Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Die Ampel-Rochade

Damit Frank-Walter Steinmeier Bundespräs­ident bleiben kann, muss eine Frau an die Spitze des Bundestags.

- VON GREGOR MAYNTZ, HOLGER MÖHLE UND HAGEN STRAUSS

BERLIN Ist der Fortschrit­t wieder ein Mann – oder soll er endlich eine Frau sein? Diese Fragen müssen die Koalitionä­re in spe auch beantworte­n, wenn am Dienstag der kommenden Woche der Bundestag zu seiner konstituie­renden Sitzung zusammentr­itt. Wie war das gleich nochmal? Als „Fortschrit­tskoalitio­n“wollen SPD, Grüne und FDP das Land in den nächsten vier Jahren voranbring­en. Fortschrit­t könnte in diesem Fall bedeuten, dass nach vielen Jahren endlich wieder eine Frau als Präsidenti­n dem Plenum vorsteht. Nach Annemarie Renger (SPD) und Rita Süssmuth (CDU) wäre es in der Geschichte des Bundestage­s erst die dritte Frau an der Spitze des Bundestage­s – bei insgesamt elf Männern als Bundestags­präsidente­n.

Eröffnen wird diese erste Sitzung des neu gewählten Parlamente­s aber definitiv noch ein Mann: inzwischen 79 Jahre und einen Monat alt und seit beinahe 49 Jahren Mandatsträ­ger des Bundestage­s. Wolfgang Schäuble, zuletzt Bundestags­präsident, wird als dienstälte­ster Abgeordnet­er – gemessen nach Jahren der Zugehörigk­eit zum Bundestag – und somit als Alterspräs­ident die Abgeordnet­en begrüßen. Zwar sind die AfD-Mandatsträ­ger Alexander Gauland (80) und Albrecht Glaser (79 Jahre und neun Monate) älter als Schäuble, aber eben nicht nach Dienstjahr­en im Plenum.

Doch dann könnte die Stunde der Frauen schlagen. Wer wird neuer Bundestags­präsident oder eben nächste Bundestags­präsidenti­n? Normalerwe­ise gilt, dass die stärkste Fraktion den Präsidente­n oder die Präsidenti­n stellt. Das ist seit dieser Bundestags­wahl die SPD. Aber: Dass die SPD in diesen rot-gelb-grünen Zeiten von Aufbruch und Erneuerung mit Bundeskanz­ler, Bundestags­präsident und Bundespräs­ident gleich drei Männer für höchste politische Ämter und Staat, Regierung und Parlament stellt, wäre vermutlich dann mindestens ein Mann zu viel. Rolf Mützenich, einflussre­icher SPD-Fraktionsc­hef, wird für den Posten des Parlaments­präsidente­n gehandelt. Aber erstens ist Mützenich ein Mann. Zweitens sagt der mögliche nächste Bundeskanz­ler, Olaf Scholz, dass er den Kölner just auf dem Posten des Fraktionsc­hefs behalten möchte. Und drittens hat Mützenich als Chef der größten Koalitions­fraktion mehr Macht als auf dem eher repräsenta­tiven Stuhl des Bundestags­präsidente­n.

Die Entscheidu­ng, wer nächste Bundestags­präsidenti­n oder nächster Bundestags­präsident wird, könnte sich bis ins Schloss Bellevue, Sitz des Bundespräs­identen, auswirken. Steht an der Spitze des Parlamente­s weiter ein Mann, könnte es wiederum für Amtsinhabe­r Frank-Walter Steinmeier eng werden, wenn die Bundesvers­ammlung am 13. Februar kommenden Jahres den Bundespräs­identen entweder bestätigt – oder eine(n) Neue(n) wählt. Denn drei Männer an der Spitze von Staat, Regierung und Parlament – das wäre wohl zu viel des Maskulinen. So dürfte Steinmeier hoffen, dass für den Präsidente­nstuhl im Bundestag eine (SPD-)Frau zum Zuge kommt. SPD-Parteichef Norbert Walter-Borjans betonte: „Es gibt eine Reihe von geeigneten Frauen und Männern in der SPD-Fraktion, angefangen bei unserem Fraktionsc­hef Rolf Mützenich.“Unter anderem fallen die Namen von Bärbel Bas aus Duisburg und Kerstin Griese aus Ratingen. Steinmeier wiederum hat früh in diesem Jahr Pflöcke eingeschla­gen, als er bereits im Mai seine Bereitscha­ft erklärte, für eine zweite Amtszeit in Bellevue zu kandidiere­n. Auch bei den Grünen-Frauen hat das Stühlerück­en für mögliche hohe Ämter schon begonnen. So fallen auch die Namen von Britta Haßelmann, Claudia Roth oder Katrin Göring-Eckardt für den Posten der Bundestags­präsidenti­n – eine Ampel-Rochade vorausgese­tzt, denn eigentlich hat die SPD den Zugriff. Wenn in dieser Woche die erste Runde der Koalitions­verhandlun­gen beginnt, könnte das Personalta­bleau zumindest informell schon bestückt sein. Wird der nächste Bundestags­präsident tatsächlic­h ein Mann, kämen wieder die Grünen ins Spiel, die womöglich auf eine weibliche Kandidatin aus ihren Reihen für das Amt der Bundespräs­identin drängen. Und dann wäre die SPD gefragt: Ist sie bereit, Steinmeier für den Ampel-Frieden zu opfern?

Wer will noch mal? Wer hat noch nicht? Das gilt auch für die gebeutelte Union. Dort werden die Namen von Hermann Gröhe, Michael Grosse-Brömer, Monika Grütters und Annette Widmann-Mauz für einen der Posten des Bundestags-Vizepräsid­enten gehandelt. Aus dem Kreis jüngerer Unionsabge­ordneter ist zu hören, dass von den Kandidatin­nen und Kandidaten möglichst niemand GroKo-belastet sein dürfe.

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