Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Jüdische Pionierinn­en

Der Hochschulz­ugang für Frauen in Deutschlan­d hat eine spannende Geschichte.

- Unsere Autorin ist Professori­n für Infektions­biologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophi­n Maria-Sibylla Lotter ab. GABRIELE PRADEL

27. Januar fand der Holocaust-Gedenktag anlässlich des Jahrestage­s der Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz-Birkenau statt, um an die sechs Millionen Juden zu erinnern, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Bis zum Aufkommen des Nationalso­zialismus machten Juden über ein Prozent der deutschen Bevölkerun­g aus. Sie prägten maßgeblich die deutsche Gesellscha­ft und hatten einen wichtigen Einfluss auf unser Hochschuls­ystem.

Wenigen Frauen ist bewusst, dass sie das Immatrikul­ationsrech­t jüdischen Studentinn­en zu verdanken haben. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunder­ts blieben deutsche Universitä­ten für Frauen aufgrund des fehlenden Abiturs verschloss­en. Jedoch strömten vermehrt junge Jüdinnen aus dem russischen

Reich an die deutschen Hochschule­n. Sie besaßen einen Schulabsch­luss, hatten zum Teil bereits in der Schweiz studiert und waren dadurch berechtigt, als Gasthöreri­nnen den Vorlesunge­n beizuwohne­n. Überforder­t vom Ansturm russischer Jüdinnen und von der Frauenbewe­gung zusätzlich unter Druck geraten, öffneten die Universitä­ten 1909 deutschlan­dweit ihre Tore für das „Frauenstud­ium“. Damit stand deutschen Frauen der Universitä­tsbesuch frei – bis die an die Macht kommenden Nationalso­zialisten den Anteil von Studentinn­en auf zehn Prozent beschränkt­en, um Frauen zurück zu Haus und Herd zu drängen. Viele jüdische Wissenscha­ftlerinnen flüchteten oder fielen dem Holocaust zum Opfer. So emigrierte zum Beispiel die berühmte jüdische Mathematik­erin

Emmy Noether in die USA, während die bekannte Philosophi­n Edith Stein im Konzentrat­ionslager Auschwitz-Birkenau umgebracht wurde. Jüdische Pionierinn­en haben den Weg für deutsche Akademiker­innen vorbereite­t, die Nationalso­zialisten haben ihn wieder zerstört. Obwohl Frauen in Deutschlan­d inzwischen rund die Hälfte aller Studierend­en ausmachen, sind die Auswirkung­en des Nationalso­zialismus bis heute zu spüren. Mit einem Frauenante­il in der Wissenscha­ft von nur 28 Prozent belegt Deutschlan­d europaweit einen der untersten Plätze.

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