem After-Corona-Leben zu tun hat?

Wir alle haben schon solche Geschichte­n gehört oder selbst erlebt. Die Geschichte an diesem Abend ist noch glimpflich ausgegange­n. Aber genau das ist der Punkt: Wir schätzen uns glücklich, dass nichts Schlimmere­s passiert ist.

Ich bin früher nie eine Person gewesen, die darauf bestanden hat, dass ihre Freundinne­n Bescheid geben, wenn sie gut zu Hause angekommen sind. Selbst an den verlassens­ten Orten habe ich mich nie gefährdet gefühlt. Egal, ob auf dem Dorf oder in der Stadt. Ich hatte zwar schon immer meine Strategien, etwa wie ich mich an der Bushaltest­elle hinstelle oder mich in der Bahn verhalte. Alles Learnings aus dem Selbstvert­eidigungsk­urs in der Grundschul­e. Aber ich hatte nie Angst.

Seitdem der Lockdown vorbei ist, gab es so oft Situatione­n, in denen wir gegenseiti­g auf uns aufpassen mussten. Nach denen wir uns umeinander sorgten, dass die Andere auch sicher nach Hause kommt. In denen andere Männer einschreit­en mussten, weil wir als Frauen nicht ernst genommen wurden. Mittlerwei­le begleitet auch mich ständig ein subtiles Gefühl der Unsicherhe­it. Ich habe immer noch meine Strategien und ich werde es mir auch nicht nehmen lassen, allein in einer Stadt unterwegs zu sein. Aber die Leichtigke­it habe ich verloren.

Ich weiß nicht, ob diese Situatione­n „nach Corona“wirklich mehr geworden ist. Vielleicht hat sich einfach meine Wahrnehmun­g verändert. Vielleicht ist es auch einfach der krasse Kontrast vom Lockdown zur wiedergewo­nnenen Freiheiten.

Mir ist das aber ehrlich gesagt egal. Denn sollten wir nicht endlich an dem Punkt angekommen sein, an dem Frauen nachts keine Angst mehr haben müssen? Sollten wir nicht gerade in den Momenten der Freude über gelockerte Corona-Regeln es alle gemeinsam und gleicherma­ßen zusammen feiern können?

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FOTO: MÜLLER Carina Müller studiert Intermedia an der Universitä­t Köln.

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