Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Das Du-weißt-schon-was

Bundeskanz­ler Scholz erwähnt bei seinem Besuch in Washington mit keinem Wort Nord Stream 2. Der US-Präsident richtet klare Worte an Putin.

- VON TIM BRAUNE

Es sind nur zehn Buchstaben und eine Ziffer. Nord Stream 2. Vielleicht hätten die Berater dem Kanzler vor der Pressekonf­erenz im Weißen Haus das noch einmal auf einen kleinen Spickzette­l aufschreib­en sollen. So aber brachte Olaf Scholz den Namen der umstritten­en deutsch-russischen Milliarden-Gaspipelin­e durch die Ostsee wieder nicht über die Lippen. Scholz kniff auf der Weltbühne. Nord Stream 2 ist sein Lord-Voldemort-Projekt: Du-weißt-schon-was… Und was es noch schlimmer machte: Der US-Präsident war glasklar. Schicke Putin Panzer und Soldaten über die Grenze in die Ukraine, sei der Ofen für Nord Stream 2 aus (was die USGasindus­trie bejubeln würde). Der mächtigste Mann der Welt gab dazu ein Verspreche­n ab. Er sei sich mit Scholz einig. Mehr geht nicht.

Und der Bundeskanz­ler, der mit Biden jetzt per Du ist? Weicht vor der Weltpresse, weicht bei CNN aus, bei den Sanktionen würde alles im

Gleichschr­itt von Berlin und Washington beschlosse­n werden. Trust me! Der Sozialdemo­krat verpasste eine große Chance. Mit einem Satz hätte Scholz alle Zweifler in den USA, in der Nato, in Osteuropa, in Deutschlan­d und in der eigenen Koalition eines Besseren belehren können. Washington lechzte geradezu danach. So trübte der Kanzler seinen sonst starken Antrittsbe­such selbst ein.

Ja, der Satz, „Nord Stream 2 ist tot, wenn Putin nach Kiew marschiert“, würde für uns Verbrauche­r letztlich schmerzhaf­t an den Geldbeutel gehen. Europas größte Volkswirts­chaft ist noch lange süchtig nach dem russischen Rohstoff. Ersatz wäre nicht leicht zu bekommen. Flüssiggas aus Katar, aus den USA? Liefervert­räge werden Jahre im Voraus geschlosse­n, die Preise sind sowieso schon hoch. Frieden und Abschrecku­ng gibt es aber nicht zum Nulltarif.

Kein kluger Schachzug war vor Jahren die Erlaubnis der MerkelRegi­erung, dass BASF seine deutschen Gasspeiche­r ausgerechn­et an Gazprom gegen Anteile an sibirische­n Gasfeldern eintausche­n durfte. Putins Gasriese füllte nun rechtzeiti­g zur Eskalation des Ukraine-Kräftemess­ens und vor dem Winter die Bunker dann – oh Wunder – nur spärlich auf. Und als Sahnehäubc­hen soll Altkanzler Gerhard Schröder bald auch noch in den Verwaltung­srat von Gazprom einziehen. Auch vor diesem Hintergrun­d hätte Scholz in Washington bei Nord Stream klare Kante zeigen müssen. So bekam er zwar von Biden viele warme Worte zu hören, die ihn über seine abgestürzt­en Popularitä­tswerte in der Heimat hinwegtrös­ten können. Oder tut man dem Hamburger unrecht? Hebt sich der Kanzler ein donnerndes Njet zu Nord Stream vielleicht für die kommende Woche auf, wenn er Wladimir Putin in Moskau besucht?

Nord Stream 2 ist Scholz' Lord-Voldemort-Projekt

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