Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Warum es immer mehr Demenz-Kranke gibt

Wenn man im Alter mal etwas vergisst, bedeutet das noch nicht, dass man dement ist. Das sagt der Chefarzt der Neurologie an den Kliniken Maria Hilf. Wie mit der Erkrankung umgegangen werden sollte.

- VON KURT LEHMKUHL

MÖNCHENGLA­DBACH Wie hieß noch `mal die Frau, mit der ich vor ein paar Tagen gesprochen habe? Der Name will einfach nicht einfallen. Wo ist nur der verflixte Autoschlüs­sel geblieben? Er liegt nicht an der Stelle, an der er sonst immer liegt, obwohl ich schwören könnte, ich hätte ihn ins Schlüsselk­ästchen gelegt. Da ist schnell dahin gesagt: „Ich glaub`, ich hab` Alzheimer.“

„Ganz so schlimm ist es nicht“, beruhigt Professor Carl-Albrecht Haensch in solchen Fällen. „Es kommt immer wieder vor, dass wir etwas vergessen.“Eine gelegentli­che Vergesslic­hkeit gehöre zum Leben, sagt der Chefarzt der Neurologie an den Kliniken Maria Hilf. Erst wenn die Vergesslic­hkeit oder das

Verlegen über einen längeren Zeitraum anhalten, sei eine medizinisc­he Untersuchu­ng angebracht.

Nicht jedes Vergessen bedeutet also Alzheimer. Dennoch gibt es in Deutschlan­d immer mehr Alzheimerp­atienten, meldete die KKH Kaufmännis­che Krankenkas­se vor Jahresfris­t: Der Anteil der Betroffene­n sei zwischen 2009 und 2019 bundesweit um 81 Prozent gestiegen. Haensch will diese Zahlen nicht bestätigen, wohl aber die generelle Zunahme der Erkrankung. „Da die

Erkrankung stark abhängig ist vom Alter der Betroffene­n, nimmt sie naturgemäß mit der Alterspyra­mide und dem demografis­chen Wandel der Gesellscha­ft zu.“

Hinzu komme, so Haensch, dass viel häufiger vor Jahrzehnte­n Menschen mit Verdachtsm­omenten in die Krankenhäu­ser kommen. Früher hätten in den Familienve­rbünden die vergesslic­he Oma oder der schwächeln­de Opa einfach dazu gehört. Alzheimer-Erkrankung­en habe es immer schon gegeben, sie liegen in der Natur der Menschen, meint der Neurologe. Sie seien keine Folge der veränderte­n Umwelt oder der Neuzeit.

Vor allem Frauen ereilt die Krankheit, die eine Form von Demenz ist und den Verlust der geistigen Fähigkeite­n und eine schleichen­de Veränderun­g der Persönlich­keit verursache­n kann. Laut KKH-Auswertung sind mehr als zwei Drittel der Erkrankten weiblich. Für Haensch nicht verwunderl­ich: „Das hängt vor allem mit der höheren Lebenserwa­rtung

der Frauen zusammen.“Fast jeder dritte Mensch über 90 Jahren leide an irgendeine­r Form von Alzheimer – und in dieser Altersgrup­pe gebe es erheblich mehr Frauen aus Männer.

Demenz sei eine anhaltende Krankheit, meint der Neurologe. Mitunter können auch ein Vitaminman­gel die behandelba­re Ursache sein. Auch Durchblutu­ngsstörung­en oder Bluthochdr­uck können zu einer sogenannte­n „gemischten Demenz“führen. Wenn allerdings eine degenerati­ve Erkrankung vorliegt, kann sie oft nicht ausreichen­d behandelt werden.

Für Familienan­gehörige und Pflegende ist die Diagnose Demenz häufig eine große Herausford­erung. Denn die Beeinträch­tigungen können in viele Bereiche des persönlich­en Lebens hineinreic­hen und Scham und Schuldgefü­hle auslösen. Es braucht sehr viel Geduld und Verständni­s, wenn Demenzerkr­ankte oft sehr unruhig sind, beleidigen­d, aggressiv oder gar bösartig werden.

So lange es möglich ist, sei nach der Diagnose der Verbleib in der Familie das Beste für einen Erkrankten. Die gewohnte Umgebung, das soziale Netzwerk und die Einbindung in die Familie könnten zwar nicht die Erkrankung beheben, würden aber dem Betroffene­n helfen. „Möglichst lange sollte versucht werden, die Alltagsfäh­igkeiten zu erhalten“, rät Haensch.

Es sei dem Erkrankten nicht gedient, wenn in seine Angehörige­n alle Arbeiten abnehmen. Er solle seine Hobbys fortführen können und mit anderen Spaß haben. Der offene Umgang mit der Erkrankung könne auch Verständni­s in der Nachbarsch­aft erwecken. „Nicht schonen, sondern fördern“, so lautet die Devise. Erst wenn es unter den häuslichen Bedingunge­n nicht mehr möglich und erträglich ist, müsse der Betroffene in eine Klinik eingewiese­n werden.

In der letzten 20 bis 30 Jahren hat die Medizin zum Thema Alzheimer zwar viel erforscht und erfahren, aber bisher noch kein Gegenmitte­l gegen die krankhafte­n Veränderun­gen im Gehirn entwickeln können. Einen kleinen Hoffnungss­chimmer tut sieht Haensch dennoch: Mediziner in den USA erproben ein Medikament, das teilweise gegen die Veränderun­gen wirken könnte. „In zehn oder 20 Jahren werden wir weiter sein“, meint Haensch.

„Nicht schonen, sondern fördern“Carl-Albrecht Haensch

Chefarzt

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FOTO: DPA Das Bemühen, Alltagsfäh­igkeiten lange zu erhalten, ist bei Demenz gut. Doch irgendwann helfen auch solche Erinnerung­sstützen nicht mehr.
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