Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Tiefe Scham und großer Schmerz“

Papst Benedikt XVI. hat in einer Stellungna­hme alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Missbrauch­sskandal zurückgewi­esen. Er bittet die Opfer zwar um Entschuldi­gung, übernimmt aber keine persönlich­e Verantwort­ung.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Es ist ein Bekenntnis, eine Entschuldi­gung und eine Rechtferti­gung zugleich. Am Dienstag hat sich der emeritiert­e Papst Benedikt XVI. zu den Vorwürfen geäußert, er habe in seiner Stellungna­hme für das vor drei Wochen vorgestell­te Missbrauch­sgutachten der Erzdiözese München und Freising absichtlic­h die Unwahrheit angegeben. Dabei war es speziell um die Teilnahme des früheren Erzbischof­s von München und Freising (1977 bis 1982) an einer Ordinariat­ssitzung am 15. Januar 1980 gegangen. Damals wurde über die Aufnahme eines des Missbrauch­s überführte­n Priesters im Erzbistum entschiede­n.

In seiner von ihm unterschri­ebenen Stellungna­hme für das Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl hatte der 94-Jährige fälschlich­erweise angegeben, an der Sitzung nicht teilgenomm­en zu haben. Im Sitzungspr­otokoll war seine Anwesenhei­t jedoch zweifelsfr­ei festgehalt­en. Die Glaubwürdi­gkeit des emeritiert­en Papstes im schwierigs­ten und derzeit wichtigste­n Themenfeld für die katholisch­e Kirche, dem Umgang mit sexuellem Missbrauch, war dahin. „Dieser Fehler, der bedauerlic­herweise geschehen ist, war nicht beabsichti­gt und ist, so hoffe ich, auch entschuldb­ar“, schreibt der 94-jährige Benedikt nun in einem vom Presseamt des Vatikan veröffentl­ichten Brief, der sichtlich seinem eigenen Sprachstil entspricht. Bereits im Januar hatte sein Privatsekr­etär Georg Gänswein „einen redaktione­llen Fehler“zugegeben. Damals waren Zweifel aufgekomme­n, inwiefern die vom 94-jährigen Joseph Ratzinger unterschri­ebene 82 Seiten lange Stellungna­hme für das Gutachten authentisc­h oder vielmehr Produkt eines Beratersta­bes sowie seines Sekretärs Gänswein sei. Die Gutachter werteten die Einlassung damals als „Verteidigu­ngsschrift“.

In einem dem Brief beigefügte­n „Faktenchec­k“der von Benedikt auch schon zur Verfassung seiner Stellungna­hme beauftragt­en Rechtsanwä­lte und Berater wird nun der Hergang des „Fehlers“dargestell­t. Der in Rom ansässige Kirchenrec­htler Stefan Mückl habe von der Kanzlei WSW die alleinige Einsicht in 8000 Seiten Akten bekommen. Dem Buchloer Kirchenrec­htler Stefan Korta sei dann „in einem der weiteren Arbeitssch­ritte ein unbemerkte­r Übertragun­gsfehler“unterlaufe­n, der auch den anderen drei Beratern nicht aufgefalle­n sei. Die Berater hätten auch nicht aktiv bei Benedikt nachgefrag­t, ob dieser sich an seine Teilnahme an der Sitzung im Januar 1980 erinnere.

„Benedikt XVI. hat diesen Fehler aufgrund des hohen Zeitdrucks, unter dem seine Überprüfun­g der Stellungna­hme in wenigen Tagen wegen enger Fristsetzu­ng der Gutachter notwendig war, nicht erkannt, sondern sich auf die vermeintli­che schriftlic­he Protokolli­erung seiner Abwesenhei­t verlassen“, heißt es in dem Schreiben. Dass dieses „Versehen ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftig­keit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustell­en, hat mich tief getroffen“, schreibt Benedikt in seinem Brief.

Auch in der Sache bleiben der ExPapst sowie seine Berater bei ihrer Darstellun­g, als Erzbischof habe sich

Joseph Ratzinger nichts zuschulden kommen lassen. Als damaliger Erzbischof habe Joseph Ratzinger weder Kenntnis davon, dass der Priester Missbrauch­stäter sei, noch dass er in der Seelsorge eingesetzt werde, heißt es in dem vom Vatikan beigefügte­n Schreiben seiner Rechtsbera­ter. Auch in keinem der anderen drei Fälle, in denen Ratzinger Fehlverhal­ten angelastet wurde, habe dieser „Kenntnis von Taten oder vom Tatverdach­t sexuellen Missbrauch­s der Priester“gehabt. „Als Erzbischof

war Kardinal Ratzinger nicht an einer Vertuschun­g von Missbrauch­staten beteiligt“, halten die Berater fest, zu denen auch der emeritiert­e Münchner Kirchenrec­htler Helmuth Pree sowie Rechtsanwa­lt Carsten Brennecke aus Köln zählen.

Trotz dieser kompletten Zurückweis­ung aller Vorwürfe fragt sich der emeritiert­e Papst in einer nachdenkli­chen Passage seines Briefes, „ob ich nicht ebenfalls heute von übergroßer Schuld sprechen muss“. Bei allen Begegnunge­n als Papst mit Betroffene­n sexuellen Missbrauch­s „habe ich den Folgen einer übergroßen Schuld ins Auge gesehen und verstehen gelernt, dass wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezo­gen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiede­nheit und Verantwort­ung angehen“. Er bitte alle Opfer sexuellen Missbrauch­s aufrichtig um Entschuldi­gung und drücke seine „tiefe Scham“und „großen Schmerz“aus „über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffend­en Orten geschehen sind“.

Benedikt übernimmt damit generelle Verantwort­ung, lehnt eine direkte persönlich­e aber weiter ab. Nicht zu übersehen ist auch, dass der 94-Jährige bei dieser vagen Haltung die Unterstütz­ung von Vatikan und Papst Franziskus hat. Nicht nur, liefen die Verlautbar­ungen über den offizielle­n Pressekana­l des Vatikan. Benedikt schreibt außerdem, er sei „besonders dankbar... für das Vertrauen, für die Unterstütz­ung und für das Gebet, das mir Papst Franziskus persönlich ausgedrück­t hat“.

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FOTO: ROMASPRESS PHOTO/DPA Joseph Ratzinger, damals Erzbischof von München und Freising, im Februar 1977 in Rom.

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