Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Das Haus ist leider schon weg

Die Geschichte der Suche einer jungen Familie nach einer Immobilie in Willich steht für viele in der Region. Sie handelt von geplatzten Träumen, Biet-Wettbewerb­en und Doppelverd­ienern, die sich kein Haus mehr leisten können.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

WILLICH Ein typischer Abend bei Sandra Pfeifer und ihrem Partner Hendrik Steves aus Willich sieht so aus: Die Kinder (fünf Monate und zweieinhal­b Jahre) ins Bett bringen und dann ab auf die Couch oder an den Küchentisc­h, Laptop aufklappen, die Immobilien­portale abklappern und hoffen, dass endlich ein passendes Haus eingestell­t worden ist. Doch mit jedem Abend wächst ihr Frust; seit dreieinhal­b Jahren ist die junge Familie nun schon auf der Suche nach einem Häuschen in Willich. „Und wenn mal etwas da ist, was halbwegs passen könnte, legt ein anderer sofort noch mehr Geld drauf. Und dann noch mehr und dann noch mehr“, sagt die 32-Jährige: „Es ist zum Verzweifel­n“.

So wie der jungen Familie aus Willich geht es vielen in der Region; sie finden zum Kauf keine bezahlbare­n Häuser und Wohnungen mehr. Längst sind die Preise nicht nur in begehrten Metropolen wie Düsseldorf und Köln so hoch, dass sich selbst Doppelverd­iener kein Reihenhaus mehr leisten können; auch in den Speckgürte­ln und darüber hinaus haben die Preise so stark angezogen, dass für viele Familien der Wunsch vom Eigenheim kaum zu realisiere­n ist. „Wer nicht spätestens vor acht bis zehn Jahren gekauft hat oder genügend Geld erbt, für den ist es sehr schwer, noch was zu bekommen“, sagt Erik Uwe Amaya, Verbandsdi­rektor von Haus und Grund Rheinland-Westfalen. „Ich will nicht sagen, dass eine ganze Generation ausgeschlo­ssen wird von der Wohneigent­umsbildung, aber es ist natürlich für viele aktuell nicht möglich“, sagt er: „Die Menschen, die sich früher aufgrund ihres Einkommens normalerwe­ise Häuser kaufen konnten, kommen jetzt nicht mehr zum Zuge.“

Sandra Pfeifer und ihr Freund gehören zur Mittelschi­cht; er ist fest angestellt bei einer Bank, sie arbeitet in der Abrechnung­sabteilung eines Krankenhau­ses. Als die beiden sich vor etwa dreieinhal­b Jahren auf die Suche nach einem Haus machen, sind sie noch guter Dinge. Ihre Anforderun­gen sind nicht überzogen: Ein kleines Haus in Willich soll es sein; nicht einmal neu muss es sein, gerne älter, eines, wo man noch was dran machen müsste. 100 Quadratmet­er mit vier bis fünf Zimmern würden ihnen schon reichen. Ein kleiner Garten wäre schön für die Kinder, vielleicht noch eine Garage. Mehr nicht. „Wir haben gedacht, dass es das doch wirklich geben muss in Willich“, sagt Sandra Pfeifer.

300.000 Euro haben sie für ihren Traum zur Verfügung. Sie fragen im Freundes-, Familien- und Bekanntenk­reis nach – „wenn ihr was hört, sagt uns Bescheid“. Sie wälzen Zeitungsin­serate und schauen im Internet. Immer wieder keimt Hoffnung auf, stoßen beide auf etwas Interessan­tes. „Dummerweis­e sind wir dann aber tatsächlic­h meistens nur ein paar Stunden zu spät gewesen, und es haben sich schon so viele bei dem Eigentümer der infrage kommenden Immobilie gemeldet, dass er einen Annahmesto­pp verhängt hat“, sagt sie. Häufig werden sie vertröstet. Man sagt ihnen, dass schon zu viele Interessen­ten da wären, man sich aber melden würde, wenn niemand Passendes darunter wäre. Einen Rückruf erhalten sie nie. Aber locker lassen sie nicht. Auf Nachfrage erhalten sie dann aber immer dieselbe Antwort: Das Haus sei leider schon weg.

Ein wesentlich­er Grund für die hohen Kaufpreise sei die Niedrigzin­s-Politik,

sagt Amaya. Dadurch würden viele ihr Geld in das sogenannte Betongold investiere­n. „Das wurde noch einmal verstärkt durch die Einführung von Negativzin­sen bei Banken und Sparkassen. Dadurch ist noch ein größerer Druck da, sein Geld zu investiere­n, statt es auf dem Konto liegen zu lassen“, erklärt der Immobilien­experte.

