Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Sieben Lesetipps fur den Herbst
Tpp 1 Der – ganz zu Recht – viel gerühmte US-Autor Jonathan Franzen hat einen neuen Roman geschrieben, ach was, ein Epos! Über 800 Seiten dick, soll „Crossroads“nur der Beginn einer Trilogie sein. Es ist ein unglaublicher Roman geworden, der am 23. Dezember des Jahres 1971 im Mittleren Westen spielt. An einem einzigen Tag wird eine Familiengeschichte entfaltet, in der sich all das widerspiegelt, was uns und die Welt bewegt: die großen und die kleinen Glaubenskrisen, unsere Zweifel, unser Glück. Jonathan Franzen: „Crossroads“. Übersetzt von Bettina Abarbanell. Rowohlt, 826 Seiten, 28 Euro.
Tipp 2 Julia Franck, die Deutsche Buchpreisträgerin von 2007, gehört zu den stilleren Autorinnen. Das hat auch zu tun mit der Art ihres Erzählens, das nie laut, nie grell ist, sondern immer poetisch und berührend. Und dass sie ihr neues Buch eine Erzählung nennt und keinen Roman, hat auch damit zu tun. Franck will von ihrem Leben nicht in der Großform erzählen, sie gibt uns auf zurückhaltende Weise Einblicke in ihren holprigen, schwierigen, unsicheren Lebensweg. „Welten auseinander“heißt das ergreifende Buch, das mehr ist als eine Autobiografie. Julia Franck: „Welten auseinander“. Fischer, 368 Seiten, 23 Euro.
Tipp 3 Kanada ist das Gastland dieser Buchmesse, und es ist ein Glücksfall, dass uns dadurch die Liebesgeschichten von Kenneth Bonert in die Hände gefallen sind. „Toronto“heißt der etwas spröde Titel seiner Erzählungen, doch der Untertitel lädt zum Lesen ein: „Was uns durch die Nacht trägt“. Weil es die vollends glückliche Liebe ja nur in Groschenromanen gibt, erzählt Bonert von Menschen, die auf der Suche nach einem Partner und voller Lebenszweifel sind. Vier Geschichten, die kunstvoll verbunden wurden und Lebenswege nachzeichnen, wie sie auch für unsere Zeit so typisch sind. Kenneth Bonert: „Toronto. Was uns durch die Nacht trägt“. Aus dem Kanadischen von Stefanie Schäfer. Diogenes, 250 Seiten, 22 Euro.
Tipp 4 Dieser Roman ist so ungewöhnlich wie sein Titel: „Phon“erzählt von der Wildnis der westrussischen Wälder und somit von einem Leben mit Tieren, die wir bestenfalls aus dem Zoo kennen; und es erzählt von einer Existenz in großer und schwer zu bewältigender Einsamkeit. Dieses Leben ist ein Experiment, wieder mit einer Welt in Einklang zu kommen, der wir schon lange entfremdet sind. Und das Zoologenpaar Nadja und Lew lässt sich darauf ein. Viel Idealismus ist mit im Spiel, aber auch viel Enttäuschung. Die Niederländerin Marente de Moor – Tochter des Künstlers Heppe de Moor und der Autorin Margriet de Moor – hat als Journalistin mehrere Jahre in Russland gelebt und gearbeitet. Und sie bringt uns diese unbekannte Welt und das unbekannte Leben dort in Farben nahe, vor allem in Tönen, in Geräuschen. Ein unfassbar sinnlicher Roman. Marente de Moor: „Phon“. Aus dem Niederländischen von Bettina Bach. Hanser, 338 Seiten, 24 Euro.
Tipp 5 Hakan Nesser hat wieder zugeschlagen und beschert uns schlaflose Lesenächte. „Barbarotti und der schwermütige Busfahrer“heißt sein Roman, der nicht so melancholisch ist, wie er klingt. Dabei sieht alles erst nach einer Auszeit für Inspektor Barbarotti und seine Kollegin Eva Backman aus, die seine Lebensgefährtin und leider im Verdacht ist, bei einem Polizeieinsatz die Schusswaffe nicht korrekt eingesetzt zu haben. Bis zum Ergebnis der Untersuchung ziehen sich beide in die Abgeschiedenheit Gotlands zurück. Dass dort an Ruhe nicht zu denken ist, weiß der Leser besser als die beiden Helden. Ein Buch für alle Nesser-Fans und solche, die es werden wollen. Hakan Nesser: „Barbarotti und der schwermütige Busfahrer“. Aus dem Schwedischen von Paul Berf. BTB, 413 Seiten, 22 Euro.
Tipp 6 Der Roman ist ein wirklich harter Brocken. Nicht, weil er so schwer zu lesen ist, sondern weil seine Story so bitter ist. Es ist die Geschichte von Mutter und Sohn; von Agnes, die den Slums in Glasgow entkommen will und die doch immer wieder trotz großer Anstrengung dem Alkohol und den Exzessen verfällt. An ihrer Seite ist ihr kleiner Sohn Hugh, ein ungewöhnlicher Junge, der alles tut, um die kleine Zweierfamilie vor dem Abgrund zu retten. Doch die Umstände meinen es nicht gut mit den beiden; es sind die berüchtigten Thatcher-Jahre; Arbeitslosigkeit grassiert und der Kampf ums Überleben tobt. „Shuggie Bain“ist der Debütroman von Douglas Stuart. Dieses Buch hat bei seinem Erscheinen einen solchen Eindruck hinterlassen, dass es 2020 mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde. Ein Lese-Erlebnis. Douglas Stuart: „Shuggie Bain“. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Hanser, 493 Seiten, 26 Euro.
Tipp 7 Zum Schluss ein Buch von mehr oder weniger drei Autoren: der eine, Denis Scheck, TV-bekannter Literaturkritiker, der ungeliebte Bücher vor laufenden Kameras schon mal in den Papierkorb pfeffert. Die andere ist Christina Schenk, Buchhändlerin und Journalistin, die drei Jahre in Folge bei den Bundessiegerprüfungen im Turnierhundesport angetreten ist. Und: Jack-Russell-Terrier Stubbs. Er ist im Grunde der Dritte im Bunde des Autoren-Trios des eigenartigen und witzigen Buches „Der undogmatische Hund“. Das ist eine Liebesgeschichte zwischen einer Frau, einem Mann und, wie gesagt, einem Jack-Russell-Terrier. Hunde-Liebes-Literatur gibt es ja einige. Viele sind lesenswert, dieses ganz besonders. Viel Spaß dabei. Denis Scheck, Christina Schenk, Stubbs: „Der undogmatische Hund“. Kiepenheuer & Witsch. 288 Seiten, 22 Euro.