Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Ein Viertel kämpft für seinen Martinszug
In Viersen soll die Veranstaltung eines Vereins immerhin in abgespeckter Form stattfinden – dank unbeirrter Akteure.
VIERSEN Wenn Eduard „Edi“Tusch am 14. November in Viersen aufs Pferd steigt, ist die Welt für ihn fast wieder in Ordnung. Dann wird er, angetan mit Helm und rotem Mantel, zu Sankt Martin. Und bleibt es für einige Stunden. „Für mich ist das keine Rolle, ich lebe das in dem Moment“, sagt der 55-Jährige. Deshalb zahlt er die Gebühr für das Pferd auch selbst. Wer sich als Wohltäter ausstaffiert, muss mit gutem Beispiel vorangehen, lautet seine Devise. Teilen ist für Tusch ein Lebensprinzip. Und der Zug des Martinsvereins Krefelder Straße eine gute Gelegenheit, dies umzusetzen. Auch wenn es, und das ist der kleine Haken an der Sache, in diesem zweiten Pandemie-Jahr nur eine abgesteckte Veranstaltung geben wird – wie in vielen anderen Städten auch. Zudem bleibt ein kleiner Rest Ungewissheit, ob die Infektionszahlen nicht doch wieder steigen.
Das Land hatte erst vor Kurzem wieder grünes Licht für öffentliche Martinsfeiern gegeben. „Veranstaltungen zum Martinsfest können nach aktuellem Stand in Nordrhein-Westfalen stattfinden und unterliegen, sofern nicht mehr als 2500 Personen teilnehmen, keinerlei Beschränkungen“, teilte das NRW-Gesundheitsministerium mit. Die aktuelle Corona-Schutzverordnung läuft allerdings am 29. Oktober, also noch vor St. Martin am 11. November, aus. Dann muss die Lage möglicherweise neu bewertet werden. Viele Schulen, Vereine und Gemeinden haben daraus Konsequenzen gezogen und bieten nur deutlich kleinere Veranstaltungen – mit Musik vom Band und einem Kleinumzug beispielsweise auf dem Schulhof, zum Teil ohne Eltern. Einige Städte halten aber auch an ihren Zügen fest.
Dass die Viersener wahrscheinlich überhaupt annähernd adäquat das Martinsfest feiern können, haben sie unter anderem Lothar Beeck zu verdanken. Der Vorsitzende des Martinsvereins hat alles daran gesetzt, trotz extrem knapper Vorbereitungszeit einen Zug auf die Beine zu stellen. Vergangenes Jahr musste der Verein wegen der hohen Corona-Zahlen kurzfristig passen, selbst ein Notprogramm ließ sich nicht realisieren. „Dass der Martinszug ausgefallen ist, hat mich in der ganzen
Corona-Zeit am meisten angefasst“, sagt Beeck. „Daran hatte ich lange zu knabbern, weil darin so viel Herzblut steckt.“Dieses Jahr musste es also unbedingt wieder klappen, trotz teils leerer Kassen. Vor einigen Jahren stand der Martinsverein schon einmal vor der Pleite und der Zug auf der Kippe. Damals hörte Edi Tusch davon und mobilisierte seine Stammtischgruppe, die 800 Euro sammelte und so für zwei Jahre Planungssicherheit sorgte. Tusch engagierte sich weiter für den Verein, half bei der Tütchenausgabe und initiierte einen Glühweinstand, um Gelder einzuwerben. Als Reiter wurde ihm nahegelegt, die Nachfolge des ausscheidenden Sankt-Martin-Darstellers anzutreten. „Mich hat das stolz gemacht, jahrhundertelanges Brauchtum weiterzuführen und an eine neue Generation weiterzugeben“, sagt er. Entsprechend traurig war er über die letztjährige Absage.
Beeck lobt die Solidarität der Menschen in seinem Bezirk. „Viele möchten, dass es weitergeht mit der Tradition, und haben gespendet“, sagt er. Die Kosten von rund 600 Euro seien gedeckt, der Grundstock für nächstes Jahr sei schon gelegt. Los geht's am 14. November um 17 Uhr an der Kanalstraße. Mitziehen dürfen die Kinder diesmal aber nicht, sondern nur vom Straßenrand zuschauen. Dafür aber entschädigt der Zug mit bestmöglicher St.-Martin-Atmosphäre: Mit dabei ist ein rund 20-köpfiges Tambourkorps („Die freuen sich riesig und kommen mit Mann und Maus“, sagt
Beeck), das den Reiter begleitet, sowie ein Wagen, von dem aus am Feuer Weckmänner an die Kinder verteilt werden. Die Tütchenausgabe fällt weg. Dafür spielt Edi Tusch später die Mantelteilungsszene.
Der Viersener liebt es, feierlich durch die Dunkelheit zu reiten und den Kindern dabei etwas über Werte zu vermitteln. „Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe“, sagt er, „und darüber hinaus nicht ganz ungefährlich.“Hochkonzentriert sei er auf seinem Pferd, das ja auch einmal impulsiv reagieren könne. Rund eine Stunde dauert der langsame Ritt, die Strecke zieht sich über rund drei Kilometer. Aber auch danach bleibt Tusch in der Rolle des Sankt Martin, so lange, bis alle Kinder gegangen sind. Bis zu 500 Zuschauer kommen jedes Jahr, sagt Beeck, darunter etwa 300 Kinder. Ob die abgespeckte Version des Zuges auch so viele Menschen anlocken wird, darüber mag der Vereinsvorsitzende nicht spekulieren. Er setzt auf das Prinzip Hoffnung, und toll wäre es schon, wenn das Ersatzprogramm überhaupt stattfindet.