Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Jüdische Pionierinnen
Der Hochschulzugang für Frauen in Deutschland hat eine spannende Geschichte.
27. Januar fand der Holocaust-Gedenktag anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau statt, um an die sechs Millionen Juden zu erinnern, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Bis zum Aufkommen des Nationalsozialismus machten Juden über ein Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Sie prägten maßgeblich die deutsche Gesellschaft und hatten einen wichtigen Einfluss auf unser Hochschulsystem.
Wenigen Frauen ist bewusst, dass sie das Immatrikulationsrecht jüdischen Studentinnen zu verdanken haben. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts blieben deutsche Universitäten für Frauen aufgrund des fehlenden Abiturs verschlossen. Jedoch strömten vermehrt junge Jüdinnen aus dem russischen
Reich an die deutschen Hochschulen. Sie besaßen einen Schulabschluss, hatten zum Teil bereits in der Schweiz studiert und waren dadurch berechtigt, als Gasthörerinnen den Vorlesungen beizuwohnen. Überfordert vom Ansturm russischer Jüdinnen und von der Frauenbewegung zusätzlich unter Druck geraten, öffneten die Universitäten 1909 deutschlandweit ihre Tore für das „Frauenstudium“. Damit stand deutschen Frauen der Universitätsbesuch frei – bis die an die Macht kommenden Nationalsozialisten den Anteil von Studentinnen auf zehn Prozent beschränkten, um Frauen zurück zu Haus und Herd zu drängen. Viele jüdische Wissenschaftlerinnen flüchteten oder fielen dem Holocaust zum Opfer. So emigrierte zum Beispiel die berühmte jüdische Mathematikerin
Emmy Noether in die USA, während die bekannte Philosophin Edith Stein im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau umgebracht wurde. Jüdische Pionierinnen haben den Weg für deutsche Akademikerinnen vorbereitet, die Nationalsozialisten haben ihn wieder zerstört. Obwohl Frauen in Deutschland inzwischen rund die Hälfte aller Studierenden ausmachen, sind die Auswirkungen des Nationalsozialismus bis heute zu spüren. Mit einem Frauenanteil in der Wissenschaft von nur 28 Prozent belegt Deutschland europaweit einen der untersten Plätze.