Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Gendern, bis es blutet
Sprachdebatten werden emotional geführt. Dabei geht es um etwas anderes.
Der als „Gendern“bezeichnete Umgang mit der geschlechtergerechten Sprache spaltet zurzeit die Gesellschaft. So erntete der Vorstoß der baden-württembergischen Kultusministerin Theresa Schopper, gendergerechte Sprache an den Schulen bewusst einzusetzen, herbe Kritik, allen voran vom Deutschen Philologenverband. Der Verbandslandesvorsitzende Ralf Scholl bezeichnete das Gendern als „unnötig wie einen Kropf“. Von einem Verband, der demonstrativ ein vermeidbares generisches Maskulinum im Namen trägt, ist vermutlich keine andere Aussage zu erwarten. Inakzeptabel ist dagegen, dass Scholl Schoppers Empfehlung einer gendergerechten Sprache als „Sprachvergewaltigung“verhöhnte und dabei das Gendern bewusst mit dem blutigen Akt des sexuellen Missbrauchs gleichsetzte. Im Gegensatz zum Thema Gendern erhielt Scholls geschmackloser Sprach-Lapsus in der Öffentlichkeit wenig Beachtung. Worte mit Gendersternchen sind schwer zu lesen und sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Gendern bedeutet jedoch mehr als die Verwendung von Gendersternchen und schließt unter anderem den Gebrauch beider Geschlechter oder das Ersetzen des generischen Maskulinums durch einen geschlechterneutralen Begriff mit ein. Obwohl oft problemlos umsetzbar, fällt die geschlechtergerechte Sprache vielen dennoch schwer. Insbesondere Bezeichnungen gesellschaftlich angesehener Positionen wie „Arzt“, „Präsident“oder „Professor“bleiben männlich belegt. Die Frau ist in solchen Funktionen bisher wenig sichtbar.
Die geschlechtergerechte Sprache ist ein wichtiges Werkzeug, um die Frau aus dem Schatten in das Licht zu holen und ihr einen Platz in der Mitte der Gesellschaft einzuräumen. Die Abneigung gegen das Gendern insbesondere bei prestigeträchtigen Begriffen scheint in einem generellen Unwillen die Frau als ranggleich anzusehen begründet zu sein. Gendern ist damit weniger eine Bezeichnung für einen geschlechtergerechten Sprachwandel als für einen auf dem Rücken der Sprache ausgetragenen Geschlechterkonflikt.