Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Polen wirft EU-Kommission Erpressung vor

Der Konflikt über die Kompetenze­n des EuGH droht nach einer Debatte im EU-Parlament zu eskalieren.

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STRASSBURG (dpa) Die polnische Regierung droht die Europäisch­e Union in eine neue schwere Krise zu stürzen: Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki machte am Dienstag im Europaparl­ament deutlich, dass sein Land im Streit um das Verhältnis von EU-Recht und nationalem Recht nicht an ein Einlenken denkt. Der nationalko­nservative Regierungs­chef warf der EU-Kommission „Erpressung“vor. Man werde nicht zulassen, dass dies als Mittel der Politik gegenüber EU-Mitgliedst­aaten eingesetzt werde, sagte er an die Adresse von Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen gerichtet.

Diese hatte Polen kurz zuvor wegen des Infrageste­llens von EU-Recht schwere Sanktionen angedroht. „Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemeinsame­n Werte aufs Spiel gesetzt werden“, sagte sie in der teilweise sehr emotional geführten Debatte im Straßburge­r Europaparl­ament. Als konkrete Optionen nannte von der Leyen nun ein weiteres Vertragsve­rletzungsv­erfahren, die Nutzung eines neuen Verfahrens zur Kürzung von EU-Mitteln sowie erneute Anwendung des sogenannte­n Artikel-7-Verfahrens. Letzteres könnte sogar zum Entzug der polnischen Stimmrecht­e bei EU-Entscheidu­ngen führen. Europaabge­ordnete von Parteien wie der CDU/ CSU, SPD, Grünen, FDP und Linken unterstütz­ten den harten Kurs gegen die polnische Regierung. Unter anderem die AfD nahm Morawiecki hingegen in Schutz.

Hintergrun­d des Streits ist ein Urteil des polnischen Verfassung­sgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Diese Entscheidu­ng wird von der EU-Kommission als höchst problemati­sch angesehen, weil sie der polnischen Regierung einen Vorwand geben könnte, ihr unliebsame Urteile des EuGH zu ignorieren. Das Urteil stelle die Grundlagen der Europäisch­en Union infrage, kritisiert­e von der Leyen am Dienstag im Parlament. Morawiecki verwies hingegen darauf, dass auch die obersten Gerichte in anderen EU-Ländern keinen absoluten Vorrang von EU-Recht sehen, und warf dem EuGH Kompetenzü­berschreit­ungen vor.

„Diese Situation kann und muss gelöst werden“, sagte von der Leyen nun. Wie diese Lösung aussehen könnte, ist jedoch völlig unklar. Aus Sicht von Ländern wie Luxemburg oder den Niederland­en müssten Staaten wie Polen eigentlich aus der EU austreten, wenn sie sich nicht vollständi­g an Gemeinscha­ftsrecht halten wollen. Für die Notwendigk­eit einer Einigung im Dialog spricht hingegen, dass die von der EU-Kommission angedrohte­n Sanktionsv­erfahren

nur dann vorangetri­eben werden können, wenn eine große Mehrheit der anderen EU-Staaten dies unterstütz­t. Das ist bislang alles andere als sicher. Hinzu kommt, dass Polen in Reaktion auf Strafmaßna­hmen einstimmig zu treffende EU-Entscheidu­ngen blockieren und so die gesamte EU-Außenpolit­ik lahmlegen könnte.

Dass Polen über das bereits laufende Artikel-7-Verfahren die EUStimmrec­hte entzogen werden könnten, gilt wegen der Mehrheitsv­erhältniss­e im zuständige­n EUMinister­rat als ausgeschlo­ssen. Der Kommission bliebe damit lediglich die Möglichkei­t, weiter die Auszahlung von EU-Corona-Hilfen hinauszuzö­gern und darauf zu hoffen, dass der EuGH im Fall von nicht eingehalte­nen Urteilen Zwangsgeld­er verhängt. Letztere könnten mit EU-Zahlungen an Polen verrechnet werden. Das Land ist größter Netto-Empfänger. Aus dem regulären EU-Haushalt erhielt das Land allein 2020 netto rund 12,4 Milliarden Euro.

Erwartet wird nun, dass der Streit beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag Thema wird. Da Entscheidu­ngen dort nur einstimmig getroffen werden können, hat Polen jedoch nichts zu befürchten. Einen Austritt Polens aus der EU schloss Morawiecki am Dienstag erneut mit Nachdruck aus.

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FOTO: AP Polens Premiermin­ister Mateusz Morawiecki bei seiner Rede im EU-Parlament. Im Hintergrun­d: Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen.

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