Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Zu viel Streit: Mehr Schiedsleute nötig
Nicht nur Zoff unter Nachbarn liefert Schiedsleuten Arbeit, die oft eine außergerichtliche Einigung ermöglicht. Im Süden der Stadt wird so viel gestritten, dass dort nun mehr Schlichter gesucht werden.
RHEYDT/ODENKIRCHEN Vor elf Jahren scheint die Welt in Rheydt und Odenkirchen noch heiler gewesen zu sein. Zumindest so heil, dass Streitfälle unter Einwohnern selten genug waren, um eine Zusammenlegung des Schiedsamtsbezirks Odenkirchen mit dem Bezirk Rheydt vornehmen zu können. Was im Zuge der Reduzierung der Mönchengladbacher Stadtbezirke auf vier und angesichts niedriger Zahl von Schiedsverfahren im Süden damals sinnvoll erschien, ist Schnee von gestern: Im Süden der Stadt werden inzwischen öfter als in den übrigen Bezirken die Dienste des dort amtierenden Schiedsmannes gebraucht – und in einer solch hohen Zahl von Fällen, dass eine Schiedsperson alleine der Arbeit gar nicht mehr Herr wird. „Es sind inzwischen so viele Fälle, dass das ein ehrenamtlich Tätiger unmöglich alleine machen kann“, sagt Wolfgang Bremges, der das Amt in Süd versieht und es Ende des Jahres niederlegen wird.
Der persönliche Eindruck des Schiedsmannes lässt sich in Zahlen fassen. Zwischen 2015 und 2020 gab es in den drei übrigen Schiedsamtsbezirken der Stadt im Schnitt zehn protokollierte Verfahren pro Jahr und Bezirk. Anders die Lage in Bremges Beritt: „Im Bezirk Süd besteht bereits seit dem Jahr 2018 eine verfestigte signifikante Abweichung zu dieser Durchschnittsfallzahl“, bilanzierte die Stadtverwaltung kürzlich in einer Vorlage für den Stadtrat und schlüsselte auf: 2018 gab es in Süd 18 abgeschlossene Schlichtungsfälle, 2019 waren es 29. 2020 wurden dort 18 abgeschlossen – aber das war nicht alles: Wegen der Pandemie konnten zwölf weitere Verfahren in 2020 nicht abgeschlossen werden, so dass sich die zu bearbeitenden Fälle in 2021 für Bremges auf fast 40 summierten.
Schlussfolgerung der Stadt: „Die überhöhte Fallzahl im Schiedsamtsbezirk Süd besteht bereits seit über drei Jahren. Für die Zukunft sind geringere Fallzahlen nicht zu erwarten oder absehbar. Dieser Überbelastung kann dauerhaft und strukturell alleinig nur durch eine Erhöhung der Schiedsamtsbezirke begegnet werden.“Darum soll Bremges Bezirk wieder in zwei, Rheydt und Odenkirchen, geteilt werden. Vorerst kümmert sich Bremges noch alleine, doch in absehbarer Zeit werden zwei Nachfolger nötig sein. Denn Ende des Jahres legt der Endsechziger sein Amt nieder. Er will mit seiner Frau aus Mönchengladbach wegziehen, näher zu Kindern und Enkelkindern.
Bleiben die Fragen: Worüber wird im Süden so häufig gestritten? Warum gibt es dort öfter Zoff als anderswo? Zwei Drittel aller Fälle, die Bremges in seinem Zimmer im Rheydter Rathaus schlichten soll, sind Streitereien unter Nachbarn. Doch auch zwischen nicht nah beieinander wohnenden Bürgern kann er in Fällen von Beleidigung, Bedrohung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Schadenersatzforderung und sogar bei leichter oder fahrlässiger Körperverletzung tätig werden.
Dass sein Bezirk ungewöhnliche hohe Fallzahlen hat, erklärt sich Bremges mit der Sozialstruktur: „Zwei Gruppen sind dort sehr ausgeprägt: sozial Schwache, die ihre Konflikte nicht geregelt bekommen, und andererseits eine höchst konservative bürgerliche Klientel, bei der um Millimeter am Gartenzaun gestritten wird und darüber, wo und wie oft genau wer Mülltonnen aufstellen darf.“
Immer wieder hat Bremges erlebt, wie verbittert und wie lange solche Streitfälle ausgetragen werden, wie belastend solche Konflikte für die Streitparteien sind. „Ich habe ein Ehepaar kennengelernt, dass verließ sein Haus kaum noch, aus Angst von Nachbarn verleumdet zu werden“, berichtet Bremges. Wie sehr der Zwist die Beteiligten mitnimmt, erkundet er stets, nachdem er im Gespräch mit den Streithähnen zunächst die sachliche Seite des Problems aufgedröselt hat. Wenn dann die emotionale Seite an die Reihe kommt, lautet die Frage: Wie sehr belastet sie das Problem auf einer Skala von eins bis zehn? „Die meisten antworten mit einer Zahl zwischen acht und zehn. Ich habe kaum etwas anderes gehört“, berichtet der Schiedsmann.
Dass der Bezirk aufgeteilt wird und zwei Schiedsleute übernehmen werden, hat Bremges Segen. Doch er hat auch noch eine andere Idee: „Die Streitenden landen oft viel zu spät beim Schiedsmann. Wir haben Sozialarbeiter, die sich um Jugendliche kümmern, eigentlich müssten wir auch Sozialarbeiter für Erwachsene haben, die den Menschen in einer viel früheren Phase helfen, ihre Konflikte zu lösen.“