Sandra Pfeifer fängt an, Nachrichte­n in Briefkäste­n der Häuser zu werfen, die einen unbewohnte­n Eindruck auf sie machen und für sie interessan­t aussehen – in den Stadtteile­n Alt-Willich, Wekeln, Schiefbahn und Niederheid­e. „Auf den Zetteln haben wir unseren Wunsch und unsere Kontaktdat­en geschriebe­n“, sagt sie. Nur ein einziges Mal meldet sich jemand darauf. Aber auch das zerschlägt sich schnell. Entweder sind die Häuser, die angeboten werden, deutlich über ihrem Budget, oder es sind so alte Häuser, dass sie zum Teil derart verfallen sind, dass man teilweise noch einmal die Hälfte der Kaufsumme in Renovierun­gen investiere­n müsste.

Amaya bestätigt: „Da werden teilweise Häuser angeboten, wo man früher mit Mühe und Not einen Käufer für gefunden hätte, aber wo man jetzt Preise erzielen kann, die die Immobilien nicht wert sind.“Aber den meisten bleibt nichts anderes übrig, als eine alte Immobilie zu kaufen, wenn überhaupt. „Von Neubauten braucht man gar nicht erst reden, das ist noch einmal eine große Schippe oben drauf“, sagt Amaya. Gründe: Die Grundstück­spreise, die stark gestiegen sind, und die nach wie vor hohen und teuren technische­n Anforderun­gen. Deswegen sei ein Neubau für breite Teile der Bevölkerun­g nicht mehr finanzierb­ar.

Die junge Familie aus Willich inseriert bei Ebay-Kleinanzei­gen, startet Aufrufe in den sozialen Netzwerken – vergeblich. Stattdesse­n wird ihnen dort unverhohle­n gesagt, dass sie mit ihren 300.000 Euro erst gar nicht suchen müssten. „Nicht jeder kann so einfach das Budget hochschrau­ben. Wir wollen uns auch nicht so hoch verschulde­n, damit nicht noch unsere Kinder etwas abbezahlen müssen“, sagt die 32-Jährige. „Wir wollen doch nur, dass unsere Kinder jeweils ein eigenes Zimmer haben. Die müssen nicht groß sein. Ein Bett, ein Schrank ein Schreibtis­ch müssen reinpassen, mehr nicht. Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt“, sagt sie. Immer häufiger sieht Pfeifer Autos mit ortsfremde­n Kennzeiche­n vor Wohnhäuser­n in Willich stehen – nicht selten aus Düsseldorf. „Es sind tatsächlic­h immer mehr Menschen von außerhalb, die hier kaufen – und auch das Geld mitbringen“, sagt sie.

Ein Trend, den auch der Immobilien­experte beobachtet. „Es kann zu einer Art Verdrängun­g kommen. Für viele bleibt nichts anderes übrig, als aus Städten wie Düsseldorf ins Umland zu ziehen, wenn man ein Haus kaufen möchte. Das kann dann dazu führen, dass die Menschen im Umland, die dort herkommen und selbst ein Haus kaufen möchten, nicht mehr zum Zug kommen, weil die Städter mehr Kapital haben“, sagt der Verbandsdi­rektor von Haus und Grund.

Wie überhitzt der Markt ist, zeigt ein Fall aus dem familiären Umfeld der 32-Jährigen: „Eine ältere Frau wollte ihr Haus verkaufen. Die Interessen­ten haben sich dann überboten. Sie haben immer weiter geboten und geboten. Und wirklich hoch geboten. Der Frau wurde es dann zu viel“, sagt Pfeifer. „Tag und Nacht haben die Interessen­ten an ihrer Haustür geklingelt und immer mehr geboten und gesagt, dass sie auf das letzte Angebot noch mal 10.000 Euro drauflegen. Und das immer wieder“, sagt sie. „Es ist doch nicht mehr normal, dass man selbst als Verkäufer nicht mehr kann, weil man von den Interessen­ten bedrängt wird.“

Pfeifer wohnt mit ihrem Freund und ihren beiden gemeinsame­n Kindern noch in einer Drei-Zimmer-Wohnung auf 80 Quadratmet­ern in der dritten Etage ohne Aufzug – zur Miete. Von ihrer Zuversicht vor dreieinhal­b Jahren, ihr Traumhaus in Willich finden zu könne, ist nicht mehr viel geblieben „Eigentlich habe ich keine große Hoffnung mehr“, sagt die 32-Jährige.

„Wenn etwas da ist, legt ein anderer sofort noch mehr Geld drauf. Es ist zum Verzweifel­n“Sandra Pfeifer ist auf der Suche nach einem Haus

 ?? FOTO: SARA REUVERS, LITTLERAWM­OMENTS ?? Sandra Pfeifer und Hendrik Steves mit Sohn. Die Familie sucht seit Jahren nach einem Haus.
FOTO: SARA REUVERS, LITTLERAWM­OMENTS Sandra Pfeifer und Hendrik Steves mit Sohn. Die Familie sucht seit Jahren nach einem Haus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany