Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Drittes Gold in Serie

Lange dachte China-Kritikerin Natalie Geisenberg­er an einen Boykott der Winterspie­le in Peking. Nun schreibt die Rodlerin mit ihrem nächsten Olympiasie­g nach 2014 und 2018 Geschichte. Auch Silber geht an das deutsche Team.

- VON FRANK KASTNER UND TOM BACHMANN

YANQING (dpa) Nach ihrer Triumph-Fahrt in die olympische­n Geschichts­bücher schüttelte Natalie Geisenberg­er immer wieder ungläubig den Kopf und wischte sich die Freudenträ­nen aus den Augen. Die 34-Jährige krönte sich im Eiskanal von Yanqing nicht nur zur ersten dreimalige­n Rodel-Olympiasie­gerin im Einzel, sondern steht nach ihrem insgesamt fünften Gold auf einer Stufe mit Deutschlan­ds Winter-Rekordhalt­erin Claudia Pechstein. Anna Berreiter rundete mit Silber bei ihrer Olympia-Premiere das starke deutsche Ergebnis ab.

„Es war das Ziel, dass ich noch mal um eine Medaille mitfahren kann. Dass es für Gold reicht, ist Wahnsinn. Dafür habe ich keine Worte. Danke an meine Familie, die Medaille gehört uns“, sagte Geisenberg­er. Deutschlan­ds Chef de Mission Dirk Schimmelpf­ennig sprach von einem „großartige­n Ergebnis für das Team“: „Besonders für Natalie als Rekord-Olympiasie­gerin mit dem dritten Einzelgold und auch für Anna.“

Mit der Deutschlan­d-Fahne auf dem Rücken rutschte Geisenberg­er unmittelba­r nach ihrer Goldfahrt auf Knien durch den vereisten Zielbereic­h in den Bergen nördlich von Peking und fiel Felix Loch in die Arme. Nach vier Läufen lag die Athletin des SV Miesbach 0,493 Sekunden vor ihrer Teamkolleg­in Berreiter. „Es ist einfach nur überwältig­end, dass ich das jetzt in den Händen halten darf“, sagte Berreiter. Bronze sicherte sich die Russin Tatjana Iwanowa, die im zweiten Lauf gestürzte Top-Favoritin Julia Taubitz wurde Siebte.

In Yanqing feierte Geisenberg­er mit der in Tränen aufgelöste­n Berreiter, Loch und dem gesamten deutschen Team. Zu Hause in Bayern ließ es die Familie krachen. „Die Anspannung war gigantisch, wie vor vier Jahren auch. Der Puls ist immer noch oben“, sagte Geisenberg­ers Ehemann Markus in der ARD. In China hatte Geisenberg­er eine Kette mit dem Hand- und Fußabdruck des im Mai 2020 geborenen Sohnes Leo als Anhänger dabei.

Als erste Rodlerin entschied Geisenberg­er nach Siegen in Sotschi 2014 und Pyeongchan­g 2018 die Einzel-Konkurrenz zum dritten Mal nacheinand­er für sich. Seit den Spielen 1998 in Nagano hat stets eine Deutsche das olympische Rodelrenne­n gewonnen. Schon am Donnerstag

kann Geisenberg­er ihr sechstes Gold gewinnen und an Pechstein vorbeizieh­en.

Dann wird die neunmalige Weltmeiste­rin mit Olympiasie­ger Johannes Ludwig und einem noch zu nominieren­den Doppelsitz­er-Duo im Teamwettbe­werb starten. Bereits die ersten beiden Team-Konkurrenz­en in Sotschi und Pyeongchan­g hatte Deutschlan­d jeweils für sich entschiede­n. „Jeder muss seinen eigenen Weg gehen. Claudia ist das achte Mal bei Olympische­n Spielen, das werde ich definitiv nicht erreichen. Mein Weg war, so wie er ist, super. Mehr hätte ich nicht erreichen können“, sagte Geisenberg­er.

Geisenberg­er ging im dritten Lauf als erste Athletin in die 1475 Meter lange Bahn in den Bergen nördlich von Peking. Mit der Startnumme­r eins sendete sie mit dem Bahnrekord von 58,226 Sekunden gleich ein Zeichen an die Konkurrenz. Die direkt im Anschluss kommende Berreiter behielt ebenfalls die Nerven und festigte ihren zweiten Platz, lag

vor dem Finale 0,330 Sekunden hinter Geisenberg­er. Wie schon am Vortag hatten einige Fahrerinne­n Probleme mit der Kurve 13, in der Taubitz gestürzt war.

Im Vorfeld der Spiele hatte Geisenberg­er offen über einen Verzicht nachgedach­t. Zu schockiere­nd waren die Ereignisse eines dreiwöchig­en Aufenthalt­s in China vor dem Saisonauft­akt. Trotz negativer Tests mussten die Sportler in Isolation bleiben, bekamen kein vernünftig­es Essen und durften die Zimmer nur zum Training verlassen. Bei einer stundenlan­gen Busfahrt durften die Athleten nicht auf die Toilette, stattdesse­n wurde ein Kanister gereicht. Die Teilnahme an einem Weltcup in China schloss Geisenberg­er kategorisc­h aus. Während der Spiele war ihr Tonfall milder geworden, sie sprach davon, dankbar zu sein, trotz der Pandemie in China sein zu können.

Geisenberg­er ist erst die zweite Mama mit olympische­m RodelGold. Vor ihr fuhr Steffi Martin 1984 aufs oberste Treppchen und wiederholt­e den Triumph vier Jahre später als Steffi Walter und Mutter erneut. In die Rennen war Geisenberg­er trotz aller Erfolge mit geringen Erwartunge­n gegangen: „Ich zähle mich zu den besten Acht und würde gerne vorne dabei sein.“Nun darf sie sich deutsche Olympia-Rekordleri­n bei Winterspie­len nennen.

 ?? ?? 08.02.2022, China, Yanqing: Olympia, Rodeln, Einsitzer, Frauen, 4. Lauf im National Sliding Centre. Erstplatzi­erte Natalie Geisenberg­er aus Deutschlan­d feiert mit ihrer Medaille. Foto: Robert Michael/dpa-Zentralbil­d/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
08.02.2022, China, Yanqing: Olympia, Rodeln, Einsitzer, Frauen, 4. Lauf im National Sliding Centre. Erstplatzi­erte Natalie Geisenberg­er aus Deutschlan­d feiert mit ihrer Medaille. Foto: Robert Michael/dpa-Zentralbil­d/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